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Die Plünderung im Dorfe

Der letzte Laib Brot und der alte Bechtel

Wie uns, so erging es, ohne Ausnahme, allen Einwohnern im Dorfe. Überall brachen die durstigen wütenden Gesellen haufenweise in die Gehöfte hinein; drangen, gleichviel bei offenen oder verschlossenen Türen, stracks in die Keller, durchlöcherten, zerschlugen die Fässer, füllten, soffen, verschütteten nach Herzenslust, Wein, Obstwein, Essig, Schnaps, Kirschengeist, was ihnen unter die Hände fiel. Und die armen Bäuerlein standen dabei und sahen zu und mußten alles kosten, und manchem ist wohl der Ingrimm und das Herzeleid bis an die Seele gestiegen; denn wahrlich, das tut weh, das geht ans Leben, wenn auf einmal, mir nichts, dir nichts, so ein gutes, lang gespartes Tröpflein weggeschnappt oder sündenmäßig verdorben wird! Aber, was machen? Heulen? Meinetwegen! Dareinwettern? Probier's einer! Wer sich geduldig in sein Schicksal fügte, dem wurde kein Haar gekrümmt; wer sich halsstarrig stellte, der wurde mit Gewalt gebändigt. Und so waren denn in einem Nu alle Keller gründlich ausgeleert, alle Fässer, groß und klein, auf den Kopf gestellt, und ich glaube nicht, daß es zweien oder dreien gelungen ist, einen Tropfen für den kommenden Durst zu bewahren.

Dem schlauen Grünspecht hat freilich auch diesmal seine Verschmitztheit wieder geglückt. Kein Wunder! Der kleine Keller war mit einigen Klaftern Holz vermauert … O wie hat der nachgehends in die Faust gelacht und sich gütlich getan im stillen beim vollen Glase, während den andern das Herz im Leibe brannte … aber er hat's doch bekommen; was er am Wein erlistet, das hat er fürs Wasser reichlich büßen müssen. Nur schade für den köstlichen Wein, der in Menge verschüttet und zerstört worden ist. Wie viele erschöpfte, verwundete Krieger hätte man damit erquicken können. Aber wer will einem Lawinensturz Einhalt gebieten? Von den Kellern ging's, wie bei uns, in die Stuben: Tischladen, Schränke, Kisten, Betten, alles wurde aufgebrochen, durchstöbert, und was noch vorhanden, Brot, Milch, Eier, Speck, Zwiebeln usw. ohne Schonung und Erbarmen weggenommen. Denn wie schlau der Bauer auch sein mag im Verstecken, ebenso schlau, noch schlauer ist der hungrige Soldat im Suchen und Finden. In der Umgegend von Metz und Paris werden die Leute wahrscheinlich auch etwas von dieser Industrie zu erzählen wissen. Item, da wurde auch in Fröschweiler noch manches Eierkörblein ausgehoben, mancher Schnapskrug in der Kammer oder auf dem Speicher aus einem Spreu- oder Holzhaufen hervorgeholt, und es gab freudig lachende und auch schmerzlich verzerrte Gesichter. Natürlich durfte da und dort auch manches mitgehen, das keine Füße hatte und nicht gerade zum Waffenhandwerk unentbehrlich war; aber unter welchem Heer sind nicht auch Leute, die, wenn ihre Taten erst einmal aufkommen, das Zelt mit dem Zuchthaus vertauschen müssen? Und das muß gleich hier mit rückhaltsloser Offenheit bestätigt werden. Im deutschen Heere herrschte eine furchtbare, unerbittliche Disziplin. Hatte da in Wörth ein Soldat eine Uhr gestohlen … Der Quartiermann, bei dem er logiert, ging dem Regiment nach bis gen Philippsburg, wurde vor der ganzen Front hergeführt, erkannte den Täter wieder und der Unglückselige wurde auf der Stelle niedergeschossen. Und jeden Morgen wurde den Mannschaften bei Todesstrafe eingeschärft, sie sollten sich gegen das 7. Gebot nicht vergreifen. Wir reden also von seltenen Ausnahmen. Nur eines konnten wir uns nicht erklären: das Verschwinden so vieler Mannshemden! Nachher haben wir's erfahren: eine ganze Menge der armen Jungen mußte beim Sturm über die Sauer bis an die Schultern durchs Wasser; und ich darf's wohl hinzusetzen: die trockenen Hemden haben wir ihnen von Herzen gegönnt. Ich hätt' mir auch eins genommen. – Aus den Kellern und Kammern ging's dann in die Ställe, in die Scheunen. An die zweihundert Stück Rindvieh, fast alle Schweine, Hühner, Gänse, Schafe (von der Schloßherde sind ganz wenig entronnen) wurden niedergemacht oder fortgeschleppt. Auch Heu, Stroh – leider auch ungedroschenes Getreide, doch nur, wo kein Stroh vorhanden war –, Hafer, Roggen, Gerste wurde massenhaft aufgeladen und von dannen geführt. Da wollte auch manches Bäuerlein kein Heu oder kein Stroh oder keine Leiter haben … Es half aber kein Leugnen und kein Entschuldigen – er mußte hinauf, selbst hinauf, und wehe, wenn er keins herunterbrachte! Und kein Deutsch verstehen wäre hierzulande wohl zu toll gewesen. Da gab's aber auch, Gott sei's geklagt, einheimische Schurken und Spitzbuben, die im Gedränge umherschlichen und den suchenden Unteroffizieren heimlich zuflüsterten: »Da wohn' ich« und wenn's hundertmal eine Lüge war! oder »Da und dort wohnt ein reicher Mann, da ist Heu, Stroh, Frucht, Wein in Menge« und schonten so ihr eigen Hab und Gut zum Schaden anderer Leute! So hat auch der Pfarrer manchen Troß zugeschickt bekommen von gottlosen Hallunken und Tagdieben, die sich dann die Hände reiben konnten.

Es sei ihnen nicht zugerechnet; aber manchem hat seitdem schon die Gerechtigkeit Gottes sein Handwerk gelegt und seinen Lohn gegeben. Und ist's nicht eine wahre Teufelei, was drüben in Reisejockels Scheune vollbracht werden sollte? Der fand in seinem Weizenstock einen Feuerbrand, der seine ganze Hofgerechtigkeit in Flammen stecken sollte, aber überm Hineinstoßen ausgelöscht war! Ach, du großer Gott, welche Leidenschaften doch der Krieg im Menschenherzen entzündet! wie in solchen Zeiten die ganze Grundsuppe sündlicher Verkommenheit sich ausschäumt! – Doch, bekennen wir's mit Freuden, das sind auch nur Ausnahmen gewesen. Unser Volk, im ganzen, hat noch einen sittlich guten Kern, und wenn es denselben bewahren darf, so können wir schon zufrieden sein.

So hatte denn die Plünderung alle Nahrungsvorräte in einigen Augenblicken verschlungen. Trostlos standen unsere Leute vor den Ruinen ihrer irdischen Habe. Ach, wie viele Seufzer sind an jenem Abend gen Himmel gestiegen! Wie viele Tränen über Vater- und Mutterwangen herabgeflossen, und doch, wie hart, wie schonungslos die Hand des Siegers uns niedergeworfen hatte, es schlug unterm fremden Waffenrock manch fühlend, mitleidig Herz. Sie mußten es ja tun, und wer, nach solch einer Schlacht, hätte es nicht getan? Und wie mancher tat um unsers Jammers willen dennoch nur halb, was er ganz hätte tun dürfen? Nur einige Beispiele. Gerade da unten wohnte ein Bäuerlein, nicht reich an irdischen Gütern, wohl aber an unmündigen Kindern. Da war auch Jammer und Elend, als am Abend nach der Schlacht alles drunter und drüber ging, und der letzte Laib Brot, im Bett verborgen, jeden Augenblick in Feindes Hände fallen konnte. Der Vater seufzte, die Kinder heulten vor Schrecken, aller Augen waren nach dem letzten Bissen gerichtet, als eben wieder ein Trupp Soldaten das Hoftor hereinstürmte. Die Mutter merkt die Gefahr, langt den Laib Brot zum Bett heraus und spricht: »Bärbele, geschwind, da setz' dich drauf! deck's mit deinem Röckle zu und steh' ja nicht auf, wenn sie kommen.« Gesagt, getan. Die Soldaten dringen in die Stube, durchstöbern alle Winkel. Das Kind sitzt unbeweglich auf seinem Schatze. Sie haben ihn nicht gefunden. Es kommen wieder andere, durchsuchen alle Betten, Schränke und Kisten, die kleine Hüterin verzuckt keine Miene. 's ist nichts mehr da. Endlich wird aber das Kindlein müde; »Mutter«, ruft es, »ich kann jetzt nicht mehr auf dem Brote sitzen!« steht auf und verläßt seinen Posten. Was jetzt anfangen? Es kommen ja schon wieder Soldaten! »Christian, lauf schnell und versteck ihn in dem Taubenschlag!« Und im Handumdrehen ist der köstliche Vorrat unter den Hohlziegeln. – Aber auch dort droben gibt's keine sichere Stätte, denn wo die Bayern nicht auf ebenem Wege hinkommen, da steigen sie die Leiter hinauf.

Und so wird auch endlich der Taubenschlag erreicht, erbrochen und der letzte Laib Brot in Beschlag genommen. Triumphierend kommen sie herunter, und schon sind viele Hände nach dem Brote ausgestreckt, aber die Kleinen wimmern gar kärglich und das Bäuerlein faßt sich ein Herz zu den fremden Kriegern: »Ihr lieben Herren, seid doch gut gegen uns! wir haben ja schon zehn Laib gegeben, und das ist alles, was wir haben für unsere Kinder … ihr habt ja auch vielleicht Geschwister und Kinder … laßt uns nur ein wenig, daß wir nicht Hungers sterben.« – Und die Soldaten sind auch nicht so unmenschlich und ohne Gottesfurcht; sie fühlen auch der Besiegten Weh und Jammer … Der, welcher den Fund getan hat, zieht den Säbel, haut den Laib Brot in zwei Teile, überreicht dem zitternden Familienvater die Hälfte und spricht: »Da Bauer, iß dich satt mit deinen Kindern …, das andere brauch ich für mich und meine Kameraden.« Und die armen Leutlein haben sich's unter Loben und Danken trefflich schmecken lassen und gewiß hat's dem edlen Krieger und seinen Streitgenossen auch trefflich geschmeckt und der Segen Gottes wird ihn begleitet haben auf seinen Wegen. Solche Beispiele wären viele zu erzählen: wie droben im Oberdorf einer armen Witwe, auf ihr händeringendes Flehen, die schon losgebundene Kuh wiedergeschenkt wurde; wie in dem und jenem Hause ein bißchen Lebensvorrat genommen und wieder zurückgegeben worden; wie sogar die feindlichen Sieger mit ganz ausgeraubten Familien ihren eigenen Bissen geteilt haben. 's ist hart, sehr hart zugegangen; aber im allgemeinen sind Mißhandlungen und Unmenschlichkeiten nicht zu beklagen gewesen.

Auch komische Szenen durften nicht fehlen. Nur eine unter vielen. Da oben an der Straßenecke, gerade der Kirche gegenüber, wohnte mit seiner Frau ein alter ergrauter Napoleonsdiener (wie man sie nannte), dem in der Schlacht bei Leipzig das Bein zerschmettert worden war und der neben dem privilegierten Tabakhandel ein kleines Spezereigeschäft trieb. Er hatte ein hübsches Sümmchen Geld zusammengeschachert und den ganzen Tag während der Schlacht in der Hosentasche verborgen …, kam aber auf den fatalen Gedanken, er müßte es besser verstecken und ersann folgende Kriegslist: Er verbarg zuerst eine gewisse Quantität Kaffee, Zucker und Viktualien unter die Matratze, deckte das Bett hübsch ordentlich zurecht und legte sich hinein. Dann nahm er den Geldsäckel und steckte ihn in die Herzgrube. Sein altes Weib legte sich gehorsam neben ihn. Nun kam ein ganzer Troß Soldaten und stürmte zuerst in den Laden hinein. Es rumpelte und rappelte in den Schubladen, Ölkrügen, Sirupfässern, ein Spektakel zum Entsetzen. Der alte Bechtel lag nebendran und muckste sich nicht. Endlich brachen sie aber auch in die Stube. »Ha, Alter! was macht ihr da im Bett?« – »Ihr lieben Herren, ich bin krank! ich hab ein krankes Bein!« – »Ihr habt noch Zucker, Kaffee und sonstiges Zeug, heraus!« – Frau Bechtel: »Ihr lieben Herren, wir sind krank!« – »Was krank! … Ihr seid nicht krank … aus dem Bett heraus« … und einer zupfte energisch unten am Leintuch. – Bechtel drückt das Beutelein immer fester in die Herzgrube. – »Ihr lieben Herren, ich kann nicht aufstehen, mein Bein, mein Bein!« – Es half aber kein Bein und kein Kranksein, sie schrien und zerrten immer gewaltiger: heraus, heraus! da fielen die Kaffeebohnen auf den Boden und der Zucker usw. kam auch zum Vorschein und der arme Bechtel mußte heraus und überm Herauskrabbeln rutschte das Beutelein aus der Herzgrube – ein Riesengelächter ertönte von allen Seiten. In einem Augenblick war der Schwarm verlaufen. Die alten Leutlein nahmen sich zusammen, schauten einander verblüfft in die Augen: »Du, wo ist das Geld?« Der Kaffee war fort, der Zucker war verschwunden. Die Goldstücklein waren nicht mehr zu finden. – Waren sie in die Spalten des wurmstichigen Dielenbodens gefallen, oder hatte sie einer zum Spaß annektiert? Das müßte man den alten Bechtel fragen, er ist aber seitdem auch von hinnen geschieden.


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