Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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28. Gerolds Abenteuer

Rötlicher Apfelblust in dichtverzweigtem Geäst. Dazwischen da und dort ein Fleckchen süßer Himmelsbläue. Darunter ferne, grüne Hügelzüge.

Ihm ist, als habe er das schon lange geschaut. Aber erst jetzt begreift er dieses Augenbild als das, was es ist. Und sieht auch das gütige Gesicht des alten Mannes, dessen dürftiges 121 Haupthaar eben so weiß glänzt, als sein langer Mantel ihn schwarz umdunkelt.

»Wo bin ich?« flüstert Gerold. Und er fühlt dabei einen solchen Schmerz in Brust und Gliedern, daß er sein Vorhaben, sich aufzurichten, fürs erste gern wieder aufgibt.

»Du warst so klug, junger Held, dich von deinem Pferd gleich einem Arzt in die Hände werfen zu lassen! – Verstehst du mich?«

Der Greis tritt näher an das Bahrenlager, das er seinem Schützling in der freien, duftenden Blütenpracht hergerichtet hat. Er befühlt ihm vorsichtig erst die Stirne, ob sich keine Fieber einstellen wollen; dann längere Zeit den Puls, diesen Künder des Herzens. Endlich nickt er ihm befriedigt in die erstaunten Blicke hinein, um mit seiner Erklärung fortzufahren:

»Ja! Gestern Abend um diese Stunde kamst du über den Bach herübergeflogen, gerade dort in den alten Weichselbaum hinein. Deine Knochen waren stärker als seine morschen Äste, die vor dir zerknickten und dich langsam auf den Boden absetzten . . . Was für ein toller Ritt brachte dich hierher? Das möchte ich jetzt von dir wissen!«

Da zwingt Gerold vorsichtig und mit Anstrengung seine Glieder unter seine Botmäßigkeit, stellt, sich aufstützend, die Füße ins Gras und blickt um sich. Die Erinnerung, die ihm langsam zurückkehrt, gibt ihm auch die Kraft, die Schmerzen zu verbeißen. Er schämt sich des Abenteuers, an welchem niemand anders als er selber schuld ist.

»Ihr seht doch das Kreuz auf meiner Brust! Ich ziehe nach dem heiligen Land . . .« Und er schaut dem gütigen Greis in die Augen, ob dieser Aufschluß ihm wohl genüge. Und zweifelt doch selber daran.

Der Arzt lächelt.

122 »Auf einer so langen Reise pflegt man sich sonst bedächtiger vorwärts zu bewegen . . . – Bist du nicht einem Weibe nachgestürmt, mein Sohn? Denn von wirklichen, leibhaftigen Feinden, die dich verfolgten, habe ich nichts bemerkt . . .«

Gerold läßt seinen Blick an dem alten Manne vorbei und in das enge Bachtobel hinabgleiten. Der wilde Drang der Gefühle, der ihn beherrschte, als er seinem Tiere immer grimmiger die Sporen in die Weichen schlug, quillt abermals in ihm auf. Das verschlägt ihm die Rede, auch wenn er hätte antworten wollen, und macht ihn zu einer hilflosen Beute der heimlichen Wünsche seines Innern.

Der Arzt betrachtet ihn. Das ist nicht mehr der unerfahrene Jüngling, sondern bereits ein zur ersten Entfaltung seiner Liebeskraft herangereifter junger Mann! Und ohne Schwierigkeit entwirrt sich seinem hellsichtigen Schauen ein Schicksal, wie ihrer schon so viele seine Menschenkenntnis bereichert haben.

»Ich will dir sagen, was du dir selbst nicht eingestehst! . . . Du hast nicht nur eine unerwiderte Liebe vor dir, sondern noch eine unselige hinter dir! – Ist es nicht so? Es ist meistens so in der Jugend! – Und darum willst du im Grunde gar nicht mehr nach dem heiligen Lande, sondern zu diesem Dasein hinaus reiten . . .«

Gerold sagt nicht Ja zu diesem Krankheitsbilde; aber er widerspricht ihm auch nicht. Er reckt nur aufseufzend seine Glieder und spürt dabei wieder das schmerzhafte Reißen der Quetschungen, die er sich bei seinem Sturze zuzog. Es war doch etwas hoch von dem Borde dort drüben bis hierher in den Garten der alten Mühle, in welcher dieser Wunderdoktor haust und, wo früher das Mehl für die Gesunden gemahlen wurde, jetzt seine Sälblein für die Kranken reibt, die ihn von weither darum aufsuchen.

123 »Überhaupt« – hört er aufs neue die bedächtige Stimme neben sich – »was ist denn wieder in die Menschen gefahren, daß schon die grünste Jugend nach dem Wanderstabe greift? Niemand wandert, als wer sein Glück sucht; und wer suchte sein Glück, wenn nicht der Unglückliche? Besäße er es, er würde hübsch zu Hause bleiben!«

»Ist es denn nicht das Unglück aller Christen, daß das Grab unseres Herrn und Erlösers immer noch in den Händen der Ungläubigen sich befindet?« wagt Gerold einzuwerfen. Und keck geht er aus der Verteidigung zum Angriff über: »Habt Ihr denselben Glauben wie ich und könnt nicht nachempfinden, was heute wir Jungen fühlen?«

»Ja, ja. Wenn man sich aus seiner eigenen Not nicht zu erlösen weiß, so sieht man immer irgendeine fremde, bei der's einem leichter zu gelingen scheint! Was ist denn das heilige Land? Es wird ein Stück Erde sein wie hier; mit Menschen wie hier. Nur die unerfüllten Wünsche eurer Sehnsucht verleihen ihm den lockenden Schimmer und treiben euch ihm entgegen . . . Bin auch einmal jung und töricht gewesen! Weiß es, wie man ein Weib zu lieben glaubt und im Grunde nur seine eigene Kraft genießen will! Habe es nicht vergessen . . .«

Gerold will aufstehen und sich entrüsten. Aber bei der heftigen Bewegung betäubt ihn ein solcher Schmerz, daß er kein Wort mehr hervorbringt und, von einem plötzlichen Schwindel erfaßt, auf die Bahre zurücksinkt: er sieht nur noch, wie durch einen Schleier hindurch, zwei Knechte, die aus einiger Entfernung mit scheu-ehrfürchtigen Mienen auf den alten Arzt blicken und auf seinen Wink sich nähern. Und er hört die milde Stimme auf einmal wie entrückt:

»Tragt den Kranken wieder hinein! – Es wird kühl.«

124 Und tröstlich zu seinen Häupten: »Gedulde dich noch ein paar Tage, mein Sohn! Dann magst du weiterziehen, wohin dich das Herz treibt . . . Dein Pferd steht unterdessen im Stall. Es kann die Ruhe, dünkt mich, nicht minder gut als du brauchen.«

Gerold hört nichts mehr; er liegt wieder in der Bewußtlosigkeit seiner Schwäche. Seine Augen aber haben das Bild des im rosigen Abendhimmel blühenden Baumes seiner träumenden Seele weitergegeben, und diese leiht es den Gedanken zu willigen Verwandlungen. Er fühlt die Lippen der Frau, die ihn einst so glücklich machte, weich sich auf seine Lippen herabsenken; und er sieht ihre feinen Nasenflügel auf und nieder sich bewegen wie die Schwingen eines lautlos verschwiegenen Falters, der zu seiner Blume geschwebt ist und aus ihr Süßigkeit trinkt.

Nicht mehr das Mädchen, das ihn lockt, steht vor seinem inneren Auge. Jetzt, wo er hilflos wie ein Kind daliegt, ist es das auch in der Liebe wie eine Mutter schenkende Weib, das zu ihm tritt. Und alle jenen stummen Zärtlichkeiten, die nur der wissenden Überlegenheit zu Gebote stehen, durchschmeicheln seinen Genesungsschlummer.

 


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