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Das Haus der Brentano zu Winkel im Rheingau

Von Leo Sternberg

Wenn mit der Wende des 18. Jahrhunderts die Geschichte der nationalen Erneuerung einsetzt, so hat die Romantik daran wesentlichen Anteil. Sie war der Sehnsucht eines Geschlechtes entsprungen, das unter der Trostlosigkeit der politischen Verhältnisse, unter der Ohnmacht, Armut, Enge und Nüchternheit eines durch Fremdherrschaft ausgebluteten und gefesselten Volkes litt und der die Welt entgötternden Aufklärung oder dem Klassizismus, der mit Winckelmann das absolute Ideal von Kunst und Leben in der Antike sah, daher kein gläubiges Ohr mehr lieh. Obwohl sie scheinbar ein ästhetisches Lebensideal an Stelle des sittlichen der Klassiker setzte, handelt es sich doch nicht um eine Kunstbewegung, sondern um eine neue Weltanschauung, die auf einer mystischen Empfindung beruht. Denn unter der Urpoesie, die darnach alles durchdringen sollte, verstand man nichts anderes als die Immanenz des Göttlichen, in dessen zentraler Harmonie und magischem Universalismus die Gegensätze zwischen Glauben und Wissen, Phantasie und Wirklichkeit, Kopf und Herz versöhnt waren. Wissenschaft, Natursinn, Vaterlandsliebe erfuhren in einem so verinnerlichten, übersinnlichen, aus einem religiösen Zentrum gespeisten Weltgefühl höchste Belebung. So wurde auch die deutsche Dichtung von ihr auf heimatlichen Boden zurückgeführt. Doch wenn Friedrich Schlegel auch derjenige sein mag, der sie zuerst auf den Rhein als das treue Bild unseres Vaterlandes, unserer Geschichte und unseres Charakters verwies, so hat die spezifische Rheinromantik doch im Rheingau ihren Ausgangs- und Mittelpunkt, und das Haus Brentano in Winkel ist ihr Stammsitz.

Wohl haben Klopstock, Claudius, Hölty und Hölderlin ihre Rheinlieder gedichtet, aber der romantische Klang fehlt ihrer Harfe vollkommen. Anders verhält es sich mit Goethe. Wenn seine Rheingauerinnerungen in »Dichtung und Wahrheit« oder die Aufsätze von seinen Rheingaureisen in den Jahren 1814 und 1815 in ihrer wissenschaftlichen Sachlichkeit das Gefühls- und Stimmungsmäßige auch vermissen lassen, so bedeuten sie trotzdem einen Sieg der Rheinromantik. Denn sie bezeugen das unter ihrem Einfluß wiedererwachte Heimatgefühl des großen Kosmopoliten, das ihn auch zum deutschen Mittelalter bekehrte. Sicherlich hatten ihn die schwärmerischen Naturschilderungen Bettinas aus Winkel in das Brentanosche Landhaus dort gezogen, von wo er den Niederwald, Rüdesheim, Eibingen, Notgottes, Schloß Vollrads, Ingelheim und zum zweitenmal den Rochusberg besuchte, Wanderfahrten, die ihm das »St. Rochusfest zu Bingen«, »Im Rheingau Herbsttage« sowie die »Kunstschätze am Rhein, Main und Neckar« eintrugen. Die Fülle der geologischen, historischen, sozialen, volkswirtschaftlichen, landschaftlichen, kunst- und naturwissenschaftlichen Beziehungen, mit denen er darin den Rheingau umspannt, und die Tatsache, daß er als Fortsetzung der Aufsätze die Zeitschrift »Aber Kunst und Altertum« begründete und bis zu seinem Tode redigierte, verraten deutlich, daß der Rheingau auch ihn in seinen Zauberkreis gezogen hatte.

Wenn im Lande selbst Pater Bär aus Kloster Eberbach die Kultur des Rheingaus erforschte, in der Gerichtsrepositur zu Eltville eine Handschrift des Schwabenspiegels ausgegraben wurde, der ehemalige Franziskaner Kindlinger aus Neudorf und Bodmann die rheingauische Altertumskunde förderten, die Familie von Ostein das Jagdschloß auf dem Niederwald mit phantastischen Zauberhöhlen und Aussichtstempeln in hoch überm Rhein hängendem Parke schuf, so sind auch darin Auswirkungen der neuen Lebensrichtung zu erkennen.

Alle einheimischen Einzelleistungen treten jedoch zurück vor der seltsamen Erscheinung, der schon Bodmer Ausdruck verliehen:

Hier ist poetisches Land, das die Gabe vom Himmel empfangen, Dichter in seinem Schoß zu erziehn.

Denn tatsächlich wurde jetzt eine Landschaft zur schöpferischen geistigen Macht und formte sich eine Dichtergeneration, in der sie sich vermenschlichte. Es ist die balladeste Stromstrecke, die die Schiffer das Gebirg nennen, im Gegensatz zu den episch sich ausbreitenden Ufern oberhalb der Binger Lochbänke. Hier fand Brentano das Element, in dem er nach dem Ideal der Romantik Zauberer und Verzauberter zugleich sein konnte. Auf zwei Reisen, einer mit Arnim und einer mit Savigny, sog er die belebende Atmosphäre ein:

O, willkomm! willkomm! willkomm!
Wer einmal in dir geschwommen,
Wer einmal aus dir getrunken,
Der ist Vaterlandes trunken.

Mit blauer Halsbinde, roter Freiheitsmütze auf den schwarzen Locken und dünnem Rohrstöckchen, zu Fuß und zu Schiff ging es stromabwärts mit dem Vertrauten –

Der Braune trug die Laute,
Das Lied der Blonde gab –

und fast jede Örtlichkeit zwischen Winkel und Bacharach lieh seiner Dichtung Farben. Seine durch Rüdesheimer Schauplätze inspirierten Rheinmärchen, entzückende Gebilde volksmäßiger, mit alten Sagenzügen frei schaltender Phantasie, sind ebenso wie sein Roman »Godwi« von solchen Romanzen durchrankt, und manches, was er hier aus dem Munde des Volkes erlauscht, wurde bei der Überarbeitung des mit Arnim herausgegebenen »Des Knaben Wunderhorn« in diese erfrischende Volksliedersammlung eingeschmolzen, die durch ihre überraschende Urwüchsigkeit Epoche machte. Denn man fühlte darin den geborenen Schatzgräber der deutschen Seele an der Arbeit, dem sein Hang, sich das Leben zur Poesie zu machen, dabei trefflich zustatten kam. Wie er, auf der Rheinfahrt zufällig mit einem Theaterdirektor bekannt geworden, der ein neues Stück sucht, das Notizbuch zieht und das Singspiel »Die lustigen Musikanten« für ihn entwirft, so fand er in jedem, der seinen Weg kreuzte, in Bürger und Bauer, Mann und Weib, Wandergefährten, griff zur Gitarre und lockte alte Mären und Weisen, an denen der Mittelrhein so ergiebig ist, als reisender Spielmann aus ihrer Verschollenheit.

Wie Brentano, so durfte auch seine Schwester Bettina vom Rheingau sagen:

Wie Reben sich ranken
Mit innigem Trieb,
So, meine Gedanken,
Habt hier alles lieb.

Sich wesensgleich, wie Zwillingsgeister, entdeckte Bettina den Rheingau episch, wie ihr Bruder ihn lyrisch entdeckt hatte. Freilich ist ihre Prosa vollkommen in Lyrik aufgelöst, wie es nicht anders sein kann bei einer dämonischen Elementarkraft, die selbst bekennt: »Ich bin elektrischer Natur; alles Elektrische regt den Geist zu musikalischer, fließender, ausströmender Erzeugung.« Niemals hat eine Dichterseele solche Zwiesprache mit einer Landschaft gehalten, wie sie mit den rheingauischen Nächten, wo sie allein durch die langen, bis zum Rhein führenden Traubengänge ihres Winkeler Gartens geht, sich über die Mauer lehnt, ins Geplätscher der Wellen; ringsum »glanzverhüllt liegen die Berge da mit ihren Rebstöcken und saugen schlaftrunken das nahrhafte Mondlicht. Soll vielleicht der Mensch die Natur erlösen?« Sie fährt in laubbekränztem Nachen den Rhein hinab, um die hundertfältige Feier des Weinfestes an beiden Bergesufern mitanzusehen, während auf allen Ruinen große Tannen aufgepflanzt sind, um bei anbrechender Dämmerung entzündet zu werden; sie folgt den Prozessionen, die den steilen Rücken des Johannisberges hinaufklettern, um den Weinbergen Segen zu erflehen; sie durchstreift den nächtigen Bergwald mit dem Felsennest, das über dem schäumenden Bingerloch hinabsieht, wo die schlanken Dreiborde wie Eidechsen durch die reißende Flut am Mäuseturm vorbeischießen; morgens, abends, in Nebel, Regen und Sonnenschein ersteigt sie den Rochusberg, der von der Ferne lockt, so glatt und sammetartig, daß man ihn gerne befühlen, streicheln möchte; sie legt sich auf eine der Felsenplatten, die wie harte, kalte, heilige Betten aus der Wisper ragen, und läßt sich beregnen von den stürzenden Wassern; sie begleitet den Leinpfad entlang das fackelntragende Nachtschiff, dessen Schatten in dem erleuchteten Rhein wie ein Ungeheuer mitsegelt und mit grellem Feuer über die Auen flammt; liest, von der zuhörenden Bauernschaft umlagert, auf mondweißen Uferwiesen die Homerischen Gesänge – und verwebt dies alles in kristallenen Mitternächten zu jenen einzigen Naturevangelien, die voll sind von der Musik des Stroms und die Seele der Landschaft atmen, als fühle die Natur sich hier selig im Geiste des Menschen.

Sie richtete diese berauschendsten Stimmungsbilder in deutscher Sprache seit »Werther«, die später in ihrem Buche »Goethes Briefwechsel mit einem Kinde« erschienen, nach Weimar. Denn ihre Liebe zu dem Goetheschen Genie wie zu den Mächten dieser Natur flossen aus derselben Quelle, und ihr Verkehr mit beiden bewegte sich daher auf der »Geisterbasis des Übermenschlichen«, die sie in ihnen fand: »Als ich von meinem Bett aufstand in die kühle Nachtluft am Fenster, da war der Mond schon eine halbe Stunde aufgegangen und hatte die Welten unter sich getrieben ... Ich nahm das volle Laub des Weinstocks, der an meinem Fenster hinaufwächst, in den Arm ... Keinem Lebendigen hätte ich den Augenblick dieser Liebe gegönnt.«

So hat sie das Winkeler Landhaus, wo ihr »die Allmacht Gottes zu jedem Fenster hereinschaute«, zur Hochburg der Romantik erhoben und mit der überströmenden Zärtlichkeit ihrer franziskanischen Naturbefreundung der Landschaft des Rheingaus die gültige romantische Gestalt gegeben, wie nur ein sympathetischer Geist sie bleibend unserer Vorstellungswelt einverleiben konnte.

s. Bildunterschrift

F. Grant, Hof der Pfalz bei Kaub.

Blut von ihrem Blut pulst in ihrer Freundin Karoline von Günderode, die sich aus unglücklicher Liebe zu dem Geschichtsprofessor Creuzer in den Uferweiden von Winkel den Dolch in die Brust stieß.

»Erde, du meine Mutter, du, mein Vater, der Lufthauch,
Und du Feuer, mein Freund, du mein Verwandter, o Strom«

beginnt die Grabschrift, die sie sich selber wählte, und Novalissche Vorstellungen sind es, denen wir auch bei Bettina begegnen, wenn sie in ihrem »Mohamed« sagt: »Die Seele des Menschen stirbt nicht mit dem Tode des Leibes; sie steigt empor in den Raum der Gestirne und bildet sich einen Körper aus Luft, der alle Sinne hat wie der vorige, nur in einem höheren Grade.« Aber während Bettinas Drang, sich über das ganze Erdenleben hinauszuheben, immer von dem Flügel südlichen Temperamentes und rheingauischer Fröhlichkeit getragen ist, wendet sich bei Karoline von Günderode, auf deren Dichtung noch Ossianische Sturmwolken niederhängen, alles in Düster und Schwermut, ein Gegensatz, dem sie selbst den ergreifenden Ausdruck verliehen:

Phönix der Lieblichkeit,
Dich trägt dein Fittich weit
Hin zu der Sonne Strahl –
Ach, was ist dir zumal
Mein einsam Leid!

Die Novelle »Melück Maria Blainville«, in der Arnim das Andenken ihres »musenheiligen Lebens« ehrte, sowie das aus Erinnerungen und phantastischen Ausschmückungen gemischte Briefbuch »Die Günderode«, in dem Bettina der Jugendfreundin das Denkmal setzte, haben dazu beigetragen, daß auch die unglückliche Sängerin, deren »leerer Nachen im nächtigen Rheine treibt, zur Huldin jener Sagengaue« geworden ist. Als Urbild zur Ottilie lebt sie in Goethes »Wahlverwandtschaften« fort.

So wurde der Same der Romantik, der an dem Winkeler Stromufer aufgegangen war, von dem Brentanoschen Freundeskreise weiter ausgestreut, und bald hatten sich um die von Arnim, Brentano und Görres herausgegebene »Zeitung für Einsiedler« alle aufbauenden Kräfte der zerrütteten Nation gesammelt: die Brüder Grimm, Creuzer, Eichendorff, Fouqué und Uhland. Die Pflege des deutschen Geisteserbes vereinte sie alle und bereitete damit nicht nur den Boden für die vaterländische Bewegung vor, die der Druck des völkischen Schicksals allmählich unter ihnen auslöste, sondern verklammerte zugleich Grenzland und Mutterland aufs innigste, als die Fremdherrschaft ihren Zusammenhang gefährdete. Mit Recht konnte daher der Freiherr vom Stein sagen, daß in diesem Kreise ein guter Teil des Feuers sich entzündet habe, das später die Franzosen verzehrte.


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