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Das Gebück

Von Ferdinand Luthmer

Die Rheingauer waren, wie es freien Männern ziemt, ein wehrhaftes und tapferes Geschlecht. Wenn sie dem Erzbischof Heeresfolge leisteten, so kämpften sie unter eigenen Hauptleuten als die vordersten der Schlachtordnung; die Bewachung des erzbischöflichen Palastes bei Erledigung des Stuhles war ihr besonderes Vorrecht. Vor allem aber suchten sie ihr eigenes Land gegen fremde Einfälle zu sichern. Während im Süden und Westen der Strom den natürlichen Schutz gewährte, wurde die Ost- und Nordseite durch einen lebenden Zaun von riesenhaften Abmessungen gesichert, »des Landes Bannzäune« genannt. In dem hauptsächlich mit Buchen und Eichen bestandenen Hochwald wurden in einem etwa 50 Schritt breiten Streifen alle Bäume in verschiedener Höhe abgeworfen und die unten ausschlagenden Triebe zu einem Zaun verflochten, der allmählich für Fußgänger und Reiter undurchdringlich wurde. Um die wenigen durch diesen Zaun führenden Wege zu sichern, wurden bei ihrem Austritt befestigte Tore errichtet. Ob dieselben schon in sehr früher Zeit bestanden, muß dahingestellt bleiben. Die Hauptanlage scheint in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden zu sein, wobei die Feuerverteidigung zugrunde gelegt wurde.

Ein ganzes System solcher Verteidigungsbauten fand sich im Tal der Waldaffa, wo das Gebück seinen Anfang nahm. Es bestand auf der Strecke von Niederwalluf bis zum Engpaß der Klinge (oberhalb Neudorf bei der jetzigen Klingenmühle) aus 16 niedrigen, massiv erbauten Türmen, nach der Angriffsseite rund, innen gerade abgeschnitten, in zwei Stockwerken kasemattiert mit Scharten für Geschütz. Von ihrer Form führten sie im Volk den Namen der »Backöfen«. Besonders bezeichnet wurden unter ihnen das 1470 erbaute Bollwerk am damals sogenannten Molkenborn bei Neudorf, die »Leuchte« oder das Winkeler und das obere Östricher Bollwerk oder der »Stock«, vom Erzbischof Berthold (1484-1504) erbaut.

Das befestigte Tor an der Klinge, wo ein vortretender Schieferfels das Tal sperrte, lehnte sich an diesen mit einem mit Wehrgang versehenen Torbogen, während nach der Bachseite ein viereckiger Turm den Abschluß herstellte.

Hinter der Klinge verließ das Gebück das Tal der Waldaffa und stieg den ziemlich steilen Hang der linken Talseite empor, wo in dem jetzt bestehenden Jungwald jede Spur verwischt ist. Den ersten Gebückbäumen begegnet man auf der Höhe des Dreibornskopfes. Sie sind unter dem übrigen Waldbestand unschwer zu erkennen und machen den Eindruck riesiger Weidenstümpfe. Der uralte, fünf bis sechs Jahrhunderte zählende Stamm steigt etwa 6 Meter nackt in die Höhe; starke Wulste an seinem unteren Teil verraten die Stellen, wo die zu einem Dickicht verflochtenen Zweige gesessen haben; aus der Krone haben sich seit der Zerstörung des Gebücks 1771 neue Zweige nach oben entwickelt, welche jetzt die Stärke ansehnlicher Stämme haben.

Auf der Höhe angelangt, wendete sich das Gebück westlich, umzog die süd-westlich von Bärstadt gelegene kreisrunde Schanze, welche wahrscheinlich ehemals einen Wartturm trug, im Bogen und wendete sich süd-westlich nach dem Dorf Hausen vor der Höhe. Hier hatten süd-östlich vor dem Dorf die Kiedricher im Anfang des 15. Jahrhunderts das Hauser Bollwerk errichtet, einen starken burglichen Bau mit hohem Turm, durch einen halbmondförmigen Erdwall geschützt, der jetzt gänzlich verschwunden ist; nur ein besonders schöner Gebückbaum am Eingang des Waldes erinnert hier an die Landbefestigung. In süd-östlicher Richtung dicht nördlich neben dem uralten Rennweg oder der »Hohen Straße« fortschreitend, wo an der Kreuzung desselben mit der von Eltville nach Obergladbach führenden Straße wieder eine schöne Gruppe von Bäumen erhalten ist, erreichte dann das Gebück die Mapper Schanze, einen befestigten Torbau, welcher die von Östrich das Gebirge überschneidende Straße schützte. Von diesem steht noch eine ansehnliche Ruine, ein viereckiger Torturm, durch dessen spitzbogige Toröffnung die Straße führt, östlich angelehnt an ein Rundell von 3,50 Meter innerem Durchmesser, mit Kuppelgewölbe und vier inneren Nischen für ebensoviel Maulscharten. Zu beiden Seiten schließen sich kurze, ebenfalls mit Scharten versehene etwas gebogene Mauerstücke an. Vor dem Tore liegt an der Westseite ein halbmondförmiges Erdwerk mit 1,5 Meter hoher Brustwehr und Graben. Nach der über einer Scharte des Rundells eingemeißelten Zahl wurde das Bauwerk 1494 errichtet.

Bis nördlich von dem Dorf Stephanshausen behält das Gebück die süd-westliche Richtung bei und nimmt dann, der von Winkel ins Wispertal führenden Straße folgend, nordwestliche Richtung an. Auf dieser Strecke lag das starke Bollwerk Weißenturm, seit 1816 ebenfalls verschwunden, dessen Name noch in dem Forsthause erhalten ist. Von hier zog sich das Gebück auf der Höhe westlich vom Elmachbach und dem Wehrgraben zum Tal der Wisper hinab, das es bei der Kammerberger Mühle überschritt, um jenseits zwischen Rheinberg und der Aacher Schanze wieder zur Höhe emporzusteigen. Von hier in westlicher Richtung überschritt es das Sauertal südlich von der Sauerburg und lief im Niedertal bei Lorchhausen gegen das Rheintal aus.

Diese starke Landwehr wurde in hohen Ehren gehalten und durch strenge Gesetze geschützt. Als sich 1619 die ersten Wolken des großen Religionskrieges zusammenzogen, verordnete ein zu Östrich abgehaltener Landtag, daß an den Bollwerken und Schlägen alles Schadhafte ausgebessert, kein Pfad außerhalb der allgemeinen Pforten zugelassen und das Gehen oder Kriechen durch das Gebück, ja selbst das Abschneiden einer Spießgerte mit 10 Goldgulden bestraft werden sollte. Dennoch vermochte dies Landbollwerk den Angriffen des Dreißigjährigen Krieges nicht zu widerstehen; wiederholt fanden feindliche Kriegsvölker durch Verrat Eingang in dasselbe, so daß es 1771 nicht mehr in wehrhaftem Zustande befunden und dem Abbruch und der Ausrodung überliefert wurde. Die »Backöfen« mußten zu Ende des 18. Jahrhunderts das Material zum Bau der Straße durch das Waldaffetal hergeben.

s. Bildunterschrift

Ad. Presber, Gebückbäume.


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