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s. Bildunterschrift

Ria Volland, Schlußstein, Kloster Marienstatt.

Die Eisjungfrau

Von Leo Sternberg

Ritza Perabo war keine Heilige, wie ihre Namensschwester, die einst schwebend über die Wellen des Rheines schritt – es sei denn, daß man die glühende Lebenslust, die nicht minder als der Glaube trockenen Fußes über Wogen wandelt, als das Walten einer heiligen Macht begriffe.

Kurzum: Ritza wollte als Teufelin auf dem Maskenfest erscheinen – wozu es freilich, wie die Base meinte, in deren kleinem Hinterstübchen das Gewand des Satans allmählich Gestalt gewann, keiner Verkleidung bedurft hätte. Allein sie wußte, wozu eine Maske gut war, wenn man von einem blondkrolligen Steuermann bemerkt werden wollte, der in holländischer Rotwangigkeit über das Mädchenvolk stolperte und die Schifferschlappen nur diesmal auszog, weil der zugefrorene Rhein seinen Schleppzug fest in den Hafen schloß. Zudem war ihr die Nadel beim Nähen in drei Teile zersprungen, und das bedeutete nicht weniger, als daß sie in dem Kleidungsstück sicher ihrer Brautschaft entgegenging.

Sie müßte nicht mit Rheinwasser getauft gewesen sein, wenn sie nicht auch ohnedies Hemd und Herrlichkeit um einen Fastnachtsball versetzt hätte – wie denn im Lande der Reben nicht selten das Oberbett mit dem Unterbett der Narrenwalzer zusammen schwingt. So fiel es ihr also nicht schwer, mit der Base allein in das Stübchen eingeriegelt an der Teufelin zu schneidern, obwohl das ungewohnte Schauspiel des zugefrorenen Stromes das ganze Land schon tagelang auf der magischen Eisdecke versammelte, die wie eine Gletscherzunge zwischen den dunklen Uferbergen die Landschaft in starre Polareinsamkeit zu entrücken schien.

Eine schellenklingelnde Maultierpost, die in tief eingeschnittenen Schlittengleisen von Ufer zu Ufer kutschierte, setzte stündlich neue Ankömmlinge aus, die sich in schwarzem Gewimmel über das silberfahle Schollenmeer fröhlich verteilten. Man schlängelte sich zwischen Schlittschuhläufern zu Kreppel- und Grogbuden, die zwischen den Tännchen der eingepfählten Christbaumallee errichtet waren. Man drängte sich in neugierigen Klumpen um die Eiswachen, die Wasserlotten für die Feuerspritzen aufhackten und mit Strohwischen umsteckten. Walzerklänge der Blechmusik luden zum Tanz – über dem Abgrund. In wahren Pilgerzügen kamen sie über die Höhe die Weinbergpfade heruntergestiegen, um mit eigenen Augen das Wunder zu schauen, wie der Strom der Füße von Tausenden spottete und mit schweren Belgiern bespannte Lastfuhrwerke knirschend auf seinem Rücken trug. Mitten auf dem Eise bogen die Küfer bei flammenloderndem Feuerkorb einen Kreis von Dauben zum mächtigen Stückfasse, das schließlich zusammengefügt im Triumph durchs Land gefahren wurde und dem immer ins Rosenrote schauenden Rheingau wieder einmal ein üppiges Weinjahr zu verheißen schien. Die Schulkinder liefen dem Lehrer davon, um sich auf dem Schlittentriller um die Eispfähle zu drehen; und der Herr Pfarrer, der seinen lieben Rheingauern bescheinigte, sie wären die besten Christen, wenn sie so stark im Glauben wären wie in der Hoffnung, sprach von »Wasseranbetern«, die ihm aus der Kirche liefen, um auf dem Rüsterrech herumzustehen.

Nur die Alten, die am Ufer den Leinpfad entlang trappelten, sahen mit Besorgnis die Stunde näherrücken, wo der Rhein seinen Panzer sprengen und die Ufer überschwemmen würde, daß die Fässer in den Kellern schwammen und die Nachen in den Gassen von Tür zu Tür fahren würden wie die Hausgondeln von Venedig, der meerdurchplätscherten Lagunenstadt.

Unterdessen saß Ritza in dem Hintergäßchen des ausgestorbenen Wasseranbeter-Reiches an der Arbeit, wie die Henne auf dem Nest. Voll Fusseln und Fäden, drehte sie die Nähmaschine, daß die Schere auf dem Tische tanzte, zog Fischbeinrippen in gedornte Fledermausflügel und schnitt – zwischen farbenbunten Garnrollen und Lappenschnipseln – die gefährlichsten Höllenflammen züngelnd aus ritzerotem Stoffe heraus, bis der Balltag schließlich herangekommen war.

Aber als sie nun mit dem dreizackigen Höllenzepter in der Hand und den Teufelshörnern im Haar vor dem Spiegel die letzte Anprobe hielt, schnitt sie eine bedenkliche Brutsche und fand, daß die Flammenbänder, so sehr die Base sie zurechtbahnte und zupfte, Büste und Arme noch immer nicht satanisch genug umflackerten. So warf sie denn kurzentschlossen Mantel und Kapuze über den höllischen Staat und eilte mit der Base über den Rhein, um in einem großstädtischen Maskenbasare drüben die Fürstin der Finsternis zu vollenden und rechtzeitig zum Feste zurückzukehren.

Es war zu später Nachmittagsstunde, als die beiden vermummten Gestalten, um den Rückweg anzutreten, das Modenhaus verließen. Sie stutzten nicht wenig, daß statt der klaren Winterbläue, bei der sie hinübermarschiert waren, ein leichter Taunebel sie umfing, in dem die hängenden Zierbirken der Marktanlagen wie Paradiesvögel mit lang herabschleiernden Schleppen und Pfauenkrönchen auf dem Haupt vorüberglitten. In unbestimmter Ahnung beschleunigten sie die Schritte. Kaum aber hatten sie durch die hohlen, winkligen Gäßchen, die unter ihren trippelnden Füßen unterirdisch hallten, sich hindurchgewunden, als mit Donnergeklirr ein erschütterndes Krachen erscholl, vor dem sie erbleichend zurückprallten: das Rheineis sprang!

Und nun pflanzte sich der Ruf »Der Rhein geht« sofort wie ein Lauffeuer durch die Straßen; und aus allen Türen rannten Erschreckte und Schaulustige zum Ufer, um den Strom aufbrechen zu sehen, der seine geborstene, aber noch geschlossene Decke von Zeit zu Zeit, wie ein Bergsturz polternd und scherbenklirrend, vom Land abriß und mit Erdbebenhall einen Ruck weiter schob.

Allein die Höllenfürstin zog ihre Begleiterin, die sich wie ein Hemmeisen an ihr schleifen ließ, nach kurzem Besinnen längs der Stadtmauer auf Winzerpfade fort, auf denen sie weit unterhalb der den Damm entlang harrenden Menge unbemerkt ans Ufer gelangten, an einer Stelle, wo ein Anlandebrett die Wasserspalte überbrückte, die schon den Eisrand von der Leinpfadböschung trennte. Die Base hielt sich bei dem Dröhnen des arbeitenden Abgrunds, das hier mit rollendem Echo zwischen den Bergen hing, entsetzt die Ohren zu und klammerte sich flehend an Ritza, daß sie von ihrem Beginnen abstehe, wo selbst der Wahrschauer schon aus seinem Uferhäuschen ausgezogen sei. Ritza lachte hell auf. Sie gäbe eine schlechte Steuermannsfrau, wenn sie wegen eines Wasserspritzers die Segel striche. Eine Ballnacht! Aber kaum hatte die Tollkühne, die nun wahrhaft den Teufel im Leibe zu haben schien, sich mit diesen Worten aus der Umklammerung befreit, als die Sturmglocke zu läuten anfing, um alle Stromanwohner vor dem drohenden Eisgang und der gleichzeitig mit ihm hereinbrechenden Überschwemmung zu warnen, wegen deren regelmäßiger Wiederkehr die rheinischen Häuser vorsorglich zwischen zwei Straßenzügen, mit Ausgängen nach beiden Seiten errichtet sind. Da warf die Base die feuerrote Höllenforke, Hörner und Larve, die sie unter dem Mantel getragen, auf die Erde und ergriff kopflos die Flucht.

Ohne sich nach ihr umzusehen, aber schritt Ritza trotzig über das Trittbrett auf das Trümmerfeld der Schollen, die hier in der wilden Bewegung, in der sie bei der Rückstau gegeneinander gekämpft, zu Bergen aufgetürmt, ihre zackige Felsenwüste ausbreiteten und nur schmale Hohlwege und Zickzackpfade für die goldgrünen Pantöffelchen der bunten Maskengestalt freiließen. Als sie, bald hinter Eisblöcken auftauchend, bald wieder verschwindend, sich allmählich sicherer fühlte, hielt sie hinter einem klüftig verworfenen Schulpenhaufen Rast, schwang dort die roten Vampyrflügel über dem flatternden Mantel auf den Rücken, nestelte die Teufelshörner ins Haar, zog die langen feurigen Krallenhandschuhe über und setzte dann mit entlasteten Händen ihren Marsch mutiger fort, zumal sie in dem wogenden Angstgeschrei der am Ufer versammelten Menge, die mittlerweile auf sie aufmerksam geworden war, sich gleichsam an dem Anker der Menschennähe befestigt fühlte. Denn der Schrecknisse gab es genug. Jetzt galt es einer morschen Tafel zu entrinnen, die sich unter ihren Füßen zu biegen begann, jetzt flog ihr eine riesenhafte Möve gegen das Antlitz, die fischend hinter einer Eisklippe gesessen; einen Augenblick wähnte sie, getäuscht von umgefallenen Wegebäumchen, die der den offenen Lotten entströmende Kältewind hoppelnd fortbewegte, Wildsauen von ferne auf sich anrücken zu sehen, die vom Hunsrück über den zugefrorenen Rhein herüberzuwechseln pflegen; jetzt tat es unter ihren Sohlen einen Krach, als wenn ein Sprung durch die ganze Welt ginge; und ihre güldenen Füße wußten nicht, wohin sie entfliehen sollten vor dem Schwellwasser, das von allen Seiten über die Eisplatten schwenkte.

Aber die Gefahren schienen nur da zu sein, um sie von neuem mit Unverzagtheit zu wappnen. Lächelnd bedachte sie, wie sie, kaum geboren, bereits die Wasserprobe bestanden hatte. Es war zur Zeit des großen Eisganges, der die Pappeln und Ulmen der Auinsel wie dürres Röhricht abrasierte und so schnell hereinbrach, daß sie während der Zeit, wo die Eltern ausschauend die Mansardenstiege hinauf- und zurückeilten, schon in ihrer Kinderwiege durch die Wirtsstube schwamm. Und wer hatte sich, als das alte Marktschiff sank, kaum den Rocksaum genäßt und sich fidel auf eine Scholle geschwungen, wie die Raben und Möven auf dem Treibeis spazieren fahren! Nein, man mußte Ritza Perabo schon in eine Klippe einbleien, wenn der Strom sie behalten sollte, wie das Herz des rheinischen Sängers, das im Mühlsteinfelsen begraben liegt. Sie fand es im Grunde recht schlecht überlegt, daß sie nicht in die Gestalt einer Rheinnixe gefahren war.

Solchermaßen in Selbstvertrauen gewiegt und den Blick immer nach dem Heimatufer gerichtet, bemerkte sie schließlich kaum mehr, was sich hinter ihr vorbereitete, zumal das donnernde Krachen, das sie mit seinem Echo beständig umrollte, eben durch diesen gleichförmigen Rhythmus seine Schaurigkeit verlor. Bis die Gletscher aus der Alpenheimat des Stroms plötzlich nachzudrücken schienen, daß die Eisfläche von den Schüben zerknitterte, als wenn Herden von Ungetümen unter ihr tummelten und sie mit den vereinten Kräften ihrer Rücken in die Luft zu sprengen drohten. Das Stauwasser kam aus allen Fugen gequollen und floß fern und nah zu weit ausgedehnten Lachen zusammen, daß es den Überrheinern am fernen Ufer deuchte, als ob ein Wunder geschähe und Ritza, die Heilige, über den Fluten wandle. Die hinter ihr herschleichenden Wasserseen drängten sie nun im Laufschritt dem heimischen Ufer zu, dem sie näher und näher kam. Aber noch hatte sie den rettenden Strand nicht erreicht, als in das Scherbengeklirr, das Gepolter und Gezisch der Pressungen, die Bombenschläge der Sprünge, den ganzen Hexensabbat der sich befreienden Geister der Tiefe auf einmal der Kanonendonner hineindröhnte, mit dem ein Uferort dem anderen rheinaufwärts sich fortpflanzend verkündete, daß der Strom seinen mächtigen Eispanzer endlich gesprengt habe. Nun war an nichts mehr zu denken, als Boden zu gewinnen. Während sie aber schon schwindelnd von den Schwankungen des Grundes umzusinken drohte, bäumte sich die Scholle, auf der sie mit eingeschlagenem Teufelszinken sich festhielt, plötzlich wie ein Untier aus dem wogenden Eise herauf und raste mit der rotgeflügelten Reiterin ans Land, als wäre die Hölle aus der Tiefe gefahren und ritte flatternden Mantels zur Walpurgisnacht ...

Alles, was am Strande versammelt war, wich vor dem seltsamen Ankömmling, der so unheimlich aus den tobenden Elementen tauchte, scheu zurück; und Ritza konnte den Augenblick der allgemeinen Erstarrung benutzen, um durch die geöffnete Gasse unerkannt in der Dämmerung zu verschwinden. Aber magnetisch nachgezogen, wälzte sich eine Menschenmenge hinter ihr her, die Gefahr vergessend, die sie zum Ufer gerissen, und strömte in die Tanzsäle, wo tausend flackernde Augen die kühne Teufelsmaske suchten, die an ihren Strand gestiegen. Und die Unerkannte zog den ganzen Schwärm, an dessen Spitze immer der Steuermann stürmte, von Ballsaal zu Ballsaal durch die Nacht – in wildem Siegeszug.

Draußen türmte sich und tobte das Eis, daß dem steinernen Löwen, der vor dem Wehrgang der Pfalz mit dem Schilde thront, in dieser Nacht die Pranke mit dem erhobenen Schwerte abgedrückt wurde und die Wasserwogen bis in die Schwalbennester stiegen, die den Rundbogenfries des türmchenumzackten Bollwerks hoch umziehen.

Die Geflügelte aber, der Schrecken lachend, riß mitten im tollsten Wirbel die Fenster auf und schleuderte ihren höllischen Schürhaken dem brüllenden Eis in den schnappenden Nachen, daß der Jubel ihres trunkenen Schwarms das Donnern der Elemente laut übertönte. und auf der am weitesten hinausgebauten Ballterrasse, wo die Wasserfluten unter ihren Füßen klopften, tanzte sie, von Arm zu Arm fliegend, bis ihr der Atem verging – über dem besiegten Strom.


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