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»Wohin willst du, tapferer Jüngling? Nach dem heiligen Grab fahren, wo doch Papst Innocenz hier im Lande zum Kreuzzug aufruft wider die Ketzer? Komm, laß dir eines unserer roten Kreuze auf dein weißes heften; und du hast Ablaß, als wärest du nach Palästina gepilgert!«
So haben ihn die Mörder- und Räuberbanden des Simon von Montfort, denen er auf die Dauer nicht mehr ausweichen konnte, immer wieder auf seinem Wege gestellt und in ihre Reihen zu ziehen versucht. Aber jedesmal, wenn er in ihre vertierten Gesichter schaute, wurde es ihm zweifelhafter, ob es auch eine gute Sache ist, für welche solche Streiter streiten! Während er nicht weiß, was für Verfehlungen eigentlich man diesen verschrienen Ketzern zur Last legt, sieht er um so deutlicher, daß sich das Heer ihrer Feinde aus gewalttätigen und habgierigen Schurken zusammensetzt, welche weit weniger Nachfolger Christi als Nachkommen der einst zusammen mit dem Herrn gekreuzigten Schächer sind; und er fängt an zu glauben, daß die von ihnen mit Feuer und Schwert Bedrängten, da sie nicht schlimmer sein können, eher besser sein werden.
Etwas von dem sommerlichen Glutwind, der dieses Land zur Wüste ausdörrt, versengt auch die Herzen der in ihm lebenden 93 Menschen und läßt ihn mit Sehnsucht an die nördlichen Gaue zurückdenken, aus denen er einst aufbrach. Die Frau, die sich ihm dort schenkte, war wohl heiß, aber nicht wild; sinnenstark, aber nicht grausam; voll Leidenschaft, aber ohne Hinterlist! Hier jedoch, wo Scheiterhaufen lodern und Burgen und Städte in Brand gesteckt werden, sind die Menschen nicht mehr Menschen, sondern Teufel mit Menschenfratzen. So oft er die armseligen Heidegehöfte verläßt, wo die Not und die Genügsamkeit zusammen unter einem Dache wohnen, und sich den festen Plätzen nähert, deren Mauern reiche Habe schützen, sieht er auch die wölfische Habgier an ihrer reißenden Arbeit . . .
So denkt Gerold, sitzt im Sattel und reitet dahin, um in den kühleren Abendstunden, die neben der Morgenfrühe allein das Reisen erlauben, von dem endlos langen Wege nach dem Meere abermals ein Stück zurückzulegen. Da hört er durch die Dämmerung Waffengeklirr und steht alsbald wieder vor einer Schar des gegen die Ketzer ausgesandten Kreuzheeres: er kann ihnen nicht entrinnen, wenn er nicht als ein Flüchtling erscheinen und Verdacht auf sich lenken will. Und die alte Aufforderung tönt ihm entgegen, sich ihrem Unternehmen anzuschließen, das einen näherliegenden und reicheren Gewinn verspreche als die mühselige Fahrt nach dem heiligen Lande.
»In ein paar Tagen geht es gegen den sauberen Alten, der die rote Hexe vom Scheiterhaufen weggeholt und auf seine Burg entführt hat!« ruft einer.
»Was für eine rote Hexe?« entfährt es Gerold.
»Nun ja, so eine von euren Kreuzdirnen! Hat's einem geistlichen Herrn mit dem bösen Blick angetan, daß er siech wurde; und wahrscheinlich auch den Grafen betört, damit er sie befreie. Stehen wohl alle beide mit dem Teufel im Bunde!«
94 »Hast du sie gesehen?« forscht Gerold mit versetztem Atem den Kerl aus.
»Sah sie, als sie zur Richtstätte geführt wurde. Haare hatte sie, als stünde sie schon in Flammen, bevor nur der Henker den Holzstoß angezündet hatte. Und lilienweiße Haut und blitzblaue Augen –«
»Gut, ich will mit euch ziehen!« erklärt Gerold und läßt sich eines ihrer roten Kreuze auf die Brust heften. Und aus versoffenen Kehlen hört er um sich her dunklen Beifall gröhlen. Schon wieder einer gewonnen . . .
Es kann nur das Mädchen sein, das er sucht! Und jetzt, wo diese Mörderbanden sie eine Hexe nennen, weiß er ganz sicher, daß sie es nicht ist! Und wenn ein alter Ritter sie gerettet hat, warum anders kann er es getan haben, als weil auch ihn ihre unbeschützte Jugend rührte?
»Wer die Dirn erwischt, wenn wir die Burg stürmen, dem soll sie gehören!« verkündet aus der finstern Schar heraus der Anführer. Und ein erneutes Geschrei verrät, daß Isas Schönheit, schon allein durch ihre Schilderung, auch diese Kriegsknechte behext hat. Sie lechzen nach ihr, wie die schmutzige Häßlichkeit nach dem Bade lechzt.
»Da lohnt sich's wohl, mitzutun? He?« tönt Gerold die Stimme dessen entgegen, der ihn geworben hat; und er fühlt einen derben Schlag auf seiner Schulter, als sollte er damit in diese Ritterschaft der Mordbrenner aufgenommen werden. »Wer weiß, vielleicht bist du der Glückliche! Aber wir werden dir's nicht leicht machen! Hahaha . . .«
Gerold schweigt; sie ziehen alle zusammen weiter durch den sinkenden Abend. Wie lautlose, blutdürstige Schatten der Unterwelt schleichen sie über die Felder hinweg, deren Boden vor 95 Trockenheit von tiefen Rissen durchsetzt ist; und bald einmal steigt der Mond über die Hügel empor und blinkt sein Licht auf ihren harten Helmen und scharfen Waffen. So ist er denn unter die Schergen des Todes geraten, die sich am Leben satt trinken wollen . . .
Und immer neue Scharen, zum Teil mit schweren Belagerungsmaschinen, stoßen im Laufe der Nacht zu ihnen und wälzen sich dem fernen Höhenzug entgegen, auf dessen Gipfel die stärkste aller Ketzerburgen thront.