Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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51. Papst Innocenz III.

»Es sollen mehr als siebentausend sein!« schließt der Kardinal seinen Vortrag.

Von den Albanerbergen, welche in tiefblauem Dufte ihre sanftgeschwungenen Hügellinien am Horizonte abzeichnen, wirft 237 die sinkende Sonne ihre goldenen Strahlen über die römische Campagna hinweg und durch die Fenster des Laterans herein. In dem dämmerigen Gemache leuchten sie so blutigrot aus dem Mantel des Kardinals, als wäre er der Hirt und Herr der Christenheit und nicht der gebrechliche, ganz in Weiß gekleidete Greis, welcher, aufmerksam vornübergebeugt, an seinem mit Pergamenten überdeckten Arbeitstische sitzt. Innocenz III. hat gehört und denkt nach.

»Diese Kinder beschämen uns,« sagt er endlich. »Sie ziehen freudigen Mutes aus, um das heilige Land zu befreien, während wir schlafen.«

»Aber sie werden ihr Ziel nicht erreichen!« versetzt der Kardinal. »Sie werden nur neues Ärgernis in die Welt bringen und selber untergehen dabei . . . Du, heiliger Vater, könntest mit einem Wort beides verhindern!«

Innocenz kneift die dünnen, blutlosen Lippen schärfer zusammen. Unter seinem weißen Käppchen scheint er, wie ein Schachspieler, verschiedene Möglichkeiten gegeneinander abzuwägen. Sein Auge ruht wohl auf den Pergamenten; aber vor sich im Geiste sieht er die Welt.

»Ich will es nicht verhindern,« fährt er dann wie im Selbstgespräch fort. »Denn diese Kinder werden das Gewissen der Erwachsenen aufwecken und sie vielleicht auf den Weg der Kirche zurückführen. Gelingt ihnen das, so ist ihr Opfer bezahlt und – ihre Ketzerei sei ihnen vergeben!«

»Du zählst sie zu den Ketzern, heiliger Vater?« fragt der Kardinal.

»So gut wie jene Irrlehrer in der Provence, die ich mit Feuer und Schwert bekämpfe. Auch diese Kinder wollen den Glauben erneuern; aber freilich den Glauben der Kirche, nicht 238 einen Glauben auf eigene Faust: und darum darf ich ihnen vergeben. Doch es ist niemals gut, daß der Glaube sich erneuere! Christus hat den Glauben gezeugt; in der Kirche ist er geboren worden und hat Gestalt angenommen; und wir Statthalter Petri haben ihm seine Gestalt zu bewahren und sein Wachstum zu fördern . . . Glaubst du, wir könnten die Macht, die in unsere Hand gelegt ist, vor den Menschen verantworten, wenn wir sie nicht vor allem dazu brauchten, um den Menschen den Frieden ihrer Seele zu erhalten? Die Menschen wollen nicht die Wahrheit; die Menschen wollen die Gewißheit und in ihr die Ruhe. Die großen Fragen des Daseins sind entschieden und sollen entschieden bleiben. Wer anders denkt, ist kein Freund, kein Vater der Menschen . . .« Er lächelt. »Wenn Gott dich dereinst an meine Stelle berufen sollte: hier hast du mein geistiges Testament! . . . Übrigens: Sind aus der Provence keine neuen Nachrichten eingetroffen? Wie steht es mit diesem Kreuzzug, zu dem ich die Ritterschaft des Abendlandes aufgerufen habe? Er ist noch wichtiger als der gegen die Heiden. Denn die Heiden halten zwar das Grab des Erlösers besetzt; die Ketzer aber wollen die Burg unseres Herzens erobern . . .«

Der Kardinal runzelt die Stirn.

»In einem Schreiben, das zahlreiche in Lavaur versammelte Bischöfe unterzeichnet haben, wird Deine Heiligkeit um Beistand gegen die ketzerische Stadt Toulouse ersucht!« Und er entfaltet eine Rolle, die er von Anfang an in der Hand hielt, und liest, da das ferne Sonnenfeuer erloschen ist, nicht ohne Schwierigkeit: »Wir bitten mit gebührender Ehrfurcht, kniend und unter Tränen, daß Ihr diese verruchteste Stadt mit all ihren Verbrechern, mit all der Unreinheit und dem Schmutze, der sich in dem aufgeschwollenen Leibe dieser giftigen Schlange 239 angesammelt hat, von Grund aus der verdienten Vernichtung anheimfallen lasset . . .«

Ein Knabe tritt mit einem brennenden Leuchter ein, stellt ihn, nachdem er einige Pergamente beiseitegeschoben hat, sorgfältig auf den Tisch und geht wieder hinaus. Es sind fünf kleine Flämmchen, die alsbald ruhig in der Dunkelheit stehen und den Raum erhellen. Sie gleichen brennenden Holzstößen, aus der Ferne gesehen.

»Hitzköpfe! Dummköpfe!« murmelt Innocenz vor sich hin, indem er das Schreiben unbesehen weglegt. »Die Anweisung für meine Legaten werde ich selber aufsetzen. Ich brauche hiefür keine Ratschläge . . .«

»Das ist alles!« fügt der Kardinal hinzu, der den fragenden Blick des Papstes auf sich ruhen fühlt. Er verbeugt sich und geht mit unhörbar leisen Schritten hinaus. Innocenz ist allein.

Neben dem vorgebeugten Antlitz des Papstes brennen still und rein die fünf Kerzen. Es ist Feuer von demselben Feuer, das schon auf zahllosen Scheiterhaufen gebrannt hat und noch weiter brennen wird. Zur Erleuchtung der Verstockten, die den Frieden der Gläubigen stören wollen.

In seinem Scheine taucht jetzt eine welke Hand den Federkiel ein und schreibt, langsam wie eine Spinne über das Pergament hingleitend, dort weiter, wo sie bei dem Eintritt das Kardinals stehen geblieben war –

»Insbesondere ermahne ich euch, daß ihr, so streng ihr gegen alle, auch die bloß Verdächtigen, vorgeht, vorläufig gegen den Grafen Raimund von Toulouse nichts unternehmt. Ihr sollt ihn vielmehr in der Meinung bestärken, daß es gar nicht auf ihn abgesehen sei, und zuerst die vielen kleinen Herren, die die Ketzerei beschützen, niederwerfen, damit er sich nicht etwa 240 rechtzeitig mit ihnen verbindet und sie so alle zusammen eine Gegnerschaft bilden, welcher obzusiegen kein Leichtes wäre. Nachher wird dieser furchtbarste Feind, wenn er allein dasteht, um so sicherer überwunden werden und so das Wort des Apostels Paulus an ihm in Erfüllung gehen: ›Dieweil ich tückisch war, habe ich euch mit Hinterlist gefangen‹ . . .!«

Innocenz hält einen Augenblick inne. Ein feines Lächeln spielt kurz um seine Lippen und verschwindet dann wieder. Sein greises Haupt schwebt wie eine blasse Leuchtkugel über der Schrift und scheint in die Nacht der Welt hinauszulauschen.

 
Ende des ersten Buches.

 


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