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Die Einweihung der Friedenskirche

Der 30. Juli ist gekommen. Wie eine Braut im Ehrenkleide, so prangt die Friedenskirche im Festgewande. Wir feiern heute ihren Auferstehungstag! Das ganze Dorf ist frühe schon in Bewegung: alle Kirchweihrüstungen sind gemacht; siehe, da kommen unsere Einwohner: die Männer im langen Hanauer Bauernrock, den »Dreimaster« fest auf der Stirn; die Weiber, das Gesangbuch in der Hand, in der hübschen dunkeln Sonntagstracht; die Kinder, freudestrahlend, mit Kränzen und Blumen. Sie wallen zum neuen Eben-Ezer, das uns der Herr auf den Ruinen des alten errichtet. – Drunten am Schulhaus sammeln sich die Leute und harren in gespannter Erwartung der Dinge, die da kommen sollen.

Jetzt treffen auch die Spitzen der Zivil- und Kirchenbehörden aus Straßburg, Weißenburg ein; die Festgäste aus Potsdam, Nürnberg, Speier, Darmstadt usw., die Geistlichen und Laien des Konsistoriums Wörth, sowie eine große Menge Volks aus allen Gauen des Unterlandes. Endlich schlägt die Weihestunde. Nach einigen kurzen Abschiedsworten im Schulhaus bewegt sich der Festzug unter dem Geläute des Gemeindeglöckleins nach der stattlichen Friedenskirche. Dort, unter dem Portal, wendet sich der Herr Oberpräsident von Elsaß-Lothringen zu der versammelten Festgemeinde und spricht mit bewegter Stimme: »Der Frieden hat allenthalben die Wunden des Krieges, auch die schwerste und letzte Wunde dieser Gemeinde, geheilt; als ein Denkmal vereinter Bruderliebe und deutscher Zusammengehörigkeit ist diese Kirche aus ihren Trümmern erstanden; möge der Eingang in dieselbe ein gesegneter sein.« Nun schreiten die Behörden und Ehrengäste voran, und in einem Augenblick ist die ganze Kirche so gedrängt voll Menschen, daß weder mit guten Worten, noch mit Gewalt mehr ein Plätzchen zu erhaschen ist. Die allermeisten müssen stehen in den Gängen, unter dem Portikus, auf der Straße, zu Hunderten. Wir können's nicht ändern. – Nach und nach wird's stiller. Ein prachtvoller Chorgesang: »Der Herr ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns betroffen haben«, ausgeführt von den Seminarzöglingen aus Straßburg – eröffnet den Festgottesdienst und nun tritt Inspektor B. aus Weißenburg vor den Altar, spricht ein kurzes Gebet und beginnt die Weiherede. Er redet von der schweren Arbeit und dem schönen Gelingen des Werkes; vom heiligen Beruf der Kirche, Trost und Frieden in Herz, Haus, Gemeinde und Vaterland zu bringen und in allen Lagen und Verhältnissen des Lebens, auch unter Kampf und Anfechtung, zu verkündigen und übergibt das neue Gotteshaus seinem heiligen Gebrauche. Jetzt erst ertönen die Glocken. Majestätisch dröhnt der Dreiklang vom Turme: alle Gemüter sind mächtig ergriffen; dann folgt die Orgel, leise steigend, in zarten Tönen, bis zum vollen, brausenden Lobgesang; herzergreifend rauschen die Feierklänge durch die Gewölbe; dann fallen mit der Orgel die Posaunen ein, und von tausend Lippen erschallt unser altes Siegeslied: »Ein feste Burg ist unser Gott«. O, wer das alles miterlebt hat! Vor sechs Jahren: »Aus tiefster Not schrei ich zu dir« und heute: »Er hilft uns frei aus aller Not!« Wie wundersam wechseln die Zeiten Gottes!

Nach einem vollständigen Altargottesdienst und einem zweiten Chorgesang: »Die Himmel erzählen die Ehre Gottes« besteigt der Ortspfarrer die Kanzel und hält die Weihepredigt über den Ostergruß des Auferstandenen, Joh. 20, 21 » Friede sei mit euch

Er antwortet I. auf die Frage: »Was ist's für ein Frieden, den wir heute herniederflehen?

Es ist nicht ein bloß äußerlicher Land- und Bürgerfrieden, der wohl unsere zeitliche Wohlfahrt schirmt, aber das tiefste Sehnen des Menschenherzens nicht stillen kann. Es ist der Frieden Gottes! Der Frieden, den der heilige Gott mit der empörten Menschheit wieder geschlossen hat; der Frieden, wodurch die geheimnisvolle Macht der Sünde, des Satans und des Todes gebrochen, überwunden zu unsern Füßen liegt.

II. Worauf ruht dieser Gottesfrieden?

Wie das ganze Christentum, auf den Rettungstaten Gottes in Christo Jesu, dessen Kommen, Leiden und Siegen die Erlösung schafft, wonach alle Geschlechter der Erde seufzen. Wo diese Rettungs- und Friedenstaten geleugnet, erschüttert werden, da graben sich Völker und einzelne Seelen ihr eigenes tiefes Grab; denn es bleibt wahr: ›Die Geschichte ist der Menschheit Gewissen und das Christentum ist einst der Menschheit Gericht.‹

III. Wie gelangen wir zu diesem Frieden?

Durch den Missionsdienst der heiligen Kirche, die den Beruf hat, durch treues Haushalten über Gottes Geheimnisse die Friedenstaten Gottes hinauszutragen zu aller Kreatur. – Wo ihr Zeugnis Eingang findet; wo die Sünderherzen zu gründlichem Selbstgericht und zu lebendigem Glauben an Christum erwachen, da werden auch in den dunkelsten Tiefen sittlicher Verkommenheit Friedenskinder geboren, wie der Tau aus der Morgenröte. Das soll und wird auch hier geschehen, wenn von heute an bis auf die spätesten Geschlechter die großen Rettungstaten Gottes rein und lauter verkündigt werden.« Nach dieser Predigt wird abermals ein Chor gesungen: »Wie lieblich ist deine Wohnung, o Herr!« und nun folgen noch zwei kürzere Ansprachen von Pastor S. Nielsen aus Potsdam, der die reichgeschmückte Kirche im Namen der deutschen Wohltäter als ein Angeld herzlicher Bruderliebe der Gemeinde Fröschweiler übergibt; von Dr. Eichenbrodt aus Darmstadt, der gar ernste und herzliche Worte des Trostes und der Ermahnung an die Versammlung richtet; dann singt die Fröschweiler Schuljugend noch den Lobgesang: »Das ist ein köstliches Ding, dem Herrn danken und lobsingen deinem Namen, du Höchster«, und Schlußgebet und Segen beendigen die erhebende Festfeier. Die Friedenskirche ist eingeweiht; aber jetzt geht's erst recht ans Beschauen des herrlichen Gotteshauses; jeder will alle die prächtigen Kunstschätze sehen und bewundern; den ganzen Tag wogt eine ungeheure Menschenmenge aus und ein, und bis in die späte Nacht verkündigt der Glockenklang die Freude, welche uns nach langer Trübsal widerfahren ist.

Jetzt ist Fröschweiler nicht mehr das unbekannte Bauerndörflein auf der sonnigen Hochebene bei Wörth a. S., sondern der vielbesuchte Wallfahrtsort aller derer, die das Schlachtfeld vom 6. August 1870 und dessen erhabenstes Denkmal zu sehen wünschen. Wahr ist es auch: Elsaß hat in Stadt und Land manch schönes Gotteshaus, aber unter allen gebührt unstreitig die Palme der hiesigen Friedenskirche.


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