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Da steht mit mutigem, breit ausladendem Giebel auf der Jurapaßhöhe die Fremdenherberge »Zum Kreuz«.
Von weitem schon ist sie sichtbar gewesen. Aber noch viel weitere Fernsicht gewährt sie denen, die aus den wälderdunklen Tälern zu ihr emporgestiegen sind und sich, angesichts der Hochebene zu ihren Füßen, über die Fortsetzung ihres Weges schlüssig werden müssen.
»Sieh dort – die Schneeberge!« ruft Albrecht.
Und sie senden ihre Blicke hinaus zu dieser vielgezackt der Erde aufgesetzten, im duftigen Himmelsblau silbern erschimmernden Krone von Fels und Eis, die sie zum erstenmal in voller Breite und Herrlichkeit wahrnehmen.
»Das sind die bösen Berge, von denen die Mutter sagte, wir sollten sie meiden, weil uns auf ihren Wegen tausend Gefahren drohen!« redet Gertrud leise vor sich hin. Doch laut genug, daß Albrecht es hören kann.
»Und gerade sie hätte ich Lust zu ersteigen!« jauchzt der Jüngling und reckt die Arme, als wollte er ihre Größe umfangen, um selber an ihr groß zu werden. In der Gefahr wird der Mut gestählt!
»Nein, lieber Herr, wir wollen nichts tun, was gegen den Willen der Mutter ist!« erklärt Gertrud bestimmt, indem sie mit dem Bündel über ihrer Schulter wie ein verantwortlicher Führer die Ferne durchmustert. »Wir können auch anders ans Meer gelangen.«
381 Albrecht wirft ihr einen Blick zu, welcher ihr über das ehrliche, klare Gesicht, die breite, volle Brust und die starken Hüften bis zu den Beinen niedergleitet, die unter dem schlichten Wanderrock mit stolzer Nacktheit im Gras verwurzelt dastehen. Spricht sie nicht wie die Mutter? Hat er nicht in ihr etwas von ihrem Wesen mit auf die Reise genommen? Sie hat recht; und er wird ihr auch diesmal gehorchen.
». . . Da müßt ihr nur immer nach rechts halten. Dann kommt ihr zuletzt an einen großen See. Und wenn ihr dann dem Fluß folgt, der aus ihm abfließt, so führt er euch bis ans Meer!«
Der Wirt ist es, der diese Worte spricht und sich als alter Mann von gütigem Aussehen zu ihnen gesellt, nachdem er sie schon eine Weile von der Haustüre aus betrachtet hatte.
»Aber ich denke,« fährt er fort, »ihr werdet euch zuerst etwas stärken müssen, bevor ihr den weiten Weg antretet.«
So freundlich hat ihnen auf der ganzen Wanderfahrt noch niemand zugeredet. Ist es nicht, als ob der Alte hier auf seiner Höhe wie der liebe Gott schaltete und waltete und die Fernen hüben und drüben durch seinen kundigen und wohlmeinenden Rat miteinander verbände? Siehe, da bringt er ihnen Milch und Brot und lädt sie ein, sich an den im Freien aufgeschlagenen Tisch zu setzen.
Und sie essen und trinken und lassen sich's gut gehen. Und wie sie satt sind, will Gertrud, dankbar für die Bewirtung und Auskunft, dem Alten eines ihrer sorgfältig aufbewahrten Geldstücke hinlegen. Aber er schüttelt lächelnd sein graues Haupt und weist die Münze zurück, als ob nicht auch er zusehen müßte, wie er zu seiner Sache kommt.
»Ihr seid zwei ordentliche, brave junge Leute, die nach 382 dem heiligen Lande ziehen. Betet dort für einen alten Mann, daß ihm der Herr einst gnädig sei! Das ist mir Entgelt genug.«
Sie staunen, danken ihm und nehmen Abschied. Wie sollte der Weg nicht der rechte sein, der ihnen mit soviel Güte gewiesen wird? Und wie sie weiterwandern, haben sie auf einmal das Gefühl, als ob sie noch mehr als bisher zusammengehörten. Sind sie nicht in den Augen anderer zwei brave junge Leute?
Schon nach wenigen Tagen kommen sie zu Menschen, die eine fremde Sprache sprechen, so daß sie nur noch durch den stummen Hinweis auf das Kreuz an ihrer Brust sich verständlich machen und milde Gaben erbitten können. Wie süß ist es da, daß sie wenigstens gegenseitig in den ihnen vertrauten Lauten der Muttersprache sich unterhalten dürfen! Tönt auf diese Weise nicht jedem von ihnen in der Rede des andern die ferne Heimat wider? Und oft halten sie sich jetzt, wie zum äußern Zeichen dieser inneren Verbundenheit, ganze Strecken Weges stumm bei der Hand und setzen aus solchem wechselseitigen Vertrauen heraus ein gläubiges Zutrauen auch in alle künftigen Schicksale . . .