Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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31. Ave Maria!

Bruder Augustin, gestehe: Es ist doch nicht so leicht, diese Buben und Mädchen, die sich dir an die Kutte gehängt haben, nach dem heiligen Lande zu führen!

Jene ältere Jugend, welche sich über die Welt zu entsetzen begann, hast du nicht wieder zu Gesicht bekommen, seit sie voll Grauen über die verzweifelte Tat eines der ihrigen auseinanderstob. Neue kleine Abenteurer und Abenteurerinnen sind es, die sich irgendwo ein Kreuz aufhefteten, dir mit lachenden braunen Augen »Jerusalem« zuriefen und sich dir einfach anschlossen.

Es dünkt sie selbstverständlich, daß du ihnen die Atzung zusammenbettelst; und in deiner Obhut fühlen sie sich so sicher, daß sie die rauchenden Ruinen der Städte und die entseelten 179 Menschenleiber am Wege bald einmal als ein gewohntes Schauspiel betrachten. Sie glauben und bedenken nicht, du könntest ein armer, alter, schwacher Mann sein, dem alle diese Greuel schwer auf der Seele lasten; sondern sie halten dich für den gottbestellten Gärtner, dessen einzige Aufgabe darin besteht, sie im Garten ihrer Kindheit täglich neue Wege zu führen. Selbst am Abend noch sind die Übermütigsten zu gar sonderbaren Streichen aufgelegt; und es bleibt dir meistens nichts anderes übrig, als ihnen, wo du sie nicht abhalten kannst, aus deiner Güte heraus zu verzeihen . . .

»Bruder Augustin, hast du nicht gesagt, wer am schnellsten beten kann, komme auch am raschesten in den Himmel?«

»Behüte! Ich sollte das gesagt haben?«

»Ja! Und nun haben der Matthias und ich ausgemacht, wir wollten sehen, wer dort vor dem Muttergottesbild am meisten Ave Marias herunterschnetzeln kann, während er ihm zugleich auf den Knien zehn Spannen weit entgegenrutscht!«

»Großer Gott, ihr werdet doch so etwas nicht tun, Blasius! Und sieh nur, was dort für Kriegsvolk im Grase sitzt, frißt und sauft und lästerlich um seine Beute würfelt! Macht lieber, daß wir zu einer Behausung kommen, ehe es ganz Nacht wird!«

»Aber es dauert doch nicht lange, lieber Bruder; und wir können dir ja nachrennen . . .«

Wie gern, Bruder Augustin, zögest du in dem braunen Abenddämmer an dem Marienbild vorüber, das an der Wegkreuzung in der Nische eines Steinpfeilers steht, als führten alle Menschenpfade irgendwie zu der Qual eines von sieben Schwertern durchbohrten Mutterherzens! Denn dort lagern die Mordbrenner, die der Papst ins Gebirge gegen die Ketzer aussandte, und verteilen streitend die köstlichen Gewänder, die sie 180 den getöteten Ketzerfrauen abgezogen haben, um sie ihren Dirnen zu bringen. Aber was weiß diese unerfahrene Jugend davon, wie es in dieser Welt zu und her geht?

Schon haben sich Mathias und Blasius, die vorausgeeilt sind, in gleicher Entfernung vor dem frommen Bildwerk in die Knie geworfen, neigen demütig ihre Köpfe und beginnen auf einmal ein Geplapper und ein Gerutsche, daß die Soldknechte sich einer nach dem andern in ihrem Zank unterbrechen und ihnen mit derbem Ergötzen zuschauen. »Das sind noch eifrige junge Christen!« lacht eine aufgedunsene Kriegsgurgel. Und bald feuern sie diesen, bald jenen der beiden verwegenen Buben an, noch schneller zu beten und noch rascher zu rutschen . . . Lauf, Bruder Augustin, und sieh zum Rechten; sonst gibt es ein Ärgernis!

Aber schon ist Matthias, der immer mehr zurückblieb, wütend aufgesprungen, um sich mit seinen Knabenfäusten auf Blasius zu werfen, der vor ihm in den Himmel kommen will. Dieser aber, wie er seinen Mitbewerber sich im Nacken fühlt, schnellt auf die Füße und klettert flink wie ein Affe an dem Steinpfeiler zur Muttergottes empor, tritt ihr mit seiner staubigen großen Zehe zuerst in den Schoß, dann aufs Haupt – und hockt jetzt grinsend auf dem Baldachin der Nische, von wo herab er dem Matthias eine lange Nase macht und ihn, wie er ihm nachklettern will, mit einem kräftigen Fußtritt fortstößt . . . »Hoho!« gröhlt da einer der Mordgesellen, »bist du am Ende auch ein kleiner Ketzer?« Und er kitzelt ihn mit seinem Spieß am Hinterbacken, so daß Blasius aufkreischend sich auf der Rückseite des Pfeilers herunterläßt und Hals über Kopf Bruder Augustin nachläuft, welcher es in der Bekümmernis seiner Seele für das Beste hielt, sich mit dem weinenden Matthias und den lachenden übrigen Kindern so schnell als möglich aus dem Staube zu machen.

181 Bald ist Bruder Augustin mit seinen Schutzbefohlenen den Rufen der rohen Rotte entronnen und hat auch den aus den Hosen blutenden, genügend belehrten Blasius wieder in seine väterliche Hut aufgenommen. Endlos zieht sich die Straße, auf der ihre nackten Füße vorwärtsstapfen, in die schwülwolkige, sternenlose Nacht hinein – Wo werden sie heute eine Unterkunft finden? Wo werden sie ihr müdes Haupt zur Ruhe legen? – Aber nur Mut! Nur immer weiter!

Morgen will Bruder Augustin sich durchfragen, bis er den großen Strom gefunden hat, auf dem gewiß dann und wann ein Schiff hinabfährt, das sie mitnehmen kann. Diese Fußwanderungen dürfen nicht länger dauern, wenn sie nicht allesamt eines Nachts im Straßengraben liegen bleiben und mit der nächsten Sonne nicht mehr aufstehen sollen! Und in der Finsternis, durch die er mit krummem Rücken dahintrottet, sieht er vor sich die Helle seiner kindlichen Hoffnung und hört schon die Wellen rauschen.

Wenn er sie nur alle beisammenbehält und ihm keines mehr abhanden kommt wie vor ein paar Tagen, wo er auf eine ihm unerklärliche Weise seine drei letzten Glöckleinkinder verlor! Verlor samt den Glöckchen . . .

 


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