Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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13. Nonne und Dirne

Er hat die andern, jüngeren Kinder vorausziehen lassen und setzt sich am nahen Waldrand neben die Quelle, um sich im Schatten und bei dem sprudelnden Wasser vom langen, heißen Nachmittagsmarsche abzukühlen.

Da tritt unter einem im Blust stehenden wilden Kirschbaum ein Weib mit gelbem Kopfschleier hervor und winkt und lächelt ihm zu. Ist das nicht eines der Waldfräulein, von denen die älteren Knechte gelegentlich erzählten? Heia, so sagt man, daß sie aussehen.

»Schöner Jüngling, wo wirst du heute Nacht schlafen? – Komm mit mir; ich weiß dir ein Obdach und sicheres Lager . . .«

Rupprecht schaut sie an und lacht. Lacht froh, wenn er denkt, 282 daß das Weib doch noch etwas anderes ist als eine keifende Meistersfrau in der Nachtjacke. Lacht verlegen, weil er bisher nur mit dieser Art zu verkehren gelernt hat –

»Kann allein schlafen, wenn ich müde bin –«

Eine neue Schar Kinder kommt auf der Straße dahergezogen, von einer bleichen Nonne in grauem Ordenskleid geführt. Kaum sieht diese den Jüngling und die Dirne, so schwenkt sie mit eifervollem Zorne vom Wege ab, über einer schlimmeren Gefahr ihre kleinen Schutzbefohlenen für den Augenblick vergessend. Schon von weitem streckt sie die Hand mit Kreuz und Rosenkranz gegen die Verführerin aus –

»Fort mit dir, du Schandweib! Dieser Jüngling gehört mir.«

Aber nur ein spöttisches Gelächter schallt ihr entgegen. Die Verwegene hat sogar den gelben Schleier abgenommen, so daß man ihr üppiges Haar sieht, und spielt mit dem zusammengeknäulten über ihrem Haupte Fangball, wobei recht anmutig ihre weiße Kehle sich strafft. Will sie selber so lange nach etwas haschen, bis man nach ihr hascht?

»Er wird schon sagen, wem er gehören will . . .«

Jetzt steht die Nonne neben Rupprecht. Sie legt schirmend den Kuttenarm um seinen Nacken, während er erstaunt auf ihre schmalen, keuchenden Lippen schaut. Sie braucht eine Weile, ehe sie zu Worte kommen kann –

»Sie will deine Seele zur Sünde verlocken . . . Glaub mir's, guter Jüngling, und schick sie weg . . . Heiß brennen die Gluten der Hölle!«

»Seine Seele magst du mit dir nehmen!« lacht die Dirne und schwenkt ihren wiederentfalteten Schleier wie eine Siegesfahne in der Luft. »Ich will seinen jungen Leib erlösen . . . Und er,. nicht du, mag sagen, ob's ihm lieb ist!«

283 »Der Leib ist des Teufels, die Seele Gottes!« keift die Klosterfrau ihr ins Antlitz. »Du sollst nicht durch den Leib auch die Seele von Gott abtrünnig machen!«

»Hat nicht Gott selber uns aus Leib und Seele geschaffen?« trotzt ihr fröhlich die Venusdienerin entgegen. »Aber wer nur noch Haut und Knochen ist wie du, der mag wohl lieber auf den Seelenfang ausgehen! – Sieh her, wie ich beschaffen bin, mein süßer Knabe!«

Und sie schlägt mit einem Ruck ihr Gewand auseinander und hält ihm mit beiden Händen, wie zwei frühe, eben reife Äpfel in Schalen, ihre rosigen, prall stehenden Brüste hin. Und schüttet aus weißen Zähnen ein jauchzend klingendes Gelächter über ihn aus, so daß ihr Wangen, Brust und Leib hüpfen und ihn zum Tanze der Freude einladen.

»Reiß ihr nur gleich das ganze Kleid herunter; und du wirst auch den Schmutz und die Pestbeulen sehen, die sie vor dir verbirgt!« geifert die Nonne. »Und wenn du mir's etwa nicht glaubst, so will ich dir's selber zeigen!«

Aber holla! Wie sie sich an die Dirne heranmachen will, schießen dieser die blauen Blitze aus den Augen. Und die kräftigen Arme holen zum Schlage aus, bereit, den Angriff mit gleichen, aber bessern Waffen abzuwehren.

»Zuerst will ich dir etwas deinen heuchlerischen Mantel lüften, damit er sieht, daß du nur aus neidischer Ohnmacht der Liebe fluchst! Du meinst wohl, weil du kein Weib mehr bist, soll er auch kein Mann sein dürfen? Wenn dieser Jüngling gerettet werden muß, so ist es vor dir und deinesgleichen, du Hexe –«

Und noch ehe Rupprecht es erwartet, fallen die beiden Frauen in lautlos kochendem Grimme übereinander her. Unter den 284 scharfen Nägeln der Nonne zerreißt im Nu der Flittertand der Dirne und läßt einen Nacken und Rücken, Arme und Flanken sehen, an denen alles weißblühende Rundung ist: vergebens sucht Rupprecht den prophezeiten Schmutz und die Pestbeulen zu entdecken! Oder werden sie etwa verhüllt von dem rötlichen Haar, das über soviel Herrlichkeit alsbald in Wellen hinwegrollt und ihr zum natürlichen Schleier wird, wo der gelbe, den sie trug, längst den zausenden Händen der erbosten Klosterfrau zum Opfer gefallen ist?

Doch allmählich verwandelt sich das Staunen des Jünglings in Widerwillen. Denn die Dirne merkt gar nicht, daß sie bereits Siegerin ist, sondern kommt sich als die äußerlich Unterlegene vor und müht sich vergebens ab, dem dauerhaften Ordenskleid der Nonne dasselbe Los zu bereiten, das ihre eigene leichte Gewandung erfuhr – »Du mußt mir auch herunter!« keucht und knirscht sie in einem fort und wird darüber in ihrer Wut so häßlich, daß Rupprecht sich zuletzt nicht mehr enthalten kann, aus dem Tümpel der Quelle mit der hohlen Hand reines Wasser zu schöpfen und es den beiden erhitzten Kämpferinnen anzuspritzen. Bald trifft es das vor Zorn blaß gewordene Gesicht der Dirne, welche in dem Bestreben, die Gegnerin zu entblößen, nur immer mehr den eigenen derben Körper freilegt, bald die von der ungewohnten Anstrengung geröteten Wänglein der Nonne, die über erstaunliche Widerstandskräfte verfügt, vermag aber weder bei der einen noch bei der andern abkühlend zu wirken.

Im Gegenteil: Nachdem die Dirne erkannt hat, daß sie ihre ursprüngliche Absicht, die Dienerin Gottes zu beschämen, nicht ausführen wird, beginnt sie gegen das verhaßte Betschwesterngesicht mit gekrallten Fingern einen Vernichtungskrieg, welchem die Nonne nicht gewachsen ist. Nicht nur weicht sie zurück; 285 sondern sie gerät dabei auch auf den vom Abfluß der Quelle schlüpfrigen Sumpfboden, gleitet aus und reißt, sich an den offenen Haaren ihrer entbrannten Widersacherin festhaltend, die wild Aufkreischende mit und unter sich: so daß sie sich auf einmal beide in den schönen gelben Bachblumen wälzen, bald die eine, bald die andere oben, wobei der auseinanderspritzende Schlamm sowohl den nackten jungen Leib der Dirne als auch das zähe, keinem Alter unterworfene Ordenskleid der Nonne über und über besudelt. Und außer dem Schlamm, in welchen jede die andere tiefer hineinzudrücken versucht, schlägt über ihnen das hellvergnügte Lachen der Kinder zusammen, die der Nonne gefolgt sind und in unbewußter Herzlosigkeit nicht die Not sehen, in welcher sich ihre treue Beschützerin befindet, sondern lediglich das belustigende Schauspiel, das sich ihnen darbietet.

Da rauschen die Wipfel des Waldes im kühlen Abendwind; und von dem wilden Kirschbaum wirbelt, gleich einem gütig überlegenen Lächeln, ein süßes Gestöber weißer Blütenblättchen auf die beiden in der Pfütze verkeilten Weiber hernieder, welche, bereits durch und durch angefeuchtet, allmählich in ihren kämpferischen Bewegungen erlahmen –

»Macht's miteinander aus!« ruft Rupprecht, wirft seinen Sack über die Schultern und greift, halb erheitert, halb angewidert, nach seinem Wanderstab.

Und wie die Nonne und die Dirne endlich voneinander ablassen und sich ächzend und schnaubend aus dem Morast erheben, sehen sie beide den jungen Mann, den sie sich gegenseitig mit soviel Haß und Ingrimm streitig machten, ruhigen Schrittes auf der Straße dahinziehen und um die nächste Waldecke herum verschwinden . . . 286

 


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