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Nachdem die erste, von Gaugraf Gebhard in Limburg errichtete Kirche zugrunde gegangen war, erbaute im 10. Jahrhundert der Salier Konrad Kurzbold, der damalige Graf des Niederlahngaues, neben der Lintpurg, seiner auf dem Lahnfelsen gelegenen Feste, eine dem heiligen Georg geweihte Basilika. Er ist der erste eigentliche Nationalheros Limburgs. Trotz seiner kleinen Körpergestalt, der er seinen Beinamen verdankt, erscheint er uns als eine machtvolle Persönlichkeit von markanter Eigenart. Zu seinen geschichtlichen Verdiensten gehört, daß er Otto den Großen, seinen Vetter, durch Vernichtung der Herzöge von Franken und Lothringen, von denen er den ersten beim Brettspiel und den zweiten beim Besteigen des rettenden Kahnes bei Andernach niederstieß, erst in den ruhigen Besitz der Kaiserwürde setzte und ihm den Krieg mit den Slawen dadurch entscheiden half, daß er eitlen riesenhaften Sarazenen, der zum Einzelkampfe herausgefordert hatte, als ein zweiter David mit der Lanze durchbohrte. Auch erlegte er einstmals einen dem Käfig entsprungenen Löwen, der auf den König losstürzte, mit einem Schwertstreich. An Klugheit ragte er nicht minder hervor als an Kühnheit. Das Volk nannte ihn den Weisen, und der Kaiser machte ihn zu seinem vertrauten Rate. Er war es auch, der das Chorherrenstift gründete, das für die Stadt Limburg so bedeutungsvoll wurde und wohl infolge der Beziehungen Konrads zum Königshause von Ludwig dem Kind mit dem königlichen Saalhofe zu Oberbrechen, von Otto dem Großen mit dem Hofe zu Niederzeuzheim und von den Kaisern Konrad I. und Heinrich IV. mit reichem Grundbesitz im Westerwalde dotiert wurde.
Es bildete sich ein ganzer Legendenkranz um ihn, und seine Taten lebten lange in Liedern, die uns leider nicht erhalten sind. Auch die Silberschale hat sich nicht erhalten, die nach ihm der »Herzog Conrad« genannt wurde und uns als ein überaus »schon altes mazern holzernes Trinkgeschirr« mit silbernen Füßen beschrieben wird, groß, weit und innen mit einem Silberbelage bedeckt, in dessen Zentrum Konrad auf einem Throne sitzend in Gold und Silber kunstreich gebildet war.
So rauh, ernst und fest, wie dieser Mann uns erscheint, der Frauen nicht ansah und Äpfel als eine Leckerei verschmähte, mochte die Kirche gewirkt haben, die er baute. Sie mochte ebenso aus dem Felsen wachsen, wie die Kirche von Dietkirchen sich auf dem Reckenforst, der uralten Malstatt des Niederlahngaues, erhebt, auf dem Felsen, an dessen Fuße der Kahn mit dem Leichnam des heiligen Lubentius stehenblieb, der nach der Legende ohne menschliches Zutun die Mosel hinab, den Rhein hinüber und die Lahn hinauf geschwommen kam, damit der Schüler des heiligen Martins zur Tours an der Stätte begraben werde, wo er im 4. Jahrhundert den Christenglauben gepredigt. So ist uns die Lubentiuskirche nach dem Verfall der Conrad-Basilika gleichsam als die Ahnenform des Domes erhalten, der sich wie ein Phönix aus den Trümmern der vom Blitz zerstörten Stiftskirche erheben sollte.
Noch ragten von dem Burgfelsen die brandgeschwärzten Mauern der gewaltigen Ruine in den Himmel, als die alte Lahnbrücke ein seltsames Bild bot: Donnernd führte ein endloser Wagenzug die Steine zum Dombau herbei. Jahraus, jahrein zitterte die Brücke von den schwerbeladenen Wagen, die mit sechs Gäulen bespannt aus dem dunklen Torbogen kamen. Aus allen Gegenden kamen sie: die brachten milchbläulichen Kalkstein aus den Brüchen über der Lahn und aus dem Amte Walmarod; die mit ihren blusig gegürteten Ärmelröcken brachten Tonschiefer vom Rhein; die mit ihren Gamaschenriemen um die Waden brachten gefleckten Trachyt vom Siebengebirge; diese, deren Kittel aschenfarb waren wie der Tuffstein, den sie brachten, kamen aus der Eifel; und jene kurzgeschorenen mit den Leinwandhosen kamen mit schwarzgrünen Basaltlavablöcken, die zu den Säulen bestimmt waren, aus dem Westerwalde. Vor dem Brückentore hatte sich ein förmliches Marktleben entwickelt. Es hielten dort die Fronbauern aus Neesbach, Oberbrechen, Niederzeuzheim und allen Orten, die für die Fahrt auf den Domfelsen hinauf Vorspann leisten mußten, mit ihren Gäulen. Zu ihrem Zeitvertreib hatten Marketender Schenkzelte errichtet und Spielleute und Hansnarren in ihren Schellenkappen sich eingestellt. Die Hufschmiede hämmerten; vor dem Stand der Sattlerzunft wurden Peitschen probiert. Quacksalber und Pflasterschmierer trieben sich umher, die ihre Hilfe anboten, wenn die Pferde sich geschmissen oder – was oft geschah – beim Anziehen der schweren Wagenlasten, Funken aus den holprigen Steinen schlagend, niederstürzten. Auch war die Torwacht, die im Lederwams und Eisenhaube mit langem Spieße einherschritt, wohlweislich verstärkt worden. Denn allerhand bettelndes Gesindel bildete Spalier an der Straße, auf der die Fuhrleute mit gefülltem Säckel und entladenen Wagen zurückkehrten. Nicht selten mischten sich aber auch die schwarzen Brüder aus dem Inselkloster der Lahn in die Menge und teilten unter den graubärtigen Pilgern, die den Fortgang des frommen Bauwerkes zu schauen barfüßig hergewallfahrt waren, Almosen aus, oder einer der Braunkutten mit dem Strick um die Hüften trat unter die mächtige Uferakazie, die das Wasser mit ihren Blüten bestreute, und predigte einem allmählich sich füllenden Kreise beim Rauschen des schäumenden Wehrs von dem Drange zum Lichte, indem er zu der Höhe hinüberwies auf den werdenden Dom, auf dessen immer höher steigendem Mauerwerk die Arbeiter schwarz und schwindelerregend gegen den Himmel standen.
Stockwerk um Stockwerk baute sich das gewaltige Werk auf. Schon stand das Untergeschoß mit dem säulenumschlossenen Portal, das im Kleeblattbogen gipfelt und die Mitte einnimmt zwischen je zwei spitzbogigen Blenden. Mit reicher gegliederten säulchengeschmückten Spitzbogenblenden wurde das zweite Geschoß aufgesetzt, das rundum ein Bogenfries umzieht. Dann – indem die Höhe der Geschosse wachsend zunimmt – das dritte mit paarigen, säulengeteilten, schlankeren Blenden zu beiden Seiten des herrlichen neunäugigen Radfensters, über dem sich in der Höhe des vierten fensterreichen Geschosses der Giebel des Mittelbaues mit dreiteiligen Fenstergruppen und kleineren Fensterrosen erhebt, gekrönt von der Kreuzblume, welche die Gestalt des heiligen Georg trägt. Und durch die Galerie der Fensteröffnungen kommt Licht in den Stein; und Licht durchbricht mit einem Male das Spiegelbild im Wasser, das lange ein massiver Schattenfelsen war. Und das Licht wächst; ein Feenschloß tut in der Tiefe silberne Hallen auf. Das fünfte Geschoß mit durchbrochener Maßwerkzier in den Schallöffnungen ist vollendet. Und immer zauberischer schimmert durch die Arkaden des zackenreichen Wasserschlosses das Geheimnis der Tiefe, welches das Geheimnis der Höhe ist. Zwischen den Zacken von acht friesumzogenen Giebeldreiecken mit mannigfaltigen zierlichen Fensterbildungen steigen die kreuzüberragten Rhombendächer der beiden ersten Türme in den Himmelsraum.
Phantastisch inmitten des werdenden Werkes stand noch immer und diente als Gotteshaus die Ruine des alten Chors. Darum nahm man nunmehr den Chor in Angriff, den man um die alte Choranlage herumbaute. Erst als auch die Chorseite mit ihren beiden übereinanderstehenden Säulengalerien vollendet war, die sich mit ihren dunklen Öffnungen wie geheimnisvoll vergitterte Altane im Halbkreis um die steile Höhe des dohlenumflogenen grauen Lahnfelsens ziehen, wurde der alte Chor abgebrochen und das Querschiff mit seinen zwei Giebeln und Turmpaaren eingeschoben, die im kleinen die Motive und die Gliederung der Fassadentürme wiederholen. Und endlich, mitten unter den anderen Türmen herauswachsend und alle überragend, stieg aus ihrem achtblätterigen Giebelkelche die hohe Pyramide des Kuppelturmes empor, bis hoch hinauf gleichsam umdornt von den kleinen spitzen Türmchen zahlreicher Gauben.
Man darf, um die Bedeutung eines Kunstwerkes festzustellen, es nie mit späteren, nur mit früheren vergleichen. Bei einem Bau ist die Lage schon das halbe Kunstwerk. Es ist staunenswert, wie der Baumeister in Fühlung mit der umgebenden Natur stand, als er just einen Bau dieses Stils auf diesen Felsen stellte, wo sich weder ein hochgotischer Dom denken läßt – der wie ein Spielzeug gewirkt haben würde – noch ein romanischer, der schwer und ungefüge nur Stein gewesen wäre auf Stein. Nein, es ist, als hätte dieser Dom in dem Felsen längst geschlummert und nur auf das erlösende Zauberwort gewartet, um siebentürmig daraus emporzusteigen. Auf beherrschender Höhe mitten in weitem Tale gelegen; an inseldurchwachsenem Flusse, der sein Bild widerspiegelt; die Akropolis der Stadt; fern umrahmt von sanft geschwungenen Bergeslinien; niedrige Burghäuser dicht um seinen Fuß; wildes Buschwerk und brennenden Goldlack in den Spalten seines Felsensockels – verbindet er sich in Formen und Farben mit seiner Umgebung zu einem Gesamtbilde, von dem sich das Auge nicht trennen mag. Trotz seiner romanischen Grundform hat er infolge der Verlegung auf den Felsen, um dessen Höhe er selber an Höhe gewinnt, infolge der Nachbarschaft kleiner Burgwohnungen, an denen gemessen seine eigene Größe lebhafter in die Erscheinung tritt, infolge der reichen Anwendung von Spitzbogen, Streben, ornamentalen Fensterordnungen, Säulenstellungen und mannigfachem Einzelschmucke, hat er schließlich durch die Auflösung der Massen in sieben sich übergipfelnde Türme die romanische Gebundenheit überwunden und eine fast gotische Eleganz und Leichtigkeit erreicht, die den französischen Einfluß verrät. Wenn sonst bei groß angelegten Werken wegen der Unterbrechungen des Baues und des zwischenzeitlichen Wandels des Geschmackes die Arbeit verschiedener Zeiten häufig unvermittelt nebeneinandersteht, so ist hier eine Verschmelzung zweier Spielarten zu vollkommener Harmonie gelungen. Ohne Unterbrechung fortgeführt, wurde der Bau ein Werk aus einem Gusse. Während die Arbeiter auf den Turmgerüsten standen, meißelten in den Bauhütten zugleich die Steinmetzen an der Ausstattung des Innern; meißelten zierliche Kapitale, Säulenfüße mit schönen Eckblättern, blumig durchbrochene Steinleisten; meißelten Schneewittchen im gläsernen Sarge, von sechs Zwergen getragen – nein, die sechs Zwerge sind Bär und Löwe und singende und lesende Mönche, und auf der laubkranzumrandeten Bahre, die sie freischwebend tragen, liegt anmutig auf gefälteltem Laken mit dem Gaugrafenstab im Arme Konrad Kurzbold, der Held, ein Märchen in Stein, wie einst ein Märchen im Liede. Eine ganze Fabelwildnis zaubert ihr Meißel um das Taufbecken, unter dessen Säulenstämmen geringelte Lindwürmer hervorkriechen, und um dessen Schale zwischen Lilien und Laubgewinden ein Spuk von verrenkten und verbogenen Gestalten phantastisch aus dem Blattwerk der Kapitale steigt, gebändigt von Christus, der hoheitsvoll in ihren Reigen tritt.
In wie glücklicher Weise aber hier mit der starren Erdenschwere gebrochen war, zeigte sich erst, als die Bauhütten nun abgeräumt waren und das Domportal aufging. Noch war es nie geöffnet gewesen, und der Erzbischof von Trier, der den Tag vorher einsam mit Fasten und Beten zugebracht, stand auf der obersten Treppenstufe bleich davor und klopfte mit seinem Stab an die verschlossene Kirchentür. Aus den engen Gassen der Stadt war ein buntes Festgedränge unter dem Hufgetrappel glöckchenbehangener Rosse die Rampen zu dem Dome hinaufgeströmt und füllte nun tausendköpfig in atemlosem Schweigen den großen freien Platz vor dem Dom. Wieder klopfte der Erzbischof an die verschlossene Kirchentür, und als er zum dritten Male klopfte und mit dem Stabe das heilige Kreuzzeichen daran machte, da öffnete sie sich, und weinend vor Bewegung schritt der Erzbischof in den Rahmen des weiten Portals. Der Einzug in das hochgewölbte Kirchenschiff aber, in dem Weihrauchschleier schwebten und anstatt der Fenster farbensatte Teppiche zu hängen schienen, nahm kein Ende. Durch das Mittelschiff bewegte sich zum Chore hinter einem Edelknecht, der das Zepter vorantrug, ganz in Hermelin gekleidet der Dynast, gefolgt von Hofstaat und Ritterschaft mit Wappenmänteln und Standarten. In orange- und violenfarbenen Gewändern schlossen sich die Chorherren an. In die Arkaden der Seitenschiffe strömten die Zünfte ein, an lang bewimpelten Stangen runde Kränze mit den Zeichen ihres Handwerks. Vor den schwarzen Brüdern, den Bettelmönchen in ihren braunen und den Wilhelmiten in ihren weißen Kutten schritten Ratsherren und Schöffen in pelzbesetzten Talaren der Mitte zu. Oben hinter den Säulengalerien der Emporen leuchteten die weißen Kapuzen der Nonnen, und langsam rückte oben und unten die Prozession der umliegenden Pfarreien nach, mit einem Wald von Kirchenfahnen, die, mit Heiligenbildern geschmückt und von Quastenschnüren umhangen, grünseiden, rotsamten und golddurchwirkt über den Köpfen der Menge hervorragten. Und die Kirchenfahnen und die Scheiben und das bunte Gewoge der Menschen, darüber die Pfeiler und Gewölberippen, bemalt, als wären sie mit Wimpeln umwunden, verschmolzen zu einem Farbenrausch von maurischer Pracht. Auf dreiunddreißig Altären brennen hochgestielte Kerzen. In drei übereinander aufsteigenden Galerien lichten sich die Wandflächen zu belebtem Stabwerk von zahllosen Säulen und Säulchen; konsolengekrönte Stützen und Träger strahlen in einen Fächer von Gewölberippen aus, und graziöse Pfeilerbündel streben hüben und drüben in freistehender Schlankheit hinauf, um sich am Scheitel der Gewölbe in den Bogen des Rippenwerkes verjüngt zu vereinen. Und die Vergeistigung des Steines zu einem lichten Säulenwalde und der Rhythmus der beschwingt hinaufstrebenden Linien zieht auch die Seele der Menge empor, und in dem Dome, der selbst hinaufragt wie eine gewaltige Sinfonie, erklingt tausendstimmig das Menschheitslied einer neuen Himmelssehnsucht ...
Wer hat das Werk, in dem der Geist der Zeit jenen bedeutsamen Ausdruck fand, gebaut? Aber einer Säule des Portals ist ein Mann in Stein gebildet, der wie von Reisen heimgekehrt auf dem Stocke ruhend in schlichter Bürgerkleidung dasitzt und seit Jahrhunderten in dem Antlitz eines jeden, der ein- und ausgeht, zu forschen scheint, ob das Werk ihm gefalle.
Wer war er?
Des baumeisters Name ist ohnbekannt,
Man findet seines Gleichen nit in dem Land ...