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Der Übergang bei Kaub

Von W. O. von Horn

Oben auf den flachen Gipfeln der Kauber Berge verdeckte der alles umgebende Hochwald eine eigentümliche Tätigkeit. Hier arbeiteten russische Brückenbauer an den Rippen und dem Balkengebäude der Brückenschiffe, benagelten sie mit vielen Lagen geteerten Segeltuches und stellten so die ebenso eigentümlichen als leichten und zweckmäßigen Unterlagen einer Brücke her, über die eine Armee mit ihren Kanonen und Transporten gehen sollte. Am Tage vor Neujahr war eine Brücke fertig, und in der Umgegend von Weisel, einem nassauischen Dorfe auf der Höhe des Rheingebirges, begann es zu wimmeln von Truppen, Artillerie und dergleichen. Es war die Vorhut der Blücherschen Armee unter dem Befehl des Generals von Hühnerbein.

Von Weisel führt durch eine äußerst enge Talschlucht eine Landstraße nach Kaub. Sie wurde heimlicherweise in den möglichst brauchbaren Stand gesetzt.

Kaum senkte sich der letzte Abend des an wichtigen Ereignissen so reichen Jahres 1813 herab auf das Rheintal, so zogen Kopf an Kopf in lautloser Stille die Truppen den steilen Gebirgsweg hinunter nach Kaub, und in dem ohnehin engen Raum des Städtleins füllte sich's so gewaltig, daß niemand mehr durchkommen konnte. Kein Licht durfte die Dunkelheit erhellen. Auf dem Raume, welcher zwischen den Ufern des Rheines und den Mauern des Städtchens teils von Gärten, teils von Lagerräumen und dem Wege eingenommen war, sah man keine menschliche Gestalt, als etwa einmal einen Offizier, der verhüllt, um sich unkennbar zu machen, das jenseitige Ufer zu erforschen kam. Das lag aber im Dunkel der Nacht so stille da, daß man das Branden der Wellen hören konnte. Die Häuser Kaubs, welche am Rheine stehen, zeigten kein Licht.

Mit der anbrechenden Nacht traf Blücher in Kaub ein. Kaum angelangt, begab er sich mit seinem Stabe nach dem an der Kirche liegenden Hause des evangelischen Pfarrers und eröffnete diesem, er habe sämtliche Schiffer der Stadt in die evangelische Kirche berufen lassen; er möge sogleich seinen Amtsrock anlegen und mit ihm zur Kirche gehen, weil er die dort versammelten Schiffer in Eid und Pflicht nehmen solle.

So völlig unerwartet das auch kam, so eilte der Pfarrer doch, dem Befehle des Feldmarschalls zu entsprechen. Sie traten in die Kirche, die nur matt erleuchtet war. Kopf an Kopf gedrängt standen in stummer Erwartung hier die Schiffer.

Der alte Blücher redete sie in kurzer, kerniger Weise an, eröffnete ihnen, daß seine Armee an der Pfalz übergehen würde, und zwar mit dem ersten Glockenschlage des neuen Jahres, und wie er dabei ihrer Beihilfe bedürfe und auf ihre Hingebung an die gute Sache rechne, da sie die Vorhut übersetzen sollten, weil das Schlagen der Brücke nicht in der zu wünschenden Schnelligkeit vor sich gehen könne.

Daß sie treu und mit voller Hingebung die Dienste leisten wollten, deren er bedürfe, darauf sollten sie nun den Eid schwören. Er wandte sich deshalb an den Pfarrer und bat ihn, die Eidesleistung vorzunehmen. Tief ergriffen von der hohen Bedeutung des Augenblicks sprach dieser nun die Schiffer an und redete in der überwältigenden Macht des hohen Gedankens, der aller Seelen erfüllte, so begeistert zu den Männern, daß sie im Hochgefühle dessen, was sie jetzt dem Vaterlande tun und leisten sollten, den Eid freudig schwuren.

Der alte Feldherr eröffnete darauf den Schiffern, sie müßten in der Kirche bleiben bis um Mitternacht, dann werde er sie holen lassen. Während in der verschlossenen Kirche die Herzen der dort Harrenden höher, aber auch nicht ohne Bangigkeit schlugen, rückten immer neue Truppen von der Weiseler Höhe in das Tal. Die Dunkelheit der Nacht ließ es zu, daß sie sich nun auch unmittelbar am Rheinufer ausbreiteten. Die Brückenschiffe waren angelangt, und die russischen Brückenbauer arbeiteten wacker daran, die Brettergasse auf den Rücken der Wellen des stark wogenden Flusses zu legen. Dennoch ging alles in möglichster Stille ab; nur das dumpfe Rollen der Geschütze, die den Berg herabkamen, hörte man durch die Stille der Nacht.

Wie leicht hätte der Übergang gewehrt, ein unermeßliches Blutbad an dieser Stelle angerichtet werden können, wenn auf den Bergen des linken Ufers nur eine Batterie gestanden und wohlbedient operiert hätte! Wie hätten die Kartätschen gewirkt, wo die Mannschaft auf dem engsten Raume Brust an Brust stand! Doch der besonnene Plan war mit der genauesten Kenntnis dessen, was man etwa zu erwarten hatte, entworfen und demnächst mit ruhiger Sicherheit ausgeführt worden.

Mit dem letzten Glockenschlage der Mitternachtsstunde wurde die Kirche geöffnet. Die Schiffer wurden an das Ufer des Rheins geleitet und beeilten sich, ihre Kähne, große wie kleine, in ruderfertigen Stand zu setzen; Lützows wilde Jagd, die freiwilligen Jäger, standen in der ungeduldigsten Erwartung, daß das Kommandowort erschalle, am Ufer; die Schiffer hatten die Ruder eingelegt und saßen auf ihren Bänken; aber der Befehl kam nicht. Als indessen die Glocke noch vom ersten Stundenschlag des neuen Jahres summte, da erging der Befehl. Die Kähne füllten sich; die Ruder griffen in die Flut, und ihr regelmäßiger, doch beschleunigter Schlag war der einzige Ton, der sich hören ließ. Rasch flogen die Kähne dahin und nahten sich dem linken Ufer. Doch die tapferen Lützower konnten es nicht erwarten. Sie sprangen in die Flut, die Büchse hochgehalten und wateten ans Land.

Kein Feind harrte ihrer, kein Schuß knallte, keine Kugel pfiff. Rasch, von einem der Wege kundigen Schmuggler geführt, stiegen sie den Berg hinan, während die Kähne hinüber eilten, um neue Scharen zu holen, die jenen folgten, und so ging es fort, bis die Brücke vollendet war.

Dieser Schmuggler war ein Schneider, namens Warroquier, ein Franzose von Herkunft, den Übelwollende als einen französischen Spion angegeben hatten. Er wurde zu Blücher geholt, und dieser bestimmte ihn zum Führer der Vorhut, unter der Androhung, daß, wenn der geringste Anschein von Verrat bemerklich sei, eine Kugel ihn niederstrecken würde. Er führte seine Aufgabe trefflich aus und schlug so die üble Nachrede und Verdächtigung nieder.

Unterdessen waren ununterbrochen die Befreier übergesetzt worden. Allein das Übersetzen in Kähnen hatte seine Schwierigkeiten; selbst bei dem Feuereifer der braven Kauber Schiffer ging es verhältnismäßig langsam, da die Kähne nur wenig faßten.

Der streng fließende Strom bricht sich gerade in seiner Mitte an dem Schieferfelsen, welcher die uralte Pfalz trägt. Er teilt sich dadurch in zwei Arme, und eben durch diesen Umstand legt sich hinter der Pfalz, rheinabwärts, ein Sandbank an, die weit hinabreicht, die Überfahrt erschwert und kundige Schiffer heischt, um nicht den Kahn festzufahren. Sie muß vorsichtig umschifft werden; alsdann aber faßt des Stromes linker Arm den Kahn und wirft ihn mit großer Gewalt abwärts ans linke Ufer, wo er leicht umschlagen kann, wenn nicht wieder die nötige Vorsicht angewendet wird. Schwere Ladung erschwert die Mühe und Arbeit. Alles drängt sich in die Kähne! Jeder wollte zuerst ans französische Ufer, und so kam es, daß meist die Kähne nur wenige Zoll Bord hatten. Dabei war's eine sehr dunkle Nacht. Begreiflich ist es, daß die Überschiffung der Pferde in sogenannten »Nähen«, breiten, flachen Fahrzeugen, noch schwieriger war. Der Kunst und dem treuen Eifer der Kauber Schiffer gelang es indessen, den Vortrab ohne Unglück und Nachteil überzusetzen, mit einer Aufopferung, welche sich bis tief in den folgenden Tag keine Ruhe gönnte.

Die Vorbereitung zu dem Brückenbau waren unter Blüchers Augen mit Anstrengung betrieben worden. Sein »Vorwärts« ruhte nicht. Er brannte vor Ungeduld, hinüberzukommen. Auch hier mußten die Schiffer helfen, weil sie das Flußbett genau kannten. Die Pfalz und ihre Felsen wurden der Stützpunkt der Brücke. Kaum aber war sie fertig bis zum jenseitigen Ufer, als des Stromes Gewalt einige Joch mit sich fortriß.

Da donnerte und wetterte der Zorn des alten, ungeduldigen Helden drüben am nassauischen Ufer, von dem er Brückenbau und Übergang leitete, wild auf. Wenn sie auch ziemlich schnell hergestellt wurde, so nahm die Herstellung doch eine geraume Zeit weg, und was konnte derweilen alles drüben vorgefallen sein, wo noch keine hinlängliche Truppenmacht stand, ja wo sie sich am schmalen Ufer nicht einmal gehörig entfalten konnte? Zu verargen war daher Blücher der Zorn nicht. Auf seiner Seele lag Schweres, und der Plan, den in Koblenz stehenden General Durutte abzuschneiden, konnte durch diesen Unfall vereitelt werden – und wurde es.

Während dieser ganzen Zeit ruderten die todmüden Schiffer unausgesetzt Mannschaften hinüber. Endlich war die Brücke fertig, fest und benutzbar, und nun begann der Übergang, Regiment an Regiment, Batterie an Batterie, bis nur einmal die in Kaub Eingezwängten alle hinüberkamen; dann begann der Zug ununterbrochen von Weisel herab durch das Tal. Da bog sich oft die leichte Brücke unter der Last; aber ob sie gleich, wie schon bemerkt, aus geteertem Segeltuch bestand, dessen Unterlagen die Schiffsrippen waren, so hielt sie dennoch vortrefflich und zeugte von dem praktischen Talente der Russen.

Noch am 1. Januar ging Blücher mit seinem Stabe über die Brücke, derselben Straße folgend, welche die Vorhut eingeschlagen. Sein entschiedenes Vordringen flößte den Langsameren Sorge ein, und man fragte an, was Blücher eigentlich beabsichtige. Er ließ melden: »Nach Paris müssen wir.«


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