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Er kommt!
Seit Jahren ist ihm sein Ruhm ins heilige Land vorausgeeilt. Er versprach den Kreuzzug bei seiner Krönung zum deutschen König und erneuerte dieses Versprechen bei der Kaiserkrönung; und nun ist er endlich im Begriff, es in Tat umzusetzen, obschon Papst Gregor ihn wegen seines Zauderns mit dem Banne belegt und immer noch nicht daraus gelöst hat. Mit gewaltiger Heeresmacht ist er an Land gestiegen und rückt auf Jerusalem heran: er, Friedrich der Hohenstaufe.
Die weiße Stadt liegt in schlummerndem Schweigen unter der Märzensonne da. Während sich in den Gassen erwartungsvoll das Volk staut, haben sich die Templer und Johanniter, die beiden einst von französischen und italienischen Pilgern gegründeten Ritterorden, in ohnmächtiger Wut in ihre Ordenshäuser zurückgezogen: vergebens hatten sie als Parteigänger des Papstes zu verhindern versucht, daß Friedrich mit El Kamil, dem Sultan von Ägypten, über die Herausgabe Jerusalems und der Küste Palästinas ein freundschaftliches Abkommen traf, wodurch ihm die Erfüllung seines Gelübdes wenn nicht verunmöglicht, so doch erschwert worden wäre; und so fühlen sie sich jetzt knirschend als die Geschlagenen des Tages, welche mitansehen müssen, wie ein von der Kirche Gebannter die heiligste Stätte der Christenheit betritt. Nur die kaisertreuen Deutschordensritter reiten in einer großen, feierlichen Schar, deren weiß auf die Pferdekruppen herabhangende Mäntel mit 400 dem schwarzen Kreuz den Anschein erwecken, als setze sich die Stadt selbst in Bewegung, zur Begrüßung des hohes Gastes zum Tor hinaus – unter ihnen, als Leibknecht des Großmeisters, Stephan.
Das hätte er sich auch nicht gedacht, als er vor einem Dutzend Jährchen durch eben dieses Tor an der Seite des alten Templers einzog! . . . Und er läßt seine Blicke über die dürre, steinige Landschaft hinschweifen, die er in der Folgezeit so oft durchritt als Aufseher der Güter des Tempelordens, auf denen Tausende von Sklaven den Boden bebauten und dabei elender gehalten waren als die Sklaven irgendwo in einem heidnischen Land; und ihn dünkt mehr denn je, als laure unter jedem Fels dieser schattenlosen, geröllübersäten Hügelgegend eine giftige Schlange und hinter jedem ihrer spärlichen Bäume eine Bosheit in Menschengestalt. Von der schlimmsten wurde er erst vor kurzem wund, als er hören durfte, daß Kaiser Friedrich das heilige Land durch Vertrag der Christenheit zurückgewonnen habe, und alsbald erkennen mußte, daß er trotzdem im Banne und der päpstlichen Partei nach wie vor verhaßt blieb. Was wollte denn der Papst? Lieber der Stärkere sein, als die Erfüllung der größten Sehnsucht aller Christen mit seinem Segen belohnen? . . . Und er kündete seinen langjährigen Dienst bei den Templern auf, stellte sich dem Großmeister der Deutschen Ritter vor und gefiel diesem so gut, daß er von ihm zur persönlichen Bedienung um sich behalten wurde . . .
Nun reitet Stephan an seiner Seite dem Kaiser entgegen, welcher Jerusalem, um das schon soviel Blut geflossen war, ohne einen Schwertstreich, nur mit der Kraft seines Geistes eroberte. Was mag er dem Sultan geboten haben, um ihn zu einem solchen Verzicht zu bewegen? Niemand weiß es 401 bestimmt; aber das Gerücht geht um, daß er ihm Beistand gegen einen feindlich gesinnten Verwandten versprach und mit ihm einen zehnjährigen Waffenstillstand abschloß. Um so wunderbarer erscheint allen die Gestalt dieses Herrschers, der jetzt nicht erst als Krieger, sondern bereits als Sieger der heiligen Stätte naht; und in Stephan steigt ein heißes Gefühl auf: Durchglühte nicht auch ihn und ungezählte andere Kinder, Knaben und Mädchen, eben dieser Wunsch, waffenlos und kampflos in die geweihten Mauern einziehen und in ihnen ein Friedensreich errichten zu dürfen? Es war also doch nichts so durchaus Unmögliches gewesen, was damals ihrem unseligen Kreuzzug als verführerischer Traum vorschwebte! Und was verschlug es, daß es ihnen nicht gelang? Wenn es nur gelang!
Aber groß und größer wird Stephans Erstaunen, wie endlich der kaiserliche Heereszug in Sicht kommt. Ist das noch ein christlicher Herrscher – oder nicht vielmehr ein heidnischer Gewalthaber des Morgenlandes, der unter diesem prunkvollen, von riesigen Mohren getragenen Baldachin reitet und sich mit Wedeln aus Pfauenfedern die Kühlung zu- und die Mücken wegfächeln läßt? Eilen ihm nicht junge Mädchen unter Gesang und Zitherklang voraus; und folgen ihm nicht in Kamelsänften die schönsten Frauen seines Harems, obschon er erst vor kurzem die Tochter des Johann von Brienne, der als König von Jerusalem galt, geheiratet hatte? Sollten die Schmähungen der päpstlichen Partei, die ihn beharrlich einen Ketzer nannte, der sich an seinem Hof mehr mit Ungläubigen als mit Gläubigen umgebe, doch nicht so unbegründet sein, indem er in der Tat eher dem König Salomo glich als einem weltlichen Statthalter Christi? Fast betroffen gewahrt Stephan, wie das Volk ihn mit jubelnder Begeisterung, und Himmel und Erde ihn mit 402 ihren süßesten Lüften und Düften, gleich einem eingeborenen König empfangen.
Jetzt stoßen die beiden Aufzüge aufeinander. Aus geringer Entfernung sieht Stephan den Händedruck zwischen dem Großmeister Hermann von Salza, seinem Herrn, und Kaiser Friedrich, dem Herrn der Welt, mit an; und er betrachtet mit unverwandten Blicken des Kaisers blondes Haupt mit den blauen Augen, die beständig in der Ferne zu weilen scheinen, und dem Lächeln um die schmalen Lippen, vor welchem jede Gegenwart zur überwundenen Stufe auf dem steilen Wege zum künftigen Ziel hinabsinkt. Laute Rufe der Huldigung umhallen, vielhundertfaches Blitzen hochgereckter Schwertklingen umflimmert diesen Einzigen, Längst-Ersehnten, Endlich-Erschienenen, bevor er selber mit seinem Zug, unter dem Ehrengeleite der weißen Deutschritter zu beiden Seiten, sich wieder in Bewegung setzt und sich so, eine immer größere Volksmenge gleich einem Kometenschweif nach sich ziehend, den Mauern Jerusalems nähert, welche ihm im milden Glanze der Abendsonne golden entgegenleuchten.
Am dichtesten gedrängt und in lautloser Erwartung steht das Volk zu beiden Seiten des Tores. Wird er hoch zu Roß einreiten? Wird er absteigen? Ein altüberliefertes Wort sagt, daß noch keiner, der stolz in die heilige Stadt hineinsprengte, sie lange beherrschte. Da – siehe! Der Kaiser zieht den silbernen Zügel an und stellt sein blendendweiß glänzendes Pferd. »Ich sollte im Sattel sitzen, wo mein Herr und Heiland zu Fuß gegangen ist?« Laut ruft er es, so daß alle es hören können, und springt ab. Und während er allein als erster, barhäuptig und ohne Baldachin, in das Tor hineinschreitet, wölbt sich das endlose Jubelgeschrei des Volkes als ein gen Himmel hallender 403 Triumphbogen über ihm und verläßt ihn, während er durch die Gassen zieht, so lange nicht mehr, bis er zusammen mit dem Großmeister im Ordenshause der Deutschritter verschwindet.
In feierlichem Empfangsmahl tafeln die Häupter des Ordens mit dem Kaiser; Ritter bedienen ihn, und ihre Leibknechte verwalten die Kredenz. So hat Stephan abermals Gelegenheit, den in der ganzen Welt bekannten und gefürchteten Mann aus nächster Nähe zu sehen: Schon lichten sich ihm auf dem Scheitel die Haare; und Gliederbau und Körperkraft scheinen so wenig stark und groß, als das Augenlicht scharf zu sein: jedesmal, wenn er von den angebotenen Speisen herausnimmt oder nach dem Becher greift, den ihm Stephan nachgefüllt hat, muß er erst genau hinsehen. Aber während er ißt und den Antworten zuhört, die die Ritter auf seine Fragen geben, hält er oft die Lider geschlossen und gleicht gerade dann, wenn der kühne Schnitt seiner Gesichtslinien allein spricht, einem Hellsichtigen, vor dessen durchdringendem Auge dieser Erdball keine Geheimnisse mehr hat.
Wie endlich die Tafel aufgehoben wird, und nachdem die allgemeine Verabschiedung vorüber ist, begleitet der Großmeister den Kaiser in sein entlegenes Schlafgemach. Stephan leuchtet den beiden Männern, in denen der feurige Wein von Jerusalem nachglüht, bis zu der Türe, wo der Kaiser mit einer gnädigen Gebärde, wenngleich etwas schwer und müde, auch den Großmeister entläßt. Aber ist es nicht, als besänne er sich auf etwas, das er ihm sagen möchte? Dreht er sich nicht noch einmal um, nachdem er die Hand bereits auf die Türklinke gelegt hat?
»Ich danke dir, daß du mir rechtzeitig von eurem lokalen Aberglauben Mitteilung machtest.«
404 »Von einem lokalen Aberglauben, Majestät?« stutzt der Großmeister, der sich bereits feinfühlig zurückziehen wollte. Denn hinter der Türe werden Zitherklänge hörbar.
»Nun ja – daß einer nicht lange König von Jerusalem bleibt, der zu Pferd in die Stadt einreitet . . .«
Und der Kaiser tritt in sein Gemach ein und verschwindet in der sich langsam wieder schließenden Türspalte, in welcher eben noch weiß zwei sich erhebende Mädchenarme im Ampelscheine leuchteten. –
Also alles war nichts als ein abgekartetes Spiel gewesen! Stephan findet lange keinen Schlaf diese Nacht: immer mehr beginnt ihn das Gefühl eines ungeheuren Betruges zu erfüllen und in ihm auch noch die letzten unversehrt gebliebenen Keime des Glaubens zu ersticken. Mit seinen fünfunddreißig Jahren, auf dem Zenith des Lebensbogens, vermeinte er zwar, schon manche Lüge durchschaut zu haben; aber er merkt, daß er erst jetzt, wo er neben Höhenmenschen steht, in die letzten Tiefen des menschlichen Daseins hinabblicken darf . . .
Morgen wird der Kaiser sich die Krone von Jerusalem aufs Haupt setzen: und jetzt verbringt er die Nacht, statt zu fasten und sich zu kasteien, im Kreise seiner Weiber! Aber ist das wirklich Sünde? Was Stephan von diesen Schönen gesehen hat, das dünkte ihn wie ein harmloser Menschenfrühling, unter dessen Blüten man viel Winterliches vergessen kann; und ob er gleich selber noch nie ein Weib berührte, so fängt ihm doch die Erkenntnis an zu dämmern, daß es auch für Kinder der Welt weniger darauf ankommt, was sie tun, als mit welcher Gesinnung sie es tun. Indem er sich darüber ertappt, daß er dem Kaiser, der Jerusalem der Christenheit zurückgewonnen hat, jede ihm zusagende Art Erholung gönnen mag, schilt er 405 sich aus und fragt sich doch immer wieder: Wie wird morgen die Krönung sein?
Sie ist so, wie er es voraussieht. In der ganzen Stadt ein Gären und Brodeln von Hunderttausenden von Menschen; ein betäubender Lärm sämtlicher heidnischer Blas-, Schlag- und Hackinstrumente, während der Kaiser mit seinen Deutschrittern vom Ordenshaus nach der heiligen Grabeskirche reitet: aber keine einzige christliche Glockenstimme von den Kirchtürmen herab, zu denen die Päpstlichen alle Zugänge verrammelt halten. Und selbst die lauteste Huldigung, aus noch so vielen irdischen Kehlen, kann ein christliches Herz nicht vergessen machen, daß der Himmel schweigt.
Da betritt auch schon der Kaiser die Kirche und nähert sich dem von keinem Priester verwalteten Altar, wo auf einem purpurnen Kissen goldgleißend und einsam die Krone von Jerusalem liegt. Er kniet erst in einiger Entfernung betend vor ihr nieder; und seinem Beispiel folgen die deutschen Ritter, die den größten Teil des Gotteshauses ausfüllen: dann erhebt er sich als einziger von ihnen, nimmt die Krone in beide Hände und setzt sie sich fest und sicher aufs Haupt, zugleich sich gegen die Ritterschaft und das Volk wendend, damit jeder die unglaubliche Tatsache erkennen und bestaunen kann. Und während manch einer ein plötzliches strafendes Wunder erwartet, das den Gebannten als Tempelschänder vernichtet, hört er in dieser Stellung unbeweglich die Verlesung einer Denkschrift an, in welcher der Großmeister Hermann von Salza ihn gegen den Papst verteidigt, ohne sich jedoch gegen den Bann aufzulehnen; und endlich nimmt er sich selber die Krone wieder ab, legt sie langsam und würdig auf das Kissen zurück und verläßt in feierlichem Zuge, gefolgt von seinen getreuen Deutschrittern, den Tempel.
406 Wie Friedrich auf seinem weißen Pferde durch die Kopf an Kopf von Menschen starrenden Straßen sich hindurch bewegt, bemerkt er plötzlich, daß von den Minarets kein Muezzin die Gebetstunde ansagt, obschon die Zeit dafür da wäre; und er vernimmt, der Kadi habe das, auf Befehl des Sultans, aus Rücksicht auf seine Anwesenheit verboten. »Warum?« ruft er mit lauter Stimme und lachender Entrüstung aus. »Ihr braucht nicht euren Glauben, nicht eure Gesetze zu ändern; selbst in meinem Lande nicht!« Und während dieses Wort durch das Volk fliegt und ihm im Sturme die Herzen der Eingeborenen erobert, reitet er vollends zum Ordenshause der Deutschritter zurück, woselbst ein abermaliger stundenlanger Schmaus das große Ereignis auf weltliche Art besiegelt.
Am späten Abend, nachdem alle andern Teilnehmer beurlaubt worden sind, sitzen der Kaiser und der Großmeister im Arbeitsgemach des Großmeisters, in müder, allmählich versandender Unterhaltung. Durch das offene Fenster schweift der Blick über die von verworrenem Freudenlärm durchhallte, geisterbleich in der Frühlingsvollmondnacht liegende Stadt; und herein wallen aus unsichtbaren Gärten süße, schwere Blütendüfte, wie ein warmer Gruß aus den tiefen Tälern, die auf drei Seiten zu ihrer Höhe emporschauen. Stephan steht bei der Kredenz, mischt den Wein, trägt Früchte auf und betrachtet die beiden Männer, welche ihm wie Gaukler vorkommen, die sich eine Ruhepause gönnen – und die auch von sich selber keine andere Vorstellung haben.
». . . So wäre denn die Komödie zu Ende gespielt!« redet der Kaiser aus seinen Gedanken heraus. »Zehn Jahre lang wird Jerusalem den Christen gehören; und nachher wird der Sultan es selbstverständlich zurückerobern. Aber was geht mich 407 die Zukunft an? Jetzt brauche ich diesen Erfolg, dem Papste zum Trotz; und habe ihn darum auch jetzt gehabt . . . Übrigens sollte der heilige Vater mir nicht geringen Dank wissen . . .«
»Ich zweifle sehr daran!« läßt sich bedächtig der Großmeister vernehmen. »Es wird ihn im Gegenteil unsäglich wurmen, daß ein von ihm Gebannter zustande gebracht hat, was allen andern, obschon sie seinen Segen hatten, mißlang . . . Aber das ist Kirchenpolitik . . . Nicht das Paradies, nicht die Erlösung gilt der Kirche als Hauptsache; sondern daß sie der einzige Weg dazu ist und bleibt . . .«
»Du kannst ihn ja fragen, wenn du auf deiner Reise nach dem Norden in Rom vorsprichst!« wirft Friedrich mit einem Lächeln hin. »Du steht ja mit ihm auf gutem Fuß . . . Und wenn er mich etwa einen Ketzer schilt, so frag ihn gleich, ob ich es auch hierin bin, daß ich allen Ernstes glaube, ich sei der Kaiser und nicht er! . . . Überhaupt: Was heißt das: Ketzer!? Aller Glaube ist für die Menge da; das Nicht-Glauben für den einzelnen. Der Glaube ist der Hebelarm der Kraft, an welchem wir Millionen Menschen mit dem Drucke unseres kleinen Fingers, ja, mit einem bloßen Wort lenken . . . Wohin gerieten wir, wenn auch der Steuermann benebelt wäre?«
Der Kaiser hat sich erhoben, tritt mit seinem Becher an das offene Fenster und tut einen langen Zug.
»Du kannst ihm übrigens sagen« – fährt er, wieder mit ernster Stimme fort – »daß ich gern die von ihm gewünschten Ketzergesetze erlasse . . . Wenn der Glaube nicht geschützt wird, wie taugte er dann noch etwas in unsern Händen? Wie könnte ich zum Beispiel deine Ritter den heidnischen Preußen auf den Hals schicken, wenn es nicht im Namen des wahren Glaubens geschähe, den zu verbreiten ein gottgefälliges Werk ist? Bis 408 ans Ende der Welt wird es so bleiben, daß unsereiner sich von Missionaren den Weg ebnen läßt! Sind meistens brave Leute, mit dem Wert eines guten Werkzeuges und im Grunde nicht anders beschaffen als wir: Gott im Herzen und den Teufel im Leibe . . . Aber Schluß mit der Politik. Gehen wir zu Bett! Hoffentlich hast du ebenfalls etwas Weibliches, um dich von diesem Tag zu erholen . . . Für mich gibt es hier leider kein allzu langes Ausschlafen! Mein neuer Schwiegervater ist mit des Papstes Segen in mein Sizilien eingefallen, während ich mir ohne jede geistliche Unterstützung die törichterweise von ihm beanspruchte Krone von Jerusalem aufsetzte. Tolle Welt – aber ich werde schon mit ihr fertig werden . . .«
Der Kaiser und der Großmeister schreiten abermals durch die einsamen, hallenden Gänge. Stephan leuchtet wieder mit der Fackel bis zum Schlafgemach: und es ist ihm, als werde ihre Flamme nicht nur von dem durch das Gehen verursachten Luftzug bewegt, sondern noch mehr von dem seelischen Strom und Sturm, der von diesem erstaunlichen Menschen ausgeht und die ganze Welt in Atem hält! Diesmal verabschiedet sich der Kaiser vom Großmeister mit einem stummen Händedruck; und während Stephan auch noch seinen Herrn zu seinem Schlafraum geleitet und den etwas Beschwerten mit gutem Anstand zu Bette bringt, tönt aus dem andern Flügel des Palastes, von holder Stimme gesungen, ein Liebeslied herüber, als läge darin das Geheimnis aller Weltlichkeit und alles weltlichen Erfolges.
Und dann steht Stephan plötzlich allein in seiner Kammer, allein am offenen Fenster. Also der Kaiser hatte nicht aus Frömmigkeit, sondern nur dem Papste zum Trotz Jerusalem der Christenheit zurückgewonnen? Er kann nur noch einen Gedanken fassen und festhalten: Fort von dieser Stätte seiner 409 Jugendsehnsucht, an der ihm sein letzter Jugendglaube erstorben ist! Und sein Blick schweift über die Häuser hinweg in jene Tiefe hinunter, die tiefer ist, als irgendeine andere auf dieser Erde: das tote Meer . . .
Da bringt der nächste Morgen abermals eine große Aufregung mit sich. Nachdem der in Akkon residierende Patriarch von Jerusalem den Kreuzfahrern umsonst den Besuch der heiligen Orte während der Anwesenheit des Kaisers verboten hatte und auch durch die Verweigerung der Krönung nicht hatte verhindern können, daß Friedrich selber sich krönte, ist jetzt in seinem Auftrage der Erzbischof von Cäsarea eingetroffen und belegt die Stadt Jerusalem und jede Stadt des heiligen Landes, die den verhaßten Gebannten beherbergen sollte, mit dem Interdikt. Stephan kommt eben zur Pforte hinaus, wie der geistliche Würdenträger mit seinem Gefolge vor dem Ordenspalast erscheint und seine bereits in der Stadt bekannt gemachte Verwünschung Friedrich, der ans Fenster getreten ist, ins Gesicht wiederholt; und er hört auch des Kaisers Antwort, welche einem wirklich christlichen Empfinden entspringt und von so edlem Zorne durchbebt ist, daß er trotz allem ihn darum lieben muß – »So sollen denn die heiligen Orte, welche so lange unter der Herrschaft der Heiden seufzten und endlich mit Gottes wunderbarer Hilfe befreit wurden, durch dieses schmähliche Untersagen alles Gottesdienstes dem alten Elend aufs neue preisgegeben werden?«
Tags darauf zieht Friedrich, allen unerwartet, mit seinem Heere und der Masse der Pilger, die sich nur in seinem Schutze sicher fühlen, zu den Mauern hinaus und strebt in Eilmärschen der Küste zu. Sind es nur die Sorgen um sein bedrohtes Erbland Sizilien oder auch die hohe Absicht, durch seine persönliche Gegenwart die Größe seines eigenen Werkes, der Befreiung 410 Jerusalems, nicht länger zu verdunkeln, was ihn den heiligen Ort so rasch läßt aufgeben? Hermann von Salza, der Ordensmeister, und viele Deutschritter reisen mit ihm – aber keiner betrachtet ihn so unablässig, so nachdenklich, so tiefsinnig wie Stephan der Leibknecht . . .