Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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26. Isas Einkehr

»Willst du nicht noch?«

Isa schüttelt ihren roten Schopf, zeigt lachend ihre weißen Zähne und schiebt den leeren Milchnapf von sich.

»Danke, Mütterchen. – Sonst wird mir das Gehen zu schwer . . .«

113 Und sie überblickt unter den hellgrün belaubten, weit vorgestreckten Ästen der Linde die blauduftige Ferne, in die sie heute noch hineinwandern muß.

»Es hätte dir nichts geschadet, Kind!« spricht ihr die Bäuerin zu. »Die Sonne und die frische Luft haben dich schon tüchtig abgezehrt. Und wer weiß, wann man dir's wieder so gern gibt . . .«

Aber Isa ist von der Holzbank aufgestanden und greift nach ihrem Bündel. Ja, wer weiß, wo sie wieder einmal so gern gelitten ist!

Drin in der Stube sitzt der gichtbrüchige alte Bauer am offenen Fenster und sagt nichts. Die Linde greift mit ihrem Gezweige nach rückwärts über die dürftige Hütte hinweg, ein Dach über dem Dach. Hier ist gut wohnen!

Gibt es wohl in der weiten Welt irgendwo ein Haus, über dessen Schwelle auch sie einst eine starke Hand und eine freundliche Stimme hereinführen und an den Herd geleiten werden? ›Hier soll dein und mein Heim sein‹? Das sind die Worte, denen ihre Seele entgegenträumt.

Sie sieht sich immer wieder um; möchte gehen und kommt doch nicht fort.

»Warum schüttelst du den Kopf, Mütterchen?« fragt sie, indem sie ihr die Hand zum Abschied reicht. Nur um den Augenblick hinauszuzögern, wo sie wieder allein sein wird.

»Weil ich nicht begreifen kann, daß ein Mädel wie du so in der Welt herumläuft . . . Nicht ins heilige Land, in den heiligen Ehestand gehörst du!«

»O, mich will keiner!« stößt Isa hervor und wendet sich ab, während ihr plötzlich eine rote Welle über das Gesicht flutet.

»Was keiner! Der Weg nach Jerusalem ist weit. Sieh 114 zu, daß dich nicht zu viele wollen! – Wenn nur einmal der König zum Rechten sehen und diese Landstreicherei verbieten würde!«

Da gräbt sich eine finstere Falte in Isas Stirn. Mund und Wangen erbleichen ihr immer mehr wie im Tode. Und jetzt zuckt gar ein Weinen um ihre Lippen, bevor sie die Worte formen:

»Das weiß ich besser . . . Es muß etwas an mir sein! Gleich am ersten Abend hat mich, als ich todmüde war, ein junger Ritter zu sich aufs Pferd genommen . . .«

»Siehst du!« schmunzelt die Alte. »Wundert mich gar nicht!«

»Ja, aber er hat mich in seinem Arm gehalten, als ob ich von Glas wäre; oder eine böse Schlange. Und da bin ich eingeschlafen. Und als ich wieder aufwachte, lag ich allein bei fremden Leuten auf einem Strohsack . . .«

»Und dann?«

»Da habe ich mich geschämt und bin noch vor Tag auf und davon gelaufen . . . – Siehst du, Mütterchen? – So!«

Und sie beinelt, das Weinen verbeißend und ihr letztes Wort aufs neue wahr machend, aus dem dünnen Schatten der Linde wieder in die volle Sonne hinaus.

Gott sei Dank! Das Wandern im Frühlingswind wird ihr den alten Mut und Trotz zurückgeben. Sie darf sich nicht so bald wieder zur Rast verlocken lassen.

Die grauhaarige Bäuerin aber schaut ihr nach, schüttelt den Kopf und wird aus der neuen Jugend nicht klug. Wenn ein junger Held einmal nicht glaubt, alles sei nur für ihn gewachsen, so ist's auch wieder nicht recht . . . Kinder! Kinder!

Isa wandert durch den Wiesengrund und blickt mit uneingestandener Sehnsucht nach den hohen Burgen, wo die Menschen miteinander leben und glücklich sind.

115 Was hat sie von Hause fortgetrieben? Die Flucht vor der Stiefmutter oder die Suche nach . . .? Eines ist gewiß: daß sie nicht mehr zurück kann; und auch nicht mehr zurück will.

Ob der junge Ritter wohl ebensoviel an sie denkt, wie sie an ihn? Und ob sie sich jemals wiedersehen werden?

Warum ist sie doch nur über den Bergrücken ins andere Tal hinübergestiegen!

 


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