Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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5. Im Harem

»Schwester? – Schwester?«

Ellenor wacht auf, tief erquickt. Sie liegt auf einem weichen Lager; in einem Gemach, welches mit farbigen, wunderlich gezeichneten Teppichen behangen und ausgelegt ist. Und vor ihr steht lächelnd ein Wesen, ähnlich gewandet, wie sie schon am Hafen eingekleidet wurde.

»Schwester – wir wollen dich alle lieb haben!«

Und sie kniet vor Ellenor nieder und küßt sie zärtlich auf die Wange.

»Du – du sprichst meine Sprache?« Ellenor stützt sich auf.

»Und habe dein Schicksal gehabt. Seeräuber führten mich mit sich fort und verkauften mich im Hafen. Und jener rettete mich, der auch dich gerettet hat.«

267 »Wer hat mich gerettet?«

»Er, den sie den König der Wüste nennen und der unser Vater ist. Er, der uns liebt, wie wir uns selber lieben; und weil wir uns lieben. Wir sind seine zwölf Blumen, seine zwölf Frauen –«

»Und ich?«

»Du bist die zwölfte!«

»O! O! Wenn bei uns ein Mann mehr als eine Frau hat, so ist es eine Sünde. Und wenn er auch nur zwei Frauen hätte, sie würden sich hassen –«

»Warum sollen wir uns hassen? Hassen sich die Blumen, weil sie alle von derselben Sonne beschienen werden; oder weil jede eine andere Farbe hat und anders duftet? Wenn Allah uns nicht verschieden gewollt hätte, würde er uns verschieden geschaffen haben?«

»Allah?«

»Allah! Ja! – Und er, den wir wie einen Vater lieben, hat uns nie eine Schwester gebracht, die wir nicht als Schwester hätten lieb haben können.«

»Wo ist er?«

»Auf der Reise mit seinen Kamelen. Gestern brachte er dich zu uns; und heute ist er schon wieder in die Wüste hineingeritten. Bis er zurückkehrt, werde ich dich die Sprache gelehrt haben, die er und wir alle sprechen; und die Tänze, mit denen wir ihn erfreuen, wenn er in seinem Hause sich ausruht.«

»Wie heißt du?«

»Naemi. – Und du heißt Iras!«

»Iras?«

»Ja, so sagte er uns, daß er dich taufen will.«

268 »Und ich soll –? . . . Ihr nennt ihn Vater und seid seine Frauen zugleich?«

»Wir sind immer das, was ihm gerade Freude macht.«

»Das verstehe ich nicht.«

»O, du wirst es bald und gut verstehen . . . Siehst du, jetzt reitet er durch den gelben Sand, tagelang, wochenlang; achtet nicht der Stürme, nicht der Feinde, nicht der wilden Tiere; hat tags nur die heiße Sonne, nachts nur die kalten Sterne über sich. Und warum und für wen tut er das alles? Damit wir hier in Sicherheit und im Glücke leben. Ist das nicht genug, daß auch wir ihm mit allem danken, was wir sind – und was er nur immer wünschen mag, daß wir es seien?«

»Ich komme mir vor wie aus einem bösen Traum erwacht . . . Wir zogen aus, um den Heiden das Grab zu entreißen, wo unser Erlöser ruht; und wo wir durchkamen, mordeten sich die Menschen um eben dieses Erlösers willen! – Ist das Leben nicht furchtbar?«

»Das Leben ist, wie man sich's selber macht. Unser Vater macht es uns licht und schön. Sollten wir es ihm anders machen? Wenn wir ihm von dem Christengotte sprechen, lächelt er milde . . . ›Können wir uns nicht gegenseitig erlösen, Kinder?‹ sagte er einmal. – Aber komm jetzt, ins Bad!«

Und sie zieht Ellenor mit sich fort. Zum Gemach hinaus und in einen hochummauerten Garten hinein, wo Bäume und Büsche in der warmen Sonne blühen und duften. Und wo in einem langen, rechteckigen Teich, der mit hellen Steinplatten ausgekleidet ist, die braunen Glieder junger, mädchenhafter Frauen sich plätschernd bewegen – und jetzt plötzlich erstarren, während sich die Blicke den Ankömmlingen entgegenheben.

»Hier bringe ich euch die neue Schwester –«

269 Und schon wirft Naemi ihre Gewänder weg und streift Ellenor die ihrigen ab. Alle aber kommen und drücken ihr – wie Naemi es tat – den Schwesternkuß auf die Wange; und staunen sie an, und rufen ihr zu. Und Ellenor spürt wieder am ganzen Leibe die Liebkosung der Sonnenstrahlen und vernimmt freundliche Stimmen, die auch ihrem Ohr wie Sonne sind.

»Hörst du, was sie sagen? Du werdest unserm Vater süß sein. – Und jene beiden dort? – Ob er dich Orangenblüte oder Pfirsichblüte nennen wird! Oder sein holdes Lied aus der Ferne! . . . Schwester, wenn du ihn glücklich machst, wie sind dann auch wir glücklich!«

Und sie ziehen sie alle in die kühle kristallene Flut hinein, welche Ellenor wie ein stärkender Balsam um Glieder und Leib hochsteigt. Und in dem Wasser, das als klares Bächlein sanft durch den Garten dahergeströmt kommt und, am Ende des länglichen Steinbeckens, durch ihn weiter dahinfließt, plätschern und lachen sie herum und versuchen schwimmend die Kraft ihrer schlanken Arme – bis auf einmal ein Seitenpförtchen sich öffnet und eine Schar nackter Kinder hereinpurzeln, die sich, gefolgt und geführt von ein paar alten Mohrinnen, jauchzend ihre Mütter aussuchen. Auch Naemi hat jetzt auf jeder Schulter eines dieser kleinen Wesen und stützt ihnen die Füßchen mit den gespreizten Fingern ihrer Hände.

»Siehst du, die haben wir von ihm, weil wir lieb mit ihm waren . . . Hier die Buben sollen einmal werden wie er; und die Mädchen wie wir! – Sei getrost, Schwester, auch du wirst bald ein paar solcher Engel bekommen . . .« 270

 


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