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»Ich weiß, was ich tue,« spricht Germaine, die als letzte aus dem schwülen Schlummer der Nachmittagsrast aufgewacht ist, vor sich hin.
»Was willst du tun?« fragt Marceline kleinmütig. Sie sitzt nachdenklich abgedreht auf dem trockenen Waldboden und hält die zurückgelegte rechte Fußspitze mit der rechten Hand gefaßt.
»Sobald wir in die Stadt eingeritten sind, suche ich den Bürgermeister auf, sage, wer ich bin, und stelle mich unter seinen Schutz –«
»O Germaine!« tönt von der andern Seite Suzannes Stimme, die alle ihre Munterkeit verloren hat. »In die Stadt sind, während wir schliefen, nur unsere saubern Ritter mit unsern schönen Pferden eingeritten, um sie zu verkaufen. Es ist Markt heute . . .«
Germaine wirft mit einer ihrer alten, stolzen Bewegungen den Kopf herum. Sie sieht aus wie eine Königin des Waldes; 190 es fehlt ihr nur das goldene Krönlein auf dem braunen Haupt. Ihre Augen blitzen.
»Sie haben es gewagt? – So laufen wir ihnen davon.« Und sie will aufspringen und die großartige Rolle spielen, um die sie Ellenor so sehr beneidete.
»Du würdest nicht weit kommen,« flüstert die etwas abseits kauernde Valerie, nach ihrer Gewohnheit mehr boshaft als verzagt. »Bernard ist hier geblieben, um uns zu bewachen.«
»Ach so!« zieht Germaine sich vornehm in sich selber zurück. Sie versteht diesen Ton und begreift . . . »Da würdest freilich du nicht mit uns laufen!«
»Als ob du deinen Gaston nicht auch heimlich liebtest!« fährt Valerie fauchend herum. Und sie blickt nach Bernard, welcher etwas höher oben scheinbar schlafend im Moose liegt, die Hände unter den Kopf geschoben, während sein Pferd angebunden neben einem Baume steht . . . »Übrigens,« greift sie alsdann in den Streit der Meinungen ein, »was blieb uns anderes übrig, wo uns das Geld ausgegangen ist? Und am Meer hätten wir sie ja ohnehin verkauft!«
Ein Schweigen senkt sich herab, in welchem sich die andern drei Mädchen der Richtigkeit dieser Worte schmerzlich bewußt werden. Aber wenn sie auch selber die Veräußerung ihrer schönen, doch schwächeren Tiere erwogen haben, so kommt ihnen gleichwohl die unverhofft erfolgte Tatsache wie etwas vor, das gegen ihren Willen und nicht zu ihrem Heile geschah. Marceline schiebt sich auf einmal näher an Germaine heran und gibt als erste einer Empfindung Ausdruck, die sie alle im Geheimen ängstigt: »Was haben sie mit uns vor?«
Da umfaßt Germaine mit beiden Händen das Haupt der Freundin wie das einer Schwester, beugt sich über ihr feines, 191 blondes Haar und weint eine verstohlene Träne hinein. Wenn sie sich nur irgendwo in die Erde hinein verkriechen könnten und nicht mehr nur deshalb weiterreisen müßten, weil sie nicht mehr heimzukehren wagen! Aber alles, was ihnen jetzt noch zu tun übrig bleibt, ist, sich mit Würde und Anstand in das Schicksal zu fügen, das ihr eigener Wille über sie gebracht hat . . .
»Dort sind sie wieder!« ruft Suzanne, welche unverwandt zwischen den Stämmen hindurch die Stadt betrachtete. Atemlos sehen sie, wie eben drei flotte Reiter das Tor verlassen haben und dahergetrabt kommen. Und auch Suzanne rückt jetzt näher zu Germaine, als ob sie sich vereint vor etwas schützen könnten, dem zu widerstehen sie sich einzeln nicht stark genug fühlen.
»Du mußt dir schon einen andern Bürgermeister aussuchen, Germaine, um dich ihm vorzustellen!« giftelt Valerie vor sich hin. »In dieser Stadt essen wir keinen Braten . . .« Und sie blickt wieder heimlich zu Bernard hinauf und macht sich Gedanken über seine Gedanken. Liegt er nicht da wie einer, der dem Schicksal deshalb seinen Lauf läßt, weil er ihn nicht günstiger zu gestalten vermöchte?
Germaine aber, die starr nach den sich nähernden Reitern ausschaute, umschlingt mit einer mütterlichen Bewegung Marceline und Suzanne und zieht sie an ihre Brust, während ihr stolzes Haupt leise schluchzend zwischen die Scheitel der beiden Geängstigten sinkt. O, warum haben sie Eltern und Heimat dahintengelassen, wie man ein warmes Winterkleid im Sommer vergißt, uneingedenk, daß der Sommer nicht ewig währt und der Herbst kommt? Nun werden sie, gleich im Kriege geraubten Weibern, vor ihren aus Knechten zu Herren gewordenen Begleitern im Sattel sitzen und sich von ihnen alles gefallen lassen müssen . . .
192 Plötzlich erhebt Germaine langsam die feuchten Wangen und spricht, aus entsetzten Augen heraus und als ob sie in die Ferne lauschte: »Sind wohl von den vielen Mädchen, die nach dem heiligen Lande aufbrachen, auch noch andere in solcher Not wie wir?«