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Ist man nur halbwegs bekannt, so kann man mit leichter Mühe zu Schwalbach an einen guten Tisch kommen, wo man eine gute Mahlzeit tun und herrlichen Wein trinken kann, zumal, wenn der Fürst von Nassau-Weilburg daselbst zugegen ist. Man kann wohl sagen, daß sein Haus eine rechte Niederlage für die Schmarotzer sei; man tut darinnen nichts als Trinken, Essen und sich auf eine angenehme Art die Zeit vertreiben. Ohne eine einzige Tafel in ganz Deutschland auszunehmen, kommt die Tafel des Fürsten von Nassau-Weilburg wenigstens den besten an Überfluß und Gefälligkeit gleich. Er hat jederzeit einen geschickten französischen Koch, gute Bediente, unvergleichliche Weine; und was alles dieses noch übertrifft, ist das gnädige Bezeugen gegen alle diejenigen, die man zur Tafel gezogen hat. Die Frau Fürstin, seine Gemahlin, ist die Freundlichkeit und Höflichkeit selbst; sie heget alle mögliche Gefälligkeit gegen ihren Gemahl, der sie seinerseits wiederum zärtlich liebt.
Die Fürstin nimmt gemeiniglich an der einen Tafel und der Fürst an der andern den ersten Platz ein. Man läßt sich ohne Unterschied des Ranges bald an die Fürstentafel, bald an der der Fürstin nieder. Gleichwie auch sonst niemand als Standespersonen oder Kammerräte von Weilburg zugegen sind, denen man schmeichelt, weil jedermann dieser Herren benötigt sein kann, also befindet man sich allemal in einer guten Gesellschaft. Alle Gepränge sind von diesen Tafeln verbannt; man speiset daselbst abends und mittags mit gleichem Vergnügen und mit gleicher Schmackhaftigkeit.
Es sind wenigstens sechzig bis achtzig Personen, die alle Tage entweder bei dem Fürsten von Nassau-Weilburg oder bei dem Fürsten von Thurn und Taxis speisen. Wenn man diese Menge von Standespersonen abzieht, so bleiben gewiß nicht viel Wassertrinker von gutem Stande in den Wirtshäusern.
Wenn der Fürst von Thurn und Taxis zu Schwalbach ist, hat er immer eine kleine Oper bei sich, die ihm überall nachfolget, welches für die Wassertrinker eine große Ergötzlichkeit ist. Sie brauchen nur aus dem Spielsaal in den anderen herunterzugehen, wo die Oper ist, und so folgen die Belustigungen ziemlich nahe aufeinander. Alle zwei Tage ist Konzert, Ball und Oper. Das Konzert und der Ball kostet die Wassergäste nichts; der Fürst von Nassau-Weilburg nimmt sie ganz allein auf seine Rechnung.
Die großen Herren in Deutschland können überhaupt mit wenig Kosten ziemlich gute Musikanten haben. Sie sind unumschränkte Herren über ihre Untertanen, also lassen sie etliche Bauernkinder auf eine zu ihren Diensten sich schickende Art auferziehen. Solchergestalt haben sie unter der Menge ihrer Bedienten, die ihren Hofstaat ausmachen, Leute, die auf allerhand Instrumenten spielen. Sie haben ordentlicherweise einen Kapellmeister, dem man einen ansehnlichen Sold gibt.
Dabei ist noch zu merken, daß nur bloß der Adel auf einem Ball zu Schwalbach tanzet, doch läßt man auch wohl einige Herren Kammerräte von Weilburg diese Ehre mitgenießen, denn was nicht adelig ist, darf sich auch nicht unter den Adel mischen. Gleichwohl kann jedermann dem Ball und dem Konzert beiwohnen, er muß aber hinter den Stühlen sich aufhalten. Dieses ist ein Gebrauch, von dem der deutsche Adel nicht das geringste nachläßt. Es ist in Deutschland nicht genug, wenn man in Betrachtung gezogen werden will, daß man Vermögen habe und etwas draufgehen lasse, sondern man verlangt auch noch, daß man ein Mensch von gutem Herkommen sei. Bei diesen Umständen kann ein jeder, der gilt, alle Ergötzlichkeiten der Gesellschaft mitgenießen.
Der Versammlungsplatz, wo man spielt, nebst den Spaziergängen, die umher gehen, kann gar wohl 800 bis 1000 Personen fassen. Ich habe allein bei dreißig Spieltische von allerhand Arten darin gezählt, worunter an vielen ohne den Einsatz von noch nicht zehn Weißpfennigen ganze Hände voll Gold ungezählt zugesetzt wurden. Bei alledem ist doch viel zu wagen, denn alle Landstreicher, die den Wessen im ganzen Reich beiwohnen, kommen nach Schwalbach und machen Bank. Vornehmlich trifft man allda viele Sachsen und Piemonter an, welche in allen Arten von Spielen geschickte und erfahrene Leute sind. Es befindet sich auch jederzeit unter denjenigen, die verlieren, einer, der um ein Ansehnliches betrogen wird.
Die Juweliere von Genf spielen in Schwalbach so possierliche Rollen, daß es wohl angebracht ist, etwas davon zu erwähnen. Einige darunter sind als Edelsteinhändler bekannt. Sie laufen von einem deutschen Hof zu dem anderen, um da ihren Handel zu treiben. Andere hingegen, die wie Edelleute leben, unterlassen nicht, sich in den besten Wirtshäusern einzufinden. Wenn sich nun die auswärtigen Kaufleute unaufhörlich um die vornehmen Herren herummachen, so fangen diejenigen Genfer, die sich mit dem Degen an der Seite das Ansehen von etwas Rechtem geben, von den Edelsteinen und Galanteriewaren an zu reden, weil sie sich auf die Sache verstehen. Die deutschen Edelleute nehmen sie auch öfters mit zu Ratgebern, wenn sie die benötigten Sachen einhandeln wollen. Die verschlagenen Genfer machen nun, daß an dem gar zu hohen Preis, den man anfangs den deutschen vornehmen Herren abgefordert hatte, ein ansehnlicher Rabatt gewonnen wird. Dabei ist es aber ausgemacht, daß diejenigen Genfer, die sich für Edelleute ausgeben, gemeiniglich die Handelsherren selbst oder doch Kameraden derjenigen Kaufleute sind, die die Edelsteine verhandelt haben. Ist es ihnen gelungen, daß sie einen deutschen Edelmann hinters Licht geführt haben, so werden sie sogleich unsichtbar und suchen ihr Glück in anderen Bädern.
Es ist kein großer Unterschied unter der Lebensart, wenn man die Wasser in Frankreich trinket, und unter derjenigen, die man bei dergleichen Umständen in Deutschland beobachtet. In Frankreich wird man bei solchen Gelegenheiten es niemals für gut befinden, mit Edelsteinen und köstlichen Kleidern ein Aufsehen zu machen. Die deutschen vornehmen Herren hingegen und ihre Gemahlinnen legen zu Schwalbach alle ihre Reichtümer aus. Sie lassen dasjenige sehen, was sie von bester Wäsche, von Kleidern und Diamanten besitzen. Winter- und Sommerkleider, alles kommt zum Vorschein. Das verursacht an den Tagen, an denen Ball und Konzert ist, einen ziemlich schönen Anblick.
Außer den Bällen, Konzerten und Opern befindet sich auch eine deutsche Komödie zu Schwalbach, der es an Beifall bei den Damen und den Bürgerlichen nicht ermangelt, obgleich tausend grobe Späße darin vorkommen, worüber die Deutschen dennoch von Herzensgrund lachen. Der Harlekin auf der Bühne, oder besser zu sagen, die lustige Person, nennt sich Hanswurst. Diese Wurst ist hinten und vorne, und das Wort wird in einem Stück wohl zweihundertmal wiederholt. Ein Stück habe ich spielen sehen, in welchem ein spielendes Frauenzimmer auf der Bühne in Ohnmacht fiel. Der Hanswurst brachte ihr hierauf statt der Arznei einen Teller voll Bratwürste mit den Worten: »Es gibt nichts Kräftigeres als dieses, die Schwachheiten und Unpäßlichkeiten des Herzens zu rühren!« Dabei bezog er sich auf das Urteil der anwesenden Damen.
In diesen sehr schlecht ausgeführten Komödien gehen viele seltsame Begebenheiten vor und dienen insgemein den Verliebten zur Zusammenkunft. Es ist in diesen Versammlungen kein Platz von dem andern unterschieden. Ringsherum befinden sich schlechte Sitze, wo sich jeder einflickt, so gut er kann. Die Standespersonen setzen sich allerdings allemal gerade vor die Schaubühne. Würde sich ein Bürgerlicher dort befinden, so würde man ihm nicht erst viel gute Worte geben, einer Dame von hohem Stande Platz zu machen.
Die Juden halten an einem von dem Brunnen ziemlich weit entfernten Orte einen Spielsaal. Dahin geht man und vertreibt sich mit einem kleinen Spielchen die Zeit, erleidet aber auch manchmal einen großen Verlust.
Der Spielsaal stößt an die bedeckten und bei Abendzeit sehr dunklen Spaziergänge. Doch muß man sich da nicht zu weit verlaufen, denn diese Gänge sind voller Banditen und Beutelschneider, die um diese Zeit anfangen, darin ihren Aufenthalt zu nehmen. Es geschieht beständig, daß einer in dieser Galgenvögel Netze fällt. Er hat dann keine obrigkeitliche Hilfe zu erwarten, wenn ihm ein Unglück zustößt, weil man der Schuldigen nicht leicht habhaft werden kann und überdies Schwalbach an viele unterschiedliche Staaten grenzt, wohin sich die Räuber nach verrichtetem Streich auf einige Tage verlaufen.
Die Beutelschneider sind so verwegen, daß es schon öfters geschehen ist, daß sie von einem Teller weg einen silbernen Becher entwenden, wenn ihn der Bediente seiner Gebieterin auf einer silbernen Schale reichte. Auch haben sie, während der Brunnenmeister dem Bedienten den Becher mit Wasser füllte, die silberne Schale vom Geländer des Brunnens weggenommen.
Die Quelle des Schwalbacher Brunnens entspringt an der Höhe des Ortes. Sie ist sehr reich und bricht mit Gewalt hervor. Der Brunnenmeister reicht einem allemal den Becher voll grübelnden und perlenden Wassers, das weder etwas Widerwärtiges noch einen übeln Geschmack, wie andere mineralische Wasser, bei sich führt. Man kann daselbst im Schatten unter einigen ziemlich übel gebauten Bedeckungen umherspazieren. Da aber die meisten Leute sehr frühe das Wasser zu trinken pflegen und es in diesem, von den Bergen ganz eingeschlossenen Tal ziemlich kalt ist, so kann man ohne Beschwerlichkeit die Wärme der aufgehenden Sonne vertragen.
Die Kaufleute haben, wie allenthalben, wo Wassertrinker zusammenkommen, auch bei dem Brunnen ihre Läden.
Von den Brunnenknechten und den Frauen, die am Brunnen Hilfe leisten, wird nichts gefordert; ein jeder gibt ihnen von Zeit zu Zeit, was er will, und diese kleinen Freigebigkeiten werden allemal mit vieler Höflichkeit angenommen.
Auf einem Erker bei dem Brunnen hält sich ein Trupp von Judenmusikanten auf, die ohne Aufhören allerhand Tänze aufspielen. Einer von ihnen kommt von Zeit zu Zeit herunter und geht mit dem Hut herum, in den dann ein jeder hineinwirft, was ihm beliebt. Diese musikalische Zusammenstimmung ist sehr lustig und abwechslungsreich. Man gibt sogar vor, daß sie viel dazu beitrage, das Wasser mit leichterer Mühe hinunterzubringen, denn weil die Geister in Bewegung sind und durch die Musik auf eine angenehme Art gerührt werden, so verrichten auch die körperlichen Gliedmaßen ihre Schuldigkeit mit weniger Mühe.
Diese Judenmusikanten sind an den Balltagen nicht übel zu gebrauchen, weil sie alle Arten von Arien und Tänzen, die in anderen Ländern gebräuchlich sind, innehaben. Schwerlich wird man anderwärts eine bessere Bande mit Violinen antreffen. Sie dienen auch den ausländischen Kavalieren zu großer Bequemlichkeit, wenn sie rein aus Neugierde den Brunnen besuchen und sich ein Vergnügen daraus machen, den Damen die neuen Tänze ihres Vaterlandes zu zeigen. Das gibt einen großen Zeitvertreib und macht die Bälle viel lebhafter, als sie ohne das sein würden.
Die Deutschen haben durchgehends von dem Wasser, das sie zu Schwalbach trinken, wenig Nutzen. Es fällt auch gar nicht schwer, die Ursache davon zu begreifen. Die Mannspersonen, von welchem Stande sie auch immer sein mögen, beobachten daselbst wenig Ordnung und trinken viel ausländischen Wein, den sie vornehmlich in der Zeit schmackhaft finden, in der er sie nichts kostet. Die Frauen denken gleichfalls an nichts als an Ergötzlichkeiten; sie gehen sehr spät schlafen, spielen und tanzen stark. Gemeiniglich pflegt es daher zu geschehen, daß sie während der Zeit, während der sie hier Wasser trinken, die Ärzte brauchen müssen.
Schwalbach ist derjenige Ort der Welt, wo sich diese Herren Arzte am besten auf die Marktschreierei in ihrer Kunst verstehen. Kein einziger ist darunter, der nicht seine besonderen Kräuter habe, durch die man die mineralischen Wasser laufen lassen muß, ehe man sie trinkt. Sie wissen die Tugenden und wunderwirkenden Eigenschaften ihrer Kuren ungemein herauszustreichen. Sobald man sich den Händen der an diesem Orte befindlichen Ärzte überläßt, muß man sich entschließen, alle Tage einige Arzneien einzunehmen. Man mag sich in einem Zustand befinden, in was für einem man nur immer will: sie verstatten nicht, daß man unterlasse, täglich eine vorgeschriebene Menge Wassers in sich zu gießen. Oft zwingt sie auch der Eigennutz, wider ihr Gewissen zu reden, denn die wohlgebautesten Häuser dieses Ortes, in denen am gemächlichsten zu wohnen ist, gehören den Ärzten großer Städte entweder als Eigentum oder sind ihnen wenigstens verpfändet. So geschieht es denn, daß ein Kranker oder Fremder, der nach Schwalbach reist und vorher einen Arzt zu Frankfurt oder Mainz um Rat fragt, unfehlbar in ein Haus gewiesen wird, das entweder dem Arzt gehört oder aus dem er doch seinen jährlichen Nutzen zieht.
Es gibt zwar viele Quellen des mineralischen Wassers zu Schwalbach, aber man bedient sich nur einer davon. Man kann aber auch das Bad in einem mitten in dem Flecken gelegenen Hause benutzen, wo eine Quelle befindlich ist, die mit derjenigen, wo man zu trinken pflegt, fast einerlei Eigenschaft hat. Lieber verfügt man sich von Zeit zu Zeit nach Schlangenbad und bedient sich der dortigen Bäder.