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Sie stieben durch das Tor hinaus, daß die Funken sprühen.
Voran der Leibknecht, mit einem scharfen Zuruf an die beiden auf ihren Rossen wartenden Mannen. Der Graf – der immer noch mit der Rechten wie schützend das Schwert vorhält, während die Linke, Isas schlanken, hart schmiegsamen Leib umfangend, die Zügel regiert – folgt ihm wenige Sekunden nachher. Und verwundert sehen die beiden Dienstmannen, während auch sie ihre Tiere herumreißen und anspornen, wie dem an ihnen vorbeisprengenden Herrn zwei weiße Mädchenarme den Hals umranken und ein roter Schopf im grauen Barte ruht.
Doch schon gleiten sie alle aufgeschlossen, in gestrecktem Galopp, schweigsam über die schweigenden Felder dahin. In die Dämmerung hinein, die langsam auf diese bittere Erde herabsinkt; den Sternen entgegen, die silbern in dem klaren Nachthimmel vor ihnen flimmern. Weit, weit nach den Bergen, welche sich in einer gewellten Linie schwarzblau von dem immer lichter strahlenden Firmament abheben und allmählich näherrücken.
Endlich zieht der Leibknecht die Zügel an. In einem schützenden Zypressenwäldchen bringen sie ihre Pferde zum Stehen und lauschen in die Nacht zurück, ob sie verfolgt werden. Aber das Keuchen der Tiere übertönt alles; und ihre eigenen Herzen schlagen ihnen bis in die Kehle hinauf, so daß sie zu keiner rechten Besinnung kommen. Nur im Weltall draußen sehen sie lautlos Sternschnuppen ihre weißsprühende, gedankenschnell verblassende Bahn ziehen.
76 »Isa?« Doch sie schlingt nur fester die Hände um des Grafen Nacken, drückt nur tiefer ihr Gesicht in seinen umfangenden Eisenwamsarm; und das Beben, das ihren jugendzarten, unter dem elenden Armsünderhemd vor Kälte zitternden Mädchenleib durchläuft, zeugt zugleich von ihrer Furcht, wieder zum Bewußtsein einer Wirklichkeit aufgeweckt zu werden, die ein unbesiegbares Grauen in ihre Seele gesenkt hat. Der Knecht schnallt eine Decke los und hüllt das verwirrte Kind nur mit Mühe in sie ein, weil es sich immer wieder – wie ein unschuldig verfolgtes, geängstigtes Tier in seinen Schlupfwinkel – an die Brust des Grafen schmiegt; und er bemerkt dabei, daß der Hemdsaum bereits von den Flammen angebräunt und brüchig geworden ist.
Und schon reiten sie in lebhaftem Schritt weiter, auf den Bergrücken hinauf. Aus klar umrissener Silberschale gießt der Mond sein weißes Licht durch die kühl aufatmende Sommernacht; und in immer größerer Tiefe liegen unter ihnen die Felder, bleich und bläulich übertaut, wie ein Friedhof hingebreitet. Der Graf kennt keine Müdigkeit; Aufregung und Anstrengung haben ihn wie mit einem Traum umsponnen, in welchem er nicht mehr weiß, wo diese Welt aufhört und die andere anfängt: er blickt über den Kopf seines steigenden Pferdes in die nächtliche Unendlichkeit hinein, aus deren unergründlichem Schoß immer wieder, oft mehrere miteinander, die fallenden Sterne durcheinanderschießen, als freuten sich die Himmlischen über die dem irdischen Haß entraffte Seele, die er in seinen Armen hält.
Oft verfällt er gar der süßen Täuschung, es liege ihm sein liebes Weib an der Brust, welches in seiner Erinnerung die Jugendblüte beibehalten hat, in der es einst von dieser Erde 77 schied. Oder wenn es nur eine Schwester von ihr ist: Von welcher der vielen flimmernden Welten blickt sie auf sie beide herunter und flüstert ihm mit ihrer gütigen Stimme zu: »Was du an ihr tust, das hast du mir getan!«? Genug, daß er weiß, sie ist irgendwo; vielleicht in einem noch viel strahlenderen Geleuchte, von dem dieses nur ein Abglanz ist! Sich im andern wiedererkennen, ist der Himmel; sich von ihm verschieden glauben, ist die Hölle. Welche bessere Weisheit hätte ihn dieses Erdenleben gelehrt?
»Isa? Isa?« Endlich hebt sie ihr Antlitz auf: totenblaß leuchtet es im Mondlicht; und das rote Haar scheint in dem silberblauen Dämmer wie ergraut. Und plötzlich stehen ihre Augen so weit offen, als könnten sie immer noch nicht genug des Entsetzens ausströmen; und ihre Lippen hauchen ihm keuchend die Worte entgegen, die sie auf dem Scheiterhaufen unaufhörlich vor sich hin gesprochen hat und selbst jetzt noch sich im Geiste wiederholt, wo sie doch längst erhört worden sind.
»Hilf mir! Rette mich! Rette mich vor dem Feuer. . . .«
Der Graf spürt, wie ihn ein Schauder überläuft. Hat er nur ihren Leib, nicht auch ihre Seele der Vernichtung entrissen? Er preßt sie wieder an sich, um ihr allen nachklingenden Gefühlen gegenüber die innerste Gewißheit zu geben, daß sie geborgen ist; und gleichzeitig lenkt er sein Pferd von der Kammhöhe in ein Seitental hinunter, dessen schmaler Weg aufs neue einen scharfen Trab erlaubt. Vor Tagesanbruch müssen sie auf der Burg sein, wenn sie nicht doch noch in die Hände übermächtiger Verfolger fallen sollen! Auch erkennt er immer mehr, daß Isa weiblicher Pflege, er selber der Ruhe bedarf.
Und die Tiere sprengen wieder, unermüdlich gehorsam, durch die allmählich bleichende Nacht, in welcher immer noch, wie ein himmlisches Geleite, Sternschnuppen herniederstürzen, 78 bis sie endlich, während sie bereits den Schloßberg hinaufkeuchen, in der Ferne blutig glühende Horizontwölklein gewahren. Der Leibknecht stößt ins Horn; und alsbald hören sie die Brücke herabrasseln und das Tor aufknarren und senden ein stummes Dankgebet zu Gott empor, welcher wohl viele unbegreifliche Greuel zuläßt, aber auch ihr Rettungswerk gelingen ließ. Aus dem Burghof rufen ihnen, im Widerschein eines grausamen Morgenrotes, die Knechte und Mägde entgegen, die seit ihrem Aufbruch unablässig gewacht und gespäht hatten: zuvorderst steht, in wortloser Hilfsbereitschaft, die greise Schaffnerin.
Wie das Pferd des Grafen die Brücke überschritten und durch das Tor den Hof betreten hat, sinkt es auf einmal langsam in die Knie, als sollte die alte Frau, die mit bebenden Händen zugreift, das gerettete Menschenkind ihrem Herrn besser aus den Armen nehmen können – und legt sich hin, und atmet tief aus, und ist tot.