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Das ist die ihm eigentümliche Art, an den Ketzerverfolgungen teilzunehmen. Er reitet in den hintersten Reihen, liest die von den Hufen seiner Vorgänger niedergeworfenen schönen Weiber und Mädchen zusammen und schleppt sie auf sein Wasserschloß an der Rhone. Warum sollten die wohlduftenden Blüten unter dem Unkraut des Ketzerglaubens nicht erst genossen werden, ehe man sie verwirft?
Diesmal aber hat er, der fromme Kreuzritter, einen besondern Fang gemacht: eine von den jungen Kreuzfahrerinnen, die von Norden her nach dem Meere unterwegs sind, ist ihm in die Hände gefallen. Dort liegt sie auf dem Lager und hört nicht, wie das Rauschen des Stromes durch die offene 132 Fensternische hereindringt, in der er sitzt, mit leise siedendem Blute den Augenblick erwartend, wo sie zum erstenmal die Lider aufschlägt. Oder will sie nicht erwachen? Täuscht sie den Schlaf nur vor wie ein armes, geängstigtes Tier, das der Welt zu entfliehen glaubt, indem es den Kopf unter den Flügel steckt?
Das Warten dauert ihm zu lange. Das Kesseltreiben vom Vorabend und die Anstrengungen des nächtlichen Heimrittes hat seine Jugend längst ausgeschlafen: ihn gelüstet nach einem neuen, andern, süßern Kampfe; und will der Partner nicht antreten, so wird er ihn rufen. Er tritt vor das bewußtlos ausgestreckte Pilgermädchen in dem braunen, zerschlissenen Gewand, drin letzte, verlorene Goldfäden sichtbar sind, und ist keineswegs erstaunt, wie es vor der stummen Forderung seiner Gegenwart plötzlich mit irr schweifenden Blicken sich aufrichtet.
»Wo bin ich?« stammelt Alix mit bleichen Lippen.
»Bei mir!« versetzt der Jüngling; und es klingt wie ein Frohlocken. »Auf einer Waldwiese habe ich dich ohnmächtig aufgehoben, niedergeritten von unsern Kreuzrittern, die den Ketzern auf den Fersen waren. Erinnerst du dich nicht mehr? – Ich habe dir das Leben gerettet . . .«
Aber da steht auch schon wieder das Bild des jähen Überfalls vor Alix' Seele und wirft dunkle Schatten über sie. »Habe ich Euch darum gebeten, Herr?« flüstert sie bitter und betrachtet ihn vorwurfsvoll aus ihren sanften brauen Augen. Und leise fügt sie hinzu: »Wo ist Eustachius?«
»Was Eustachius?« lacht der junge Mann mit dem kurzen schwarzen Schnurrbärtchen, setzt sich an ihre Seite und schlingt den Arm um ihren schlanken Mädchenleib, so daß ihr die erlittenen Quetschungen durch die Angst des Herzens hindurch schmerzend bewußt werden. »Ich bin jetzt dein Eustachius! . . . 133 Was wollen wir wetten: du wirst sehen, wir sind alle gleich – so wie auch ihr alle gleich seid!«
Mit einem Ruck schnellt Alix, sich losreißend, auf die Füße und eilt, vor Schwäche taumelnd, nach dem Fenster. Aber schon hat er sie erreicht und fällt von hinten über sie her, während sie sich zu nochmaliger Abwehr umwendet; und von der Wucht seines Anpralls in die Maueröffnung hineingeworfen, kommt sie unter seiner Last rücklings, das Haupt über der Tiefe, auf das breite Gesimse zu liegen. So hat sie einst ihren Vater über der fremden Frau gesehen! zuckt es ihr durch die wirbelnden Gedanken.
Er zieht sie lachend wieder herein; aber sie stößt ihn zurück und entrinnt ihm nochmals, obschon sie nicht weiß wohin. Neben der Türe steht ein Muttergottesbild: sie stürzt vor ihm mit flehend erhobenen Händen in die Knie; und wenn sie auch zu der Himmelsmutter emporschreit, so gelten doch ihre Worte ihm, ihrem Verfolger. »Hast du nie eine Mutter gehabt? Laß mich leben!«
Aber schon hat er sie in seine Arme emporgehoben. »Wozu anders habe ich dich gerettet, als um dich lebendig zu machen? Du kannst nachher noch zur heiligen Jungfrau beten; und dann mit dankbarerem Herzen! Oder gehörst du etwa auch zu den Ketzern, die dieses Leben verfluchen, das doch . . . so herrlich . . . sein kann?« Und ihr ohnmächtiges Sträuben vermag ihn nicht zu hindern, daß er sie mit sich trägt, sie wieder auf das Lager hinlegt, auf dem sie so lange schlummerte, und sich ihrer mit all den gewaltsamen Liebkosungen, deren eine unbedenkliche Jugend fähig ist, bemächtigt.
Nichts ist in Alix, was seinem Willen antwortete; jede Bewegung, schon jede Berührung ihres Leibes ist ihr Qual und 134 Mißhandlung. Sie kommt sich erniedrigt, verwüstet vor; und in all ihrem hilflosen Jammer steht das rührende Bild ihrer toten Mutter vor ihr und schmilzt der Abscheu vor dem Manne, der sie mit seinen Armen umschließt, zusammen mit dem dunklen Haß, den sie gegen ihren Vater nährte – »Eustachius! Eustachius!« schreit sie so laut an der Brust des fremden Jünglings, als wüßte sie, daß ihr Ruf von dem, welchem er gilt, schon in einer andern Welt vernommen werden muß. Und sobald die wilde Umklammerung, die sie als eine glühende Schmach empfindet, welche die Welt ihr antut, ermattend nachläßt, durchschüttert sie ein solch übermächtiges Grauen vor sich selbst, vor ihrem erzwungenen Weibsein, daß sie sich aufschluchzend von ihrem Peiniger losmacht und mit dem dunklen Willen, diesem bittern Dasein zu entrinnen, abermals nach dem Fenster eilt –
»Du bist die süßeste von allen . . . Bleib!« ruft der Jüngling, sich aufrichtend, ihr nach. Aber er ist diesmal langsamer im Verfolgen – und steht plötzlich nur noch vor der leeren Maueröffnung, durch welche von unten das klatschende Geräusch eines auf den vorbeiziehenden Wellen aufschlagenden Körpers hereindringt. Und wie er jetzt vorsichtig den heißen Kopf hinausstreckt und die Flußluft trotz der hochstehenden Sonne kühl an der Stirne fühlt, sieht er, schon erheblich entfernt, ein dunkles Kleid auftauchen, sich bewegen, aufs neue versinken und verschwinden.
Er läßt sich auf die eingenischte Fensterbank fallen und kommt eratmend allmählich zu sich. Etwas in ihm zieht ihn in den Fluß hinunter zu ihr, deren herben und doch so zarten Leib er soeben genossen hat: ein besonderer Klang ist ihm von ihr im Blute zurückgeblieben, ganz verschieden von dem Akkord, auf den die Weiber hierzulande gestimmt sind. Nach was auch wären die Sinne lüsterner als nach Seele? Sie hätte nicht 135 hinunterspringen sollen! Und zum erstenmal erfährt er, seinem Erlebnis nachstaunend, wie aus dem Pflanzgrund der Lust die dunkle Blume des Leides erblühen kann . . .
Unterdessen schwimmt Alix ertrunken in dem breiten Strom, schon weit weg; und nicht lange allein. Was für eine braune Mönchskutte wird dort vom Geäst einer Weide aufgehalten? Sie stößt daran – komm mit! –; und der tote Eustachius, als verstände er den Wink, macht sich los und treibt zusammen mit ihr weiter. Hat ihn der Schmerz um das verlorene Lieb, um das geopferte bessere Selbst, oder das Grauen vor der Gier des zügellosen Weibes, das wie ein Vampyr an seinem Marke sog, oder alles miteinander hierhergebracht?
So sind die verlorenen Leiber derer, die sich in der Seele angehörten, ohne es zu wissen wieder beisammen. In ebendemselben Flusse, in dessen Gequirle sie einst aus träumenden Augen über den Rand des Floßes hinabschauten, wallen nun ihre abgelegten Hüllen dahin, bald mit den Armen sich haschend, bald mit den Lippen zu flüchtigem Kusse sich streifend, bald im Auf- und Untertauchen neckisch voreinander fliehend. In einem bleichen, blinden Spiele holen sie all das nach, was ihre keusche Jugend in diesem Dasein versäumte . . .