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Sie wandern seit Stunden in dem warmen Frühsommernachmittag. Daß sie gestern durch ein Städtchen gekommen sind, mit hohen Giebeln und schattigen Gassen, liegt wie ein Traum hinter ihnen. Ihre Füße brennen, ihre Schenkel und Hüften schmerzen; die Kreuze und Fahnen tragen sie schon lange wie Spieße und Hellebarden über der Schulter: im Rücken fühlen sie sich wie entzweigebrochen.
Der frische Duft des Morgens hat sich auch heute wieder zu einem warmen Dunst verdichtet, in welchem Wolkenumrisse je länger je weniger sichtbar sind. Gewitterschwüle löst alle scharfen Linien in dem Landschaftsbilde auf und trinkt die Welt mit ihren Hügeln und Tälern in ihr silbernes Grau ein. Nur da und dort leuchten Büsche mit grellem Lichtgrün daraus hervor, wenn die Sonne für kurze Zeit das Gespinst des Himmels irgendwo zerreißt und auf der Erde die Frühlingsfarben wieder lauter badet.
Durch Buchenwälder sind sie gezogen, in denen tausend braune Knospenhüllen am Boden liegen, während von den Zweigen die jungen, seidenfeinen Blätter wimpeln. Auf 321 Fußwegen sind sie durch fette, krautige Wiesen gestapft, auf welchen die schweren Goldtaler des Löwenzahns sich teilweise schon zu den federleichten Lichtkugeln verflüchtigt haben. Und immer mehr lösen auch ihre Kräfte und Gedanken sich in einem einzigen weichen Rausche auf: an einem Waldbord, über welches noch dürres Gras vom Vorjahr herabhängt, wirft sich, von seiner Müdigkeit hingemäht, das vorderste der Mädchen in die Knie; und im Nu liegen auch alle die andern Knaben und Mädchen auf dem Leib, auf der Seite, auf dem Rücken – wie jedes gerade hinfiel – und veratmen schweigend.
Vor ihnen, auf einem hohen, fast schon verblühten Birnbaum, versucht eine Amsel in tief flötenden Tönen ihr Abendlied; sie lauschen und sehen durch Schleier ihres erhitzten Blutes hindurch ihren gelben Schnabel. In der Nähe, auf einem Hügel, steht eine Burg, in welcher gewiß böse Menschen wohnen; denn sie schaut trotzig und wehrhaft drein. Gut, daß man ihnen, die nichts haben, auch nichts nehmen kann! So staunen sie mit magern, wegemüden Gesichtern in die Welt und können keinen rechten Gedanken mehr fassen.
Und nach und nach fühlen sie sich eins mit dem Erdreich, auf dem sie liegen: sie schauen nicht mehr nach der Amsel, sondern in den blaugrauen dunstigen Himmel hinauf und öffnen lechzend die Lippen. Ihre Arme greifen in der Wonne des Ausruhens um sich; und wenn ihre Finger gegenseitig sich berühren, so ahnen sie, wie ihre Leiber von denselben Wünschen bewegt werden und wie noch etwas anderes als ihre christlichen Feldzeichen, und tiefer und glühender, sie zusammenschließt. Ewig wiederkehrender Menschenfrühling gärt in ihnen und läßt sie mit dumpfem Verlangen ihre Sehnsucht in die Ferne senden, während sie selber nebeneinander matt am Wege liegen, von 322 einem wohligen Herdengefühl umfangen und in der Vorahnung eines Herdenglückes zufrieden.
Erste Regentropfen sprühen herab! Sie bieten sich ihnen wie göttlichen Küssen dar und freuen sich jedesmal, wenn sie ihnen Stirne, Mund oder Wangen treffen. Sie reden nicht: und doch denkt jedes daran, daß diese kleinen Wasserkügelchen auch den andern Stirn, Mund und Wangen netzen. Sie hören in der dampfenden Stille des Feldes vor ihnen den himmlischen Segen immer rascher und dichter auf die Schollen und mit zunehmendem Geräusch auch in die Sträucher und Bäume hinter ihnen einschlagen. Und immer wieder singt die Amsel ihr Lied, das wie von gläubiger Hoffnung auf die neue Sonne des morgigen Tages durchjubelt ist.
Da rauscht auf einmal ein voller Schauer, unter fernem Donner, über die Erde hin und weckt sie aus ihrer Starrheit auf. Sie sind abgekühlt, neugestärkt und erheben sich zum letzten Stück ihrer heutigen Wanderung: die Füße schmerzen nicht mehr; und die Brust atmet wieder freier. Froh ziehen sie, umhaucht von den Dünsten des angefeuchteten Bodens, durch den mild durchsonnten Abend; und die Führer fangen an, nach einem Bauerngehöft auszuschauen, wo sie für die Nacht ihre Glieder auf dem Heuboden ausstrecken können.