Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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14. Georg

»Mann, es gibt ein Unglück!«

Sie sieht in seiner Faust den derben Haselstock, mit welchem er in die monderhellte Stube getreten ist, kaum daß ihr einziger Sohn neben ihr in das anstoßende Schlafgemach entwich, aus dem sie selber im Hemde daherkommt.

»Schweig!« herrscht er sie an. »Das ist meine Sache; das verstehst du nicht . . . Wer seinen Sohn lieb hat, der züchtigt ihn.« Er schaut wie schnuppernd umher. »Wo ist der Lump?«

Seine Augen glänzen fiebrig. Eben ist er vom ehrsamen Abendtrunk zurückgekehrt, wo ihm die andern Recht gegeben haben: Man muß die Jugend im Zaum halten! Ein liederliches Leben führen diese kreuzfahrenden Knaben und Mädchen . . . Und da schnitt er gleich im Gärtchen die Zuchtrute.

»Aber er hat doch nur davon gesprochen. Es ist doch gar nicht sicher!« sucht ihn die schwache Frau zu besänftigen. »Und wieviele andere junge Burschen ziehen auch mit! – Wahrlich, wenn er zum heiligen Grabe kommt, so soll er auch für seine arme Mutter beten!«

Der Mann reißt sie von der Türe weg, wo sie ihm den Zutritt zum Ehegemach versperrt: ihr ist, als habe sich der Bub in sie selber zurückflüchten wollen, aus der er einst in diese Welt trat. Ihm aber leuchtet jetzt neben dem Rot des Weines auch noch das Rot der Wut aus dem rotbärtigen Gesicht, mit dem er ihr in die bleichen Züge stiert, um sie wie gewöhnlich niederzudonnern. Fast scheint es ja, als beklage sie sich über ihn, statt daß 287 sie froh ist, daß sie seine Frau werden durfte und ein ungesorgtes Leben hat –

»Wozu hab' ich den Buben in die Welt gesetzt? Damit er auf und davon geht und dein sauberer Bruder, der auch so ein Vagant ist, mein Geschäft erbt? An die Werkbank soll er stehen, der Bub, und anderer Leute Sarg schreinern, statt vorzeitig in den eigenen hineinzuspringen!«

Sie aber drängt sich noch einmal zwischen ihn und die Türe und hebt flehend beide Hände zu ihm auf. »Ist denn das Geschäft für den Bub da oder der Bub für das Geschäft? Wenn er nun einmal lieber Schlosser lernen möchte als Schreiner? Wer weiß, dann würde er vielleicht auch nicht ins heilige Land ziehen wollen!«

Der Mann lacht dunkel vor sich hin.

»Ich werde auch so dafür sorgen, daß er hier bleibt. Ich werde ihn jetzt an einen Ort schaffen, wo er lange genug darüber nachdenken kann, was es in dieser Welt heißt, wenn man den Brotkorb zu Füßen stehen hat und nur aufzuheben braucht. Und vielleicht lernst auch du noch einmal, was das heißt –«

»So sag ihm's vernünftig! – Schlag ihn nur nicht!« wagt sie ihn noch zu ermahnen, während er schon unter ihrem Arm durch nach der Türklinke greift. »Er ist siebzehn Jahre alt!«

Aber der Mann ist bereits in die Stube hinübergegangen; und die Türe fällt, während sie, auf die Seite geschleudert, sich an der Wand zu halten sucht, schmetternd neben ihr ins Schloß. Sie hört von drinnen seine dröhnende Stimme; sie hört Schläge und gleich darauf das wütende Aufschreien des Sohnes. Er schlägt zurück! Jetzt ein Fall auf den Boden. Er wehrt sich mit Händen und Füßen. Sie brüllen beide wie wilde Tiere.

»Georg!« schreit sie dazwischen.

288 Da fliegt die Türe auf. Der Mann kommt zurück; schäumt wie ein wahnsinnig gewordener Henker an ihr vorbei. Schleift am Kragen den Buben, der in toller Raserei um sich schlägt, kratzt und beißt, durch die Stube in den Flur hinaus. Die Stiege hinunter. In den Keller.

Sie flüchtet in das Schlafgemach hinein, in welchem der schreckliche Kampf stattgefunden hat und Blutspuren den Boden beflecken; und wirft sich schluchzend auf das große, breite Bett, wo sie schon lange allein auf ihren Mann gewartet hatte . . . Ihr Bub! Ihr Georg! Das wird er nicht überstehen! . . . Ja, auch sie möchte sich fragen, wozu sie ihn einst gebar! Etwa damit er an Leib und Seele mißhandelt wird?

Da stampft und stolpert der Mann wieder herein. Er keucht immer noch; vom Dreinhauen wie vom Treppensteigen. Und lacht und lallt dazwischen. Jetzt nicht nur vom Wein, sondern auch noch von der Wut trunken.

»Den Halunken will ich Mores lehren. Jawohl! Jawohl! – Dem hab' ich noch einmal den Meister gezeigt –«

Und er taumelt in seinem Rausch und fällt schwer neben sie hin. Auf das Ehelager, auf welchem der Bub vor achtzehn Jahren gezeugt wurde. Und schnarcht. Und schnarcht.

Sie aber erhebt sich und entweicht in die Eßstube hinüber, wo sie sich ans Fenster setzt und mit dem Widerschein des Mondes, der auf ihr Hemd fällt, den ganzen niedrigen Raum erleuchtet, ohne doch selber etwas davon zu merken, weil sie vornübergebeugt ihr Haupt in beiden Händen vergraben hält.

O dieses verfluchte Geld, um dessetwillen sie sich einen Mann aufschwatzen ließ, den sie nicht liebte und der sie nur ihre Armut an ihr und ihres Kindes Unglück vertauschen ließ! O über den Hochmut dieser angesehenen Bürgerfamilien, deren ganzer Stolz 289 und Eitelkeit darin besteht, daß der Sohn gefügig in die Fußstapfen des Vaters tritt und sich niemals vermißt, seinen eigenen Weg zu gehen! Und sie weint und weint . . .

Und drunten im Keller feilt einer. Und feilt. Und feilt.

Und am andern Morgen?

Fort.

 


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