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»»Warum staunst du immer so vor dich hin?««
»Nun, wenn der Tag vorbei ist, darf man wohl müde sein.«
»»Du denkst wieder an das Mädchen, das du in der Stadt hinter dem Fenster gesehen hast . . . Du bist verliebt!««
323 »Was kann ich dafür – Zeig du mir, daß deine wirklichen Küsse süßer sind als diejenigen, von denen ich träume, so soll's mir recht sein . . . Übrigens: In deinem erträumten Jerusalem gefällt dir's ja auch besser als in dem, welchem wir entgegenwandern!«
»»Ja, wenn du mein Heiliger bist und ich deine Muttergottes . . . Aber eben damit steht's nicht zum besten seit einiger Zeit.««
»Eifersüchtig?«
»»Nicht im mindesten. Du tust mir nur leid, daß du dich mehr deiner Einbildung als der Wirklichkeit ergibst . . .««
»Was willst du? Über unsere Gedanken haben wir keine Macht. So wenig als unsere Gedanken über die Wirklichkeit . . .«
»»Ach so, sonst würdest du dir jenen blassen Engel in deine Arme zaubern? – Glaub mir, wenn ich es könnte für dich, so täte ich es!««
»Im Ernste?«
»»Wäre weder Verdienst noch Großmut. Du würdest bald genug haben von den Schneckentänzen, die so ein Jüngferchen aufführt, bevor es weiß, was es will und soll . . . Mit dem nehm' ich es als Weib jederzeit auf!««
»Aber man muß doch ein Ideal haben, nicht? Und das kann doch nicht die Wirklichkeit sein.«
»»Du hörst ja, ich habe nichts dagegen. Aber verdirb dir nur nicht den Magen damit, daß du so lang an dem süßen Erinnerungsstengel lutschest und das tägliche Brot, das neben dir herläuft, mißachtest! Ob meine Küsse besser schmecken als diejenigen, nach denen du dich verzehrst, weiß ich nicht; aber daß ich von Herzen wünsche, sie möchten dir besser bekommen, das darfst du mir glauben.««
324 »Du bist wahrhaftig ein lieber Kamerad! – Ich fange schon an zu denken, daß ich etwas übergeschnappt bin, wenn ich mit der Birne in der Hand mir eine Blüte vom Baum herunterholen möchte. Denn kann man Blüten essen?«
»»Daß jener verwöhnte Fratz an meiner Stelle nicht so zu dir sprechen würde, das wird dir hoffentlich nicht zweifelhaft sein! Der würde dich anders zwiebeln, sobald der Pfaff einmal den Segen dazu gegeben hat. Und es wäre dir auch zu gönnen.««
»Nein, sag das bitte nicht! Sondern leg bei deinem jungen Leib, den ich schmählich vergessen habe, ein Wort dafür ein, daß er den meinen nicht vergißt –«
»»Du lieber Himmel! So demütig tust du? – Wie das Vergessen gegenseitig war, so wird, denk' ich, auch das Erinnern gegenseitig sein.««
»Gegenseitig? – Ja, hast denn auch du dich unterwegs in einen andern vergafft?«
»»Natürlich. Aber ich bin zuerst wieder zur Vernunft gekommen.««
»Und sollst dafür belohnt werden, süße Hexe . . .«
»Leb wohl, mein holdes Goldschmiedstöchterchen! Bleib du mit deinen Sehnsuchtsaugen hinter deinem Fenster im sichern Käfig, als zahme Taube – bis dich der Tauber holt! Wer die süßen Abenteuer der Ferne schmecken will, der muß mit den Beinen, nicht bloß mit den Blicken ausfliegen! Alles, was du geben könntest, besitze ich längst; und das noch von einer viel solidern Sorte . . . Ich blase dir auf meiner selbstgeschnitzten Pfeife das Abschieds- – und hier meinem kralligen Fälklein das Schlummerliedchen!« 325