Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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25. Die Sauhatz

»Vergelt's Gott!« sagt Georg zu dem Schmied, der ihm das spitze Eisen an den Wanderstab angepaßt und ihm so einen gefährlichen Spieß geschaffen hat. Und schon liegt der Weiler an der Wegkreuzung hinter ihm und tut sich die abendliche Frühsommerlandschaft, durch die das Sträßchen sich dahinschlängelt, tannendunkel und wiesengrün vor ihm auf. Mit dieser Waffe in der Hand kann er der Nacht beherzter entgegensehen.

Mehr als acht Tage ist er jetzt unterwegs; und das Wandern gefällt ihm. Was mögen sie wohl für Gesichter gemacht haben zu Hause, als sie den Vogel ausgeflogen fanden? Die können lange warten, bis er wiederkommt und sich abermals durchprügeln und einsperren läßt! Und kehrt er eines Tages zurück, so wird ihn der Vater gewiß hübsch in Ruhe lassen.

Mehrmals schon hat er Trüppchen von kreuzfahrenden Kindern angetroffen. Doch sie waren ihm immer zu klein und rückten zu langsam vorwärts, als daß er hätte bei ihnen bleiben wollen. Aber jetzt, dort drüben am Waldrand – wandert da nicht eine Schar Jünglinge und Mädchen, die mit ihm gleichaltrig sind, und in derselben Richtung? Vielleicht daß sich's lohnt, sie aus der Nähe anzusehen.

Er durchquert den nicht breiten Talgrund. Wie ihre frommen Standarten ihm, so muß das Kreuz, das er sich aus zwei weißen Tuchstreifen auf die Brust geheftet hat, ihnen gezeigt haben, daß sie dem nämlichen Ziel entgegenstreben. Schon winken sie sich frohe Grüße zu – da sieht er plötzlich, wie sie alle 326 zusammenschrecken; und durch den Wald, vor dem sie stehen, hört er ein Schreien, Bellen, Schnauben und Ästeknacken wie ein unheildrohendes Gewitter mit Sturmeseile daherkommen.

Wozu hat er seinen Spieß? Während die Knaben und Mädchen angstvoll auf die Wiese hinausflüchten und zurückschauend sich umarmt halten, gewahrt er zwischen den eindämmernden Stämmen eine ungeheure Wildsau: mit rotunterlaufenen Augen, die weißen Hauer durch blutigen Schaum hindurchstreckend, schleudert sie eben drei Rüden teils links und rechts zu Boden, teils hoch in die Luft und sucht schweißüberströmt, mit den letzten Kräften tobender Raserei, den immer enger sich schließenden Kreis ihrer Verfolger zu durchbrechen. Unsichtbar aus dem Dunkeln gellen dazu Hetzrufe, von menschlichen Kehlen ausgestoßen.

Georg stellt sich entschlossen mitten in die Bahn der schrecklich dahergrunzenden Bestie, stemmt den Spieß in den Boden und läßt das Tier, indem er sich selber im letzten Augenblick auf die Seite wirft, blindlings in das scharfe Eisen hineinrennen: es dringt der San unter dem linken Vorderlauf in den Leib, worauf sie über dem zerknickenden Schaft zusammenbricht. Und bevor Georg sich nur umgewendet und den glücklichen Ausgang wahrgenommen hat, sind schon die noch lebenden Hunde über den schwer hingesunkenen Keiler hergefallen; und aus dem Gebüsch kommen von allen Seiten mit Spießen und Knütteln die Bauern angekeucht und schreien und fuchteln wie von Sinnen, als ob die Sau nicht schon tot wäre, sondern von ihnen erst noch getötet werden müßte. Auch die kreuzfahrenden Knaben und Mädchen fassen wieder Mut, kehren von der Wiese zurück und beschauen sich, während einer der Bauern ins Horn stößt, das riesige Borstentier, das durch einen glücklichen Zufall zur Strecke gebracht wurde.

327 Nicht minder aber als die fürchterliche Bestie umstaunen sie den, welcher sie wie ein dazwischentretender Gott besiegt hat und nun gelassen nebenaussteht und wartet. Da macht sich von den Bauern, die bereits die Hunde sammeln und die Jagdbeute zu zerlegen anfangen, einer an Georg heran und fragt ihn in der Befürchtung, er möchte seinen Anteil fordern, drohend, was er wolle – »Einen neuen Spieß!« versetzt Georg halb trotzig, halb spöttisch, weil er den Geiz des Mannes wohl durchschaut. Und der Bauer gibt ihm grinsend einen der ihren, schreit aber gleich nachher die neugierigen jungen Kreuzfahrer an: »Fort mit euch, ins heilige Land!«

»Halt!« ruft Georg. »Ich habe euch den Keiler erlegt – dafür sollt ihr mich und diese andern hier heute Nacht beherbergen!«

Alle Knaben und Mädchen horchen auf und fühlen, wie dieser mutige Bursche sich dadurch, daß er zuerst sie verteidigte und jetzt für sie sorgt, ganz von selbst zu ihrem Führer macht.

»Meinetwegen!« knurrt der Bauer nach einiger Überlegung. »Dann dürft ihr aber auch hier Hand mit anlegen und uns beistehen, die Sau nach Hause zu schaffen!«

Da die Bauern nur ihrer vier sind, können sie in der Tat Hilfe brauchen. Das Tier hat ein gewaltiges Gewicht: auch ohne die Eingeweide, die sie eben den erschöpften und übel zugerichteten Hunden zum gierigen Fraß vorwerfen. Hei, wie fallen die Rüden über das zuckende Gedärme her, als könnten sie mit ihnen einen letzten Hauch des Lebens, das den mächtigen Feind beseelte, in sich einschlingen! Die einen verschlucken dabei noch das eigene Blut, das ihnen in rotem Gerinsel von den verwundeten Köpfen herabläuft.

Georg ruft die jungen Kreuzfahrer an die Arbeit; und als ob sie ihm schon wochenlang gehorcht hätten, so folgen sie seinen 328 Befehlen. Die Bauern aber merken bald, daß sie keinen üblen Zuzug erhalten haben: noch vor dem völligen Zunachten ist die Wildsau in soviele Teile zerlegt, daß sie sie fortbewegen können Und während sie selber vorausgehen und sich mit den schwersten Stücken schleppen, haben sich der leichtern die stärkern Knaben bemächtigt, welche sie nach dem Vorbild der Jäger an Stangen, die sie über ihre Schultern legen, zwischen sich tragen.

Bis endlich der Zug mit dem blutigen Fleisch in richtigen Gang gerät, ist es dunkel geworden. Über dem Wald steht im dunstigen Nachthimmel wieder einmal der Vollmond und bescheint verschwenderisch die Dahinschreitenden, von welchen die ans Ende gestellten Mädchen ihre Kreuze und Fahnen müde unter dem Arm tragen. Berg und Tal liegen in bläulichem Dämmer – nur in einer nahen Burg brennt, gleich einem vereinzelten roten Stern, ein Licht.

Dort rüstet man für die nächsten Tage eine große Hochzeit. Und eben dort werden die Bauern, sobald die Sonne wieder aufgegangen ist, ihre Wildsau mit großem Gewinn verkaufen. Wenn das Leben gefeiert wird, muß immer irgendetwas das Leben lassen . . .

 


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