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Limburg stand im Zeichen der Erwartung.
Kaiser Maximilian, der glänzendste Vertreter der neuen Zeit, sollte die Stadt besuchen, der Kaiser, der von seinen beiden Frauen die äußeren und inneren Werte der Renaissance als Mitgift empfangen zu haben schien, indem Maria die Großartigkeit Burgunds, Blanca Sforza die Bildung Italiens repräsentierte.
Tagelang schauten die Wachtposten von der Stadtmauer und dem Hundshause, dem äußersten Vorsprung des hoch auf dem Domfelsen gelegenen Friedhofes, über die Lahn hinüber auf die alte Heerstraße, die vom Rheine kommt; und ebenso lange ging die Bevölkerung schon auf vorsorgliche Anordnung der Zünfte in ihrer besten Kleidung, die Bürger in Schweizer Wams und Hosen mit braunschweigischen Mänteln darüber, die Landbauern in schnürenbesetzten roten Röcken und Eisenhauben; und den Ackergäulen, auf denen sie saßen, flatterten rote Bänder an Mähne und Schweif.
Nur den Winzern, die sich zu dieser Zeit in der Lese befanden, war es gestattet, den Herbst zu beenden. Denn es war ein gutes Weinjahr und den ganzen Dietkircherberg und die Offheimer Höhe entlang erschollen zu dem Holpern der gefüllten Faßwagen durch den Novembernebel fröhliche Lieder. Endlich eines Mittags teilte sich der Nebel und von der durchbrechenden Sonne vergoldet erschien der kaiserliche Zug.
Schon früher einmal war Maximilian durch Limburg gereist, damals so arm an Mitteln, daß seine Braut Maria von Burgund selbst das Geld zur Bräutigamsreise schicken mußte. Jetzt kehrte er siegreich aus dem Geldernschen Feldzuge zurück, und Limburg durfte als eine der ersten Städte ihn als Kriegshelden feiern. Sobald die Spitze des Zuges unter das Brückentor trat, erscholl vom Domfelsen der Horndreiklang der Scharwache, und sofort erhoben die Glocken aller sieben Kirchen der Stadt ihr mächtiges Geläute, während von den Türmen und dem Postengang der Stadtmauer herab die Trompeten bliesen. Wie zwischen lebenden Guirlanden fuhr der Kaiser durch das Volksgewimmel, das heilrufend und hüteschwenkend zu beiden Seiten der schmalen Gasse sich aufgestellt hatte, vor dem Rathause begrüßt von Bürgermeister und Schöffen in langen schwarzen und roten Gewändern, von den achtzehn Vikaren, den Domherren und dem würdigen Stiftsdechanten Johann Genshirn, der den Majestäten den Ehrenwein reichte. Neben dem Kaiser, der mit rotsamtenem Hut und Mantel des Ritterordens zum Goldenen Vließ und der Halskette mit dem goldenen Widderfell bekleidet war, saß in der Baldachinkarosse die Kaiserin in der hohen, von einem Mailänder Spitzenschleier bedeckten Burgunderhaube. Auch die geistlichen Kurfürsten von Trier und Köln in ihren Hermelinschulterkragen begleiteten den Kaiser. Sieben Bischöfe, zwölf Fürsten und achtzehn Grafen fuhren Wagen hinter Wagen vorüber. Man sah die Hühnengestalt des Feldobristen Frundsberg, des Vaters der Landsknechte, auf feurigem Brabanterhengst. Man sah Kunz von der Rosen, den lustigen Gesellschafter und beständigen Begleiter des Kaisers. Man sah Treitzsauerwein, den Geheimschreiber, mit dem Kaiser Max in seinen Mußestunden an dem Roman vom Weißkunig arbeitete. Man sah Peutinger und Cuspinian, die gelehrten Räte und wissenschaftlichen Berater Maximilians, sah einen ganzen Troß noch unberühmter junger Maler und Dichter, die der ewig-junge Fürst um sich zu versammeln liebte. Ein Fähnlein Frundsberger Landsknechte in Kugelbrust und Federhut beschloß den Zug mit seinem Hellebardenwald.
Das Dauborner Haus neben dem Beginenhof am Roßmarkt hatte man als kaiserliches Quartier bestimmt. Das Gefolge wurde in die kurfürstlichen Schloßwohnungen, in die Adelssitze der Propstjunker und die Häuser der angesehensten Bürger verteilt.
Man hatte das Winzerfest auf den Abend des Einzugstages verlegt, um den Gästen ein Schauspiel zu bieten. Ein Chor von Winzerinnen mit bänderdurchflochtenen Zöpfen eröffnete den Festzug, und unter den Tönen des Liedes »Ein Kaiser auserkoren, ein Kaiser ehrenreich«, das sich von Gruppe zu Gruppe fortpflanzte, zog der ganze Verlauf des Weinbaues in Bildern vorüber. Da kamen hinter der Fahne des St. Nikolaus, des Stadtheiligen, Bauern mit Eimern voll Stecklingen in den Händen und Bündeln von Rebenstäben über die Schulter. Es kamen unter der Fahne der Winzerzunft mit dem Limburger Kirchenwahrzeichen der »zwo dauben, die klauben an einem trauben« Arbeiter mit Winzermessern und Weidengerten. Es kamen die Leser mit Legeln auf dem Nucken; die Leserinnen mit Bütten auf dem Kopf – alle verschieden gekleidet nach den verschiedenen Lagen Creuch, Traubenhöhe, Weißerhelgenstock, Kaltloch, Hammer, Weinzehnte und Rottenberg. Da sah man das gute Weinjahr: Sechs Pferde, das Halfter an der Schläfe mit Trauben geschmückt und Goldpapierschleifen am Sattelzeug, zogen auf rebenumwundenen Wagen ein Riesenfaß, auf dem eine weinlaubbekränzte Schöne saß, während ein dicker Kellermeister am Zapfen des Fasses aus großem Pokal einen trunkenen Volksschwarm bediente, dem sich hinter einem treberstreuenden Hirten eine Herde von Schweinen anschloß. Dann kam das schlechte Weinjahr: Ein hängeohriges Grautier zog ein armes Wäglein voll dürrer Rebenblätter, das zwei Geißen von hinten berupften, und verarmte Wirte trugen die großen Stößel, mit denen man die Ratzmanntrauben stoßen mußte, die nicht nur so hart waren wie die Holzäpfel, sondern auch so schmeckten. Mägde brachten paarweise in gehenkeltem Zuber die Hausenblase an, mit der man den »treuben Wein« schönen mußte (»was sonst vorher eins Heimlichkeit unter den Kaufherren gewesen«). Auch die Pantscher kamen, die den Wein mit Weidasche versetzten. Es kamen die Küfer, die Böttcher, die Spundendreher, die Weinschröter (die ebenso wie die Limburger Salzträger wegen ihrer herkulischen Stärke berühmt waren), die Wirte und Meßfuhrleute, alle mit ihren Zunftschildern und den Fahnen der Schutzheiligen. Aber als der Zug vorüber war, schüttelte Kunz von der Rosen die schellchenverzierten Eselsohren seiner Narrenkappe und sagte trocken: »Vieh- und Krammarkt! Kram- und Viehmarkt! Wollen wir nicht ein Pantherfell umhängen und auf einer Kuh hintennach reiten?«
»Du hast recht, Kunz,« sagte der Kaiser, »aber laß uns nachdenken, wie wir sie aus Bauern zu Menschen erziehen von klassischem Geschmack.«
Und der Kaiser lud die Edlen und Räte von Limburg nebst dem Drompropst Opilio, dessen Gelehrsamkeit er hatte rühmen hören, zur Abendunterhaltung. Denn er trieb nicht allein selbst Sprachen, Geschichte und Medizin, schrieb nicht nur selbst Dichtungen sowie Abhandlungen über Gärtnerei, Kriegs- und Baukunst, sondern er war auch ein starker Anreger. Wie er die Dichtungen des Mittelalters sammeln ließ, die gelehrten Gesellschaften zur Pflege humanistischer Studien unterstützte, Reuchlin zum Lehrer der Beredsamkeit ernannte, Hutten zum Dichter krönte, Dürer, Schäufelein, Burgkmair, Peter Bischer Aufträge erteilte und das » Collegium poetarum« an der Wiener Universität gegründet, so wollte er im Kleinen auch hier wirken. Er bemühte sich, den Stadthäuptern zunächst verständlich zu machen, daß die Kunst kein Spiel, sondern ebenso wie die Wissenschaft ein erhabener Versuch sei, die letzten Ursachen des Daseins zu offenbaren. Aber ebenso wie die Wissenschaft Griechenlands und Italiens frisches Leben in die Forschung der Jetztzeit gebracht, so sei jetzt das Maß, der Adel und die Klarheit der antiken Kunst als das höchste Stilgesetz erkannt und das schön zu nennen, was Kraft, Gesundheit, einfache Größe und Freude an den Wundern der Welt ausdrücke. Nicht der anspruchslose Klausner, sondern der vollentfaltete Mann, der stolz sein dürfe auf seine Herrschaft über das Leben, müsse das Menschheitsideal sein, und wie die Künstler jetzt nicht mehr den Kopf allein, sondern die ganze Gestalt des Menschen darstellten, dürfe man keine Seite seines Wesens auszubilden vernachlässigen, so wenig wie er, der Gemsjäger und Schöpfer der Landsknechte, neben seinen Büchern die Stählung seines Körpers versäumt hätte. Wollte man es aber zu dieser breiten Entfaltung seiner Persönlichkeit bringen, so müsse man in weiträumigen Häusern wohnen, wie sie auf deutschen Bildern schon gemalt gewesen, ehe sie auf deutschem Boden erbaut worden seien; müsse sich mit Möbeln und Gerätschaften von edlen Formen umgeben, die das Auge erfreuten und dem gegenwärtigen Stande der Naturbetrachtung und Gelehrsamkeit entsprächen; müsse überall vom Leben Schönheit verlangen. Natürlich dürfe es sich nur um würdige Gegenstände handeln, damit man nicht länger von den Deutschen sage: »Wenn sie lieber Pferde und Hunde haben wollen, als Dichter, werden sie auch ruhmlos wie Pferde und Hunde dahinsterben.« Rohe Spaße würden mit Recht als »Läuten mit der Sauglocke« bezeichnet. Auch gäbe es höhere Aufgaben, als die Verherrlichung des Weinrausches und der Trunksucht. Das Winzerfest, das Lorenzo Medici einst veranstaltet habe, sei als Vermählung von Bacchus und Ariadne vonstatten gegangen, von einem Geiste beseelt, der sich in dem fünfzehnstimmig gesungenen Chore kundgegeben: »Wie schön die Jugend ist – Sie fliehet jedoch – Wer glücklich sein will, der sei es sogleich. – Es gibt keine Gewißheit auf morgen.« Darin sei alles einheitlich gewesen und hinausweisend übers Leben, nicht grotesk und nüchtern. Nun wolle er nicht der Nachahmung das Wort reden – und nichts hasse er mehr als in kaltem Latein zu sprechen – aber Schönheit, Weisheit und Harmonie könne man von den Alten lernen, ohne sich aufzugeben, denn sie hätten ewige Wahrheiten niedergeschrieben und ewige Gefühle in Stein gehauen, daß alle Völker zu allen Zeiten sich darin wiederfänden. Und er verwies rühmend auf das Vorbild des Limburger Propstes Opilio, der den Aristoteles, den Seneca, den Vergil, den Plutarch und die mit guten Holzschnitten und seinen Initialen geschmückten Werke, wie das Beichtbüchlein, das Sterbebüchlein und die Betrübnisse Marias in den schönen Wiegendrucken nach Limburg verpflanzt hat – die heute noch in der bischöflichen Seminarbibliothek aufbewahrt werden.
So sprach der Kaiser, und die Stadtväter hörten nachdenklich nickend zu, als erinnerten sie sich, irgendwann einmal Ähnliches gehört oder gedacht zu haben. In entfernten Gruppen aber standen der Erzbischof von Trier, der Graf von Walderdorff und andere Edlen umher und erwogen im stillen neue Baupläne.