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Wie lange sitzt er schon in der dunklen Hinterstube?
»He, Bauer, willst auch ins heilige Land reisen?« Und die Schenkmagd stellt ihm einen neuen Schoppen Wein hin und entzündet dann die Ampel, die von der Decke herabhängt.
»Ob ich will?« stößt er wie einen Fluch hervor, zu welchem sich seine widerstreitenden Gedanken zusammenballen. »Ich muß! Muß um meiner armen sündigen Seele willen –«
183 Aber da stockt ihm das Wort. Seine Blicke verlieren sich in ihrem Blick; und auf einmal begreift er, warum sie so neben ihm steht. Und warum sie so lacht – anders als die hintersinnten Frauen und Mädchen, die ihm heute splitternackt vor der Nase herumgetanzt sind!
»Hm, bald wird dir's leichter werden als mit den Ochsen, die der Bürgermeister den frommen Kindern abgeknöpft hat!« Und sie schenkt ihm so vornübergeneigt ein, daß sie mit der vollen Brust seine Schulter streift, während sie ihm die andere Hand um den Hals legt – »Hui, auf dem Wasser schlipft's nur so dahin . . .«
Ja, die Ochsen! Die hat man ihm samt dem Wagen einfach weggenommen, als ob nicht er es gewesen wäre, der sie dem König Stephan schenkte. Aber freilich: damit gehörten sie auch dem jungen König, der ihn so wunderbar gerettet hatte; und er konnte mit ihnen machen, was er wollte. Nur dünkt es ihn jetzt, als habe er sie auf dem langen Wege nicht bloß geführt, sondern sich auch an den treuen Tieren wie an einem letzten Stück Heimat gehalten . . .
»Laß! Werd' aufbrechen müssen! Darf's nicht verfehlen!« rüttelt er sich aus seiner Versunkenheit auf. Aber statt zu gehen trinkt er unversehens den vollgeschenkten Becher auf einen Zug leer und staunt wieder vor sich hin. Zum Teufel, was ist nur in ihn gefahren?
»Kannst schon noch etwas bei mir bleiben!« setzt sich da die Magd neben ihn hin und überbrückt ihm wieder mit dem runden, warmen Arm den breiten Nacken. »Sie fahren nicht vor Mitternacht! . . . Und was kann bis dann nicht alles geschehen? . . . So schön wie die Weiber, die heute auf dem Markt herumhopsten, bin ich auch noch . . .«
184 »Mädle, Mädle, ich komm' in die Höll'!« keucht er und rückt von ihr weg. Eine Alte, Dürre hat er zehn Jahre lang gehabt; und geglaubt, seine Magd sei die einzig junge. Nun gibt's noch ein Dutzend andere, die's mit ihm halten möchten! Die hier ist nicht die erste, seit er unterwegs ist –
»In die Höll'!« hört er sie heiß kichern, während sie ihm nachrutscht. »Da kommen wir ja doch alle miteinander hin! Da tun wir schon besser, selber vorher für etwas Himmel zu sorgen!«
»Aber ich war schon einmal drin, in der Höll'!« ächzt er, ihrem Kusse ausweichend. »Du weißt nicht, wie das ist! Du bist noch nie dort gewesen . . .«
»Aber im Paradies, du blöder Joseph! Und dahin kann ich dir den Weg zeigen, das magst du mir glauben!« Und vor ihm öffnet sich die dunkle Grube zwischen ihren weißen Brüsten. »Willst du nicht mit?«
Sie hat ihm abermals eingeschenkt; und er trinkt noch einmal aus, während er ihre glühende Wange an seinem struppigen Bart fühlt. ». . . So einer, wie du einer bist –« haucht es in sein Ohr und schmeicheln ihm ihre zugreifenden Hände. O, o, er hat das alles schon einmal kennen gelernt! Und was geschah dann mit ihm?
Er schnellt wie von Sinnen empor und entflieht mit einem Ruck ihren Armen und Lippen. »Such dir einen andern, Weib!« schreit er und stürmt an ihr vorbei, auf die nächtliche Gasse hinaus. Und von der offenen Türe her folgt ihm wütendes Zischen nach; wie das Gefauche einer Katze. Und über ihm, zwischen den Dächern, glitzert der Nachthimmel.
Hoho! Er muß ja nur die Beine laufen lassen: er kommt wie von selbst zum Strom hinunter. Wo sind die Kinder? He, 185 wo geht's nach Jerusalem? Der König schon abgefahren? Aber ein anderes Floß ist bereits von andern jungen Kreuzfahrern, die er nicht kennt, angefüllt; und eben sieht er im Sternendämmer, wie die Knechte die Taue lösen. Mit einem gewaltigen Satze springt er mitten in ihr Gefluche und Gestoße hinein. Und fällt unter ihren Fäusten hin und bleibt liegen.
»Der hat einen Rausch!« hört er eine Männerstimme über sich. Wie aus weiter Ferne, durch die leise schäumende Bewegung des Stromes hindurch, während er keuchend sich auf seine Glieder besinnt und auf das, was ihm begegnet ist. Aber genug: Sie fahren! wahrhaftig, sie fahren! Und niemand kümmert sich mehr um ihn und seine Not; und um seinen Kampf mit den dunklen Gewalten der Erde.
Einen Rausch! Das mag wohl sein; aber einen ganz besondern. Ja, Christian, so leicht geht das nicht mit dem heiligen Land! Warum aber sollte nur alles, was bitter schmeckt, gesund sein; und gerade das Süße des Teufels? Ein Narr, daß er nicht die Nacht über bei dem Weibsbild blieb! Wochenlang in Staub und Sonnenbrand neben den beiden Ochsen her; im Herzen versengt und verdurstet nach etwas, das Mensch ist wie er! Hält das ein Mann aus, der ein Mann ist? Kann man denn nicht bei Tag wieder fromm sein und an sein Seelenheil denken?
Nur einmal wieder etwas Schwellendes zwischen den gestrafften Armen haben! Aber da steht sie ja vor ihm und lacht ihn lieblich an, während das Licht der Ampel in ihren großen schwarzen Augen und an den gelben Ohrringen blinkt. Oder ist es etwa das wässerige Auge der Erde, in welchem der Mond sich spiegelt? Nein, es ist sie selbst! Mit ihren Brüsten und 186 Hüften; mit Schoß und Schenkeln. Er braucht nur die Hand auszustrecken, so hat er sie! Hat sie und kann sich endlich wieder ersättigen . . .
Der Schiffspatron sieht gleichmütig, wie der unerwünschte Fahrgast, der im hintersten Winkel des Floßes kauert, mit gespreizten Fingern immer weiter über das Wasser hinausgreift, plötzlich mit einer heftigen Bewegung das Gleichgewicht verliert und, lautlos in die schwarze Flut hineinkollernd, unter den Wellen verschwindet.