Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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19. Nachträgliche Vision

»Das ist keine fromme Stadt. Die lassen uns hindurchziehen nach dem heiligen Lande und schauen uns kaum an. Was hast du denn? Vorwärts, daß wir die krämerhaft engherzigen Giebel und Gassen bald hinter uns haben . . .«

Er aber schaut noch immer zu dem Erker empor, verrenkt sich im Weiterwandern vor Rückwärtsschauen fast den Hals und trägt im Geiste das flüchtig geschaute Bild als ein ihm vom Zufall geschenktes liebliches Gemälde zu den Mauern hinaus, vor ihm und mit ihm ein Selbstgespräch der Seele führend, wo ihm doch ein Zwiegespräch der Herzen ewig versagt bleiben wird –

Sind das nicht die feuchten Augen eines jungen Rehs? Ach, und erst diese opferselige Biegung des schlanken Halses, die den vorauseilenden Blicken einen demütigen Nachdruck verleiht! Und diese weißen, zarten Vorderarme, welche, halb erhoben, die goldene Kette traumhaft durch die feinfingerigen Hände gleiten lassen, während doch er es ist, dem das Aufblitzen der dunkelbraunen Augen gilt! . . . Jawohl, er! Bewegen sich nicht ihre Lippen, als wollten sie sprechen – oder gar küssen? Sind nicht Küsse die Sprache des Himmels; und ist sie nicht einer von seinen Engeln? Aber wenn sie auch nur Worte spräche, wahrlich, es wäre nichts anderes als das holdeste Eingeständnis irdischer Bereitschaft und Ergebenheit. ›Laß mich mit dir wandern! Ich will nur noch dir und der Ferne gehören!‹ . . . Wie doch ihr leicht fragend erhobenes Näschen alle die gemeinsamen Süßigkeiten wittert, die sie in ihrem verglasten Vogelkäfig ahnt und 306 aus der Ahnung so gern möchte Erlebnis werden lassen! Heftiger schon hebt und senkt sich der sanfte Doppelhügel des Busens! Und die Augen fliehen plötzlich in dem süßen Antlitz davon, noch ehe das Gesicht selber sich abdreht! Hei, mit diesem Goldschmiedstöchterchen am Arm – und im Arm – muß einem der Wald zur Kirche und jedes dichte Gebüsch zur Krypta werden! . . . Siehst du das grüngoldene Dämmer des Laubes? So küß mich doch einmal mit deinem andächtig offenstehenden Mündchen! Fest! Mutig! Und umschling mich mit all den Ranken, die dir der weise Schöpfer gegeben hat! . . . Ist das nicht zum Jauchzen? Macht das nicht stark und gesund? Ist das nicht herrlich? Ist das nicht –

»Jonas, paß auf; du stolperst in den Bach hinein . . .«

 


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