Konrad Falke
Der Kinderkreuzzug
Konrad Falke

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22. Mutter und Tochter

Sie tritt ein und bleibt erstaunt stehen.

Vorn beim Fenster kniet ihre festtäglich gekleidete Tochter vor dem Bildwerk des Gekreuzigten, das an der Mauer hängt, und neigt betend ihr Haupt unter den nägeldurchbohrten Füßen mit den aufgemalten Blutspuren. Der nackte, schmerzdurchwühlte Holzleib des Herrn und der junge, biegsame Körper des andächtigen Mädchens, dessen Hals eine Fülle goldener Locken verbirgt, sind von demselben Morgensonnenlicht verklärt, in dessen einbrechenden Strahlen tausend Stäubchen flimmern.

»Ellenor?«

Aber Ellenor schüttelt heftig den Kopf, ohne sich umzuwenden. Sie hebt nur mit einem leisen Ruck im Gebete die gefalteten Hände etwas höher. Es ist offenkundig, daß sie bei Christus eine letzte Zuflucht sucht und alles, was Welt ist, von sich abwehren möchte.

Die Gräfin nähert sich ihr gemächlich und betrachtet sie. Ihr ist, als sähe sie sich selber wieder, wie sie vor zwanzig Jahren war: im Frühling des Lebens! Aber sie begreift jetzt nur noch ihr Alter; nur noch Überlegungen des Verstandes.

»Und wenn er dir einen Edelfalken bringt, wie es weit und breit keinen zweiten gibt? – Eben ist er mit einem stattlichen Gefolge in den Hof eingeritten . . .«

»Ich will keinen Falken. Ich will keinen –«

Sie biegt die Schulter von ihr weg und schlägt die Hände 92 vor das Antlitz. Sie erschauert, als stünde nicht die Mutter, sondern ein fremdes Schicksal neben ihr.

Da streicht ihr die Gräfin sanft über das weichlockige Haupt.

»Wir haben dich Ellenor getauft; und so schön, wie dein Name ist, bist du auch geworden. Vornehme Jünglinge bewerben sich um dich; alle wissen: Glücklich der Mann, der dich als sein Gemahl heimführt! . . . Willst du deinen Eltern nicht glauben, daß jetzt ein Würdiger erschienen ist?«

Stille und Sonnenschein umweben die beiden Frauen. Eine Frage ist ausgesprochen, der sich die Antwort nur wie durch hundert Hecken hindurch entgegenbewegt. Immer heftiger atmet Leonore: bis sie plötzlich die Hände zu dem Marterbild emporringt, als sollte es ihr einen Ausweg zeigen.

»Ich kann nicht mehr froh werden, solange das Grab unseres Heilandes in den Händen der Heiden sich befindet!«

»Kind, was redest du?« Die Gräfin ist einen Schritt von ihr zurückgetreten. »Als ich jung war wie du, da versuchten es die erlesensten Ritter. Es ist ihnen nicht gelungen; und es wird auch nie gelingen. Niemand denkt mehr daran.«

Ellenor erhebt sich und blickt ihr starr ins Gesicht. Der Glaube der Jugend und die Zweifel des Alters messen sich miteinander. Und der Glaube siegt, weil es der Glaube ist.

»Doch, Mutter! Hier im Herzen spür' ich's: tausend Knaben und Mädchen denken daran. Ich weiß sogar, daß sie schon unterwegs sind, mögt ihr mir's auch ängstlich verschwiegen haben.«

»Gut! Ja doch! Sie sind unterwegs!« gibt die Gräfin zu. »Aber meinst du etwa, es könnte dir gefallen, auf diesen elenden Karren durch die Lande zu fahren? Du würdest dich schon am zweiten Tage wundern, was für eine Vergnügungsreise das 93 ist; und schon in der dritten Nacht jammern: Hat mich denn meine Mutter in kein besseres Bett legen können?«

Doch Ellenor läßt sich nicht einschüchtern. Und die Abwehr ihres jungfräulichen Herzens ist auch nicht um Gründe verlegen, die für sie sprechen –

»Sollen wir immer nur darum besorgt sein, ob wir weich liegen, wo unser Herr sich hat an das Kreuz schlagen lassen, um uns Menschen zu retten? Und dann: Was taugte mir ein Mann, der in mir vor allem euren Reichtum heiraten möchte? Wenn er vorher nicht an Gott denkt, so wird er nachher auch nicht an mich denken . . . Und darum will ich nur einem Jüngling die Hand reichen, der jetzt mit den andern nach Jerusalem zieht, um das heilige Grab zu befreien . . .«

Ein feines Lächeln umspielt die Lippen der Schloßherrin. Sie sieht mit Wohlgefallen soviel jungfräuliche Kraft und Hingebung vor sich. Aber sie weiß auch, wieviel näher die Aufgaben liegen, deren Erfüllung das Leben fordert.

»Was für ein Närrchen du bist! – Erlöse einen geliebten Mann von den bösen Geistern, die ihn reiten; und du hast auch ein gottgefälliges Werk getan . . . Komm, laß uns den Gästen entgegengehen!«

Da wirft sich Ellenor der stolzen, selbstsicheren Frau in hilfloser Verwirrung um den Hals. Alle ihre Sinne erkunden den mütterlichen Leib, was es heißt, ein Weib zu sein. Und schaudern doch vor aller Offenbarung davor zurück.

»Ich kann jetzt keine Männer sehen, Mutter! Hab noch etwas Geduld mit mir; nur ein halbes Jährchen! Laß mich zuerst von meiner Jugend und von meinen Freundinnen Abschied nehmen! – Lade sie noch einmal alle zu uns ein, wenn du mich wieder glücklich sehen willst! – In vierzehn Tagen? Ja?«

94 Die Gräfin lacht ihrer Tochter laut und herzlich in das Antlitz, das sie mit Tränen an den Wimpern von ihrer Brust erhebt. Was für ein zartes Reh sie doch ist! Wahrlich, wenn sie selber ein Mann wäre – Aber das ist die Gefahr dieser gepriesenen klösterlichen Erziehung: damit, daß man sein Kind aus den Mauern zurückholt, hat man noch lange nicht auch sein Herz wieder der Welt zugewendet . . .

»Also, ich soll dir eine Freude machen, Ellenor; und du willst dich hier wie eine Nonne einsperren, wenn wir Gäste haben? Da wollen wir doch lieber einen regelrechten Vertrag miteinander abschließen: Du kommst jetzt mit mir und siehst dir den jungen Ritter und seinen Falken an; und dafür lade ich auf heute in vierzehn Tagen deine Freundinnen ein. Bist du's zufrieden?«

Ellenor besinnt sich und blickt auf die Seite.

»Auch wenn mir der Ritter und sein Vogel nicht gefallen?«

Die Gräfin sieht, wie ihr Kind errötet und fragend, bittend zu ihr aufschaut.

»Auch dann. – Aber komm jetzt!«

Überlegen lächelnd schreitet die Gräfin voraus, durch die offene Türe des Gemaches; der Schlüsselbund klirrt leise an ihrer Seite. Und Ellenor folgt ihr mit einem lieblich und bescheiden gesenkten Antlitz, in welchem kein Zug verrät, was sie im Stillen denkt und plant. Sie wendet nur die Augen, nicht aber die Seele von dem besonnten Bildnis des Gekreuzigten und von der im Ausschnitt des Fensters morgenkühl lockenden Ferne ab.

So wandeln die beiden Frauen durch die dunklen, hallenden Gänge des Schlosses: jede mit einer List im Herzen, von welcher die eine glaubt, die andere weiß, daß sie gelingen wird . . . 95

 


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