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Es war im Juli 1861; meine zweijährige Lehrzeit in Karlsruhe war etwas vorschnell abgebrochen, weil meine meisten Freunde nach Düsseldorf überzusiedeln im Begriffe standen und ich dem Zuge folgte. Es war für die erste Sommerhälfte eine gemeinsame Studienfahrt beschlossen worden und Ziel war das Dorf Schwanheim bei Höchst am Main mit seinen herrlichen Eichen. So wurden denn in Schwanheim die alten Eichengruppen gezeichnet, Blatt um Blatt, fünf Tage an einer einzigen Zeichnung, auch Einiges farbig versucht. Beim Malen hatten wir ziemliche Beklemmungen, weil dies ja den Bildbegriff in sich schloß – mit diesem aber wußten wir uns noch nicht recht abzufinden! Wie mußte wohl ein Stoff auf die Fläche gebracht werden, damit es nachher »ein Bild« sei? Denn daß die Bilder von Schirmer und Lessing so ohne weiteres in der Natur nicht vorkommen, das war klar; die Andreas Achenbachschen schon eher, aber etwas zurechtgemacht waren sie doch auch, und dabei schien uns diese Art etwas nüchtern! Wir Jungen hätten ja mit den Älteren über diesen Zwiespalt sprechen können, aber wir taten es nicht, wohl aus der Empfindung heraus, daß Worte in Kunstfragen keine Brücke bilden, über die man gehen kann.
Eine wahre Angst befiel mich damals zuweilen, daß ich zwar zeichnen und malen lernen könnte, aber das Bildersehen draußen ausblieb! Dabei waren wir wahrhaft bescheiden in unserer Selbsteinschätzung – waren davon durchdrungen, daß Lehrer und ältere Kollegen die uns fehlende Erkenntnis besaßen, und wir mühten uns redlich ihnen nachzustreben.
Eine Überraschung hatte ich allerdings schon in Sachen »Bild« erlebt, als ich einige Schwarzwald-Studien von 1860 bei meinem Lehrer, Galerie-Inspektor Seeger, als Kohlezeichnungen bearbeitete – als »Karton«, wie man damals sagte. Zu meinem Erstaunen durfte ich dabei kaum etwas weglassen noch hinzufügen, sondern es wurde nur unter seiner Anleitung die Licht- und Schattenverteilung etwas gesammelt oder gesteigert. Da wäre am Ende die »Bildmäßigkeit«, dieses Buch mit sieben Siegeln, doch nicht so unnahbar! Aber ich traute doch nicht recht, so einfach konnte die Sache unmöglich sein! Inzwischen arbeiteten wir frisch drauf los – die Zukunft mußte ja zeigen, was nötig war.
Nun war für einen Nachmittag ein Bummel nach Höchst vorgeschlagen, und nach dem Mittagessen saßen wir rauchend in der Laube des Wirtsgartens; von diesem etwas erhöhten Standpunkt sah man direkt auf den Wasserspiegel des Mainstromes herab – davor der Leinpfad, auf dem die Zugpferde Schritt um Schritt die Lastkähne stromauf zogen. Drüben das flache Ufer mit Feldern – seinen Waldsäumen – noch weiter allerlei Hausgiebel von Dörfern und darüber in herrlicher Linie der dreigipfelige Taunus; schön geballte Sommerwolken belebten das Himmelsblau, und über die seinen Flanken des Gebirges mit den Orten Falkenstein, Cronberg und Königstein zogen langsam wechselnd bläuliche Schatten und zarte Sommerstreifen hinweg.
Wir hatten dies Bild jeden Tag vor Augen gehabt, aber heute kam für mich etwas Neues hinzu! Die herrlichen Wolken spiegelten sich nämlich in dem schwach ziehenden Wasserspiegel des Mains, nicht als richtiges Gegenbild, sondern als langgestreckte vertikale Bahnen – voller Bewegung und Leben und zwischen diesen beiden Elementen von Luftgebilden und Wasserfläche erschien die Tanuskette majestätisch und thronend in ihrer ruhigen Klarheit.
Ich war ganz wie abwesend in der Betrachtung des Schauspiels vor mir und suchte einen Vorwand, dem Bummel fern zu bleiben – denn die Sehnsucht, das Geschaute festzuhalten, schnürte mir die Kehle zu! Dabei wollte ich nicht von etwas reden, das noch nicht gemalt war! – endlich schoben die andern ab, und ich schleppte das Malgerät herbei!
Die Hauptsache war für mich die blitzartig gekommene Erkenntnis, daß hier ein Bild war – man mußte nur zugreifen, und zwar war es mir sofort klar geworden, daß es etwas Neues – Nochnichtgewagtes sei – ein Bild ohne Vordergrund! Für 1861 ein unerhörter Gedanke! Aber so viel stand fest, das Motiv des Taunus in der Mitte – Luft und Wasser darüber und darunter – damit war der Bildgedanke erschöpft, und ein Viertes war ausgeschlossen – konnte nicht mehr sein als eine nicht mitwirkende Abgrenzung der Wasserfläche nach vorn! Dem 19jährigen war an jenem Tage zumute, als habe ihm die Natur die Hand gereicht und ihn zum Vertrauten gemacht.
Der Herbst des Jahres fand mich in Düsseldorf als selbständigen Landschaftsmaler, doch hatte sich ein angesehener Künstler erboten, von Zeit zu Zeit nach meinen Arbeiten zu sehen.
Ich begann mit zwei Stoffen aus dem Hunsrück, Heidebildern nach Studien desselben Jahres, im Anschluß an Schwanheim, dann kam eine größere Leinwand für den »Taunus«. Hierbei gab es sofort Zwiespalt mit meinem Berater, denn gerade das, was mir an dem Stoffe wertvoll war, wurde als eine Unmöglichkeit bezeichnet, als Geschmacklosigkeit; ich würde mich lächerlich machen, und von Erfolg könne dabei keine Rede sein! Nun merkte ich, daß ich zu früh aufgestanden war, es war noch nicht Zeit für dergleichen, und wenn ich meinen Willen durchsetzte und meiner Überzeugung folgte, blieb der gekränkte Ratgeber weg! So nahm ich mir vor, zunächst ein Bild zu malen, wie es mir empfohlen wurde, und dann wollte ich später das Richtige schaffen, so wie ich es vor der Natur empfunden und geschaut hatte. Trotz des künstlich vorgebauten Vordergrundes mit Damm, Kahn und Schilf, durch die das Wesentliche – die Wolkenspiegelung – bis auf einen Rest verkümmert wurde, hatte das Bild in Düsseldorf einen gewissen Erfolg, es kam nach Darmstadt in die Kunstvereinsausstellung, wurde sogleich verkauft und gelangte in Besitz des Herrn Wendelstadt; zu, dem eigentlichen Bilde sollte es aber mehr Zeit kosten, als ich damals ahnen konntet Denn – zwei Jahre später gab ich entmutigt und künstlerisch gelähmt die Malerei auf und wurde Kaufmann. – Für 10 lange Jahre – erst 1875 kehrte ich wieder zur Kunst zurück.
Das Taunusmotiv war aber nicht vergessen, und 1897 gelang es mir, auf der Insel Sylt eine Wolkenstudie zu sichern, die genau derjenigen des Motivs entsprach – aber erst 1908, d.h. 47 Jahre nach dem Erlebnis – entstand das Gemälde: »Taunus und Main« zu meiner eigenen größten Genugtuung und Freude.
Die kleinen Ereignisse im Leben gehen uns oft näher und sind uns bedeutungsvoller als die großen.