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Die ersten Regimenter und der Gänsemarsch

Mit dem Abmarsch und Vorstoß in Feindesland sollte es indessen noch keine Eile haben, und es mußte wohl mit der Schlagfertigkeit Frankreichs nicht ganz geheuer sein. Kein Mensch wußte, wo es eigentlich hingehen sollte. Der Staubejörri sagte: »Der le Boeuf wird die Hörner schon anrennen!« Der Fischertoni: »Man will sie hereinlocken, um ihnen den Kittel auszuklopfen!« Andere meinten, der Kaiser habe befohlen, alle Heeresmacht Frankreichs zu vereinigen und dann plötzlich, wie ein Donnerwetter, über sie herzufahren; wieder andere: »Man wolle Preußen vom Meere aus angreifen, dann müßten sie wieder zurück und wir kämen hinterdrein und sprengten sie alle gegen den Mond.« So diskurierten sie untereinander und jeder behielt recht; denn wer in solchen Zeiten noch Vernunft und Gottvertrauen bewahrt, der schweigt und denkt:

»Du aber mein Herze sei still! sei still!
Es fallen die Würfel, wie Gott es will.«

Das ist des Herrn Sache, der die Völker wieder einmal mit der Kriegsrute züchtigt.

Das Gewitter sollte sich noch nicht entladen, und doch war Fröschweiler bald nicht mehr das friedliche Dörfchen mit seinen still heimlichen Obstgärten, Wiesen und Fluren, sondern ein tosender Tummelplatz immer zahlreicher anrückender Truppen. Die Jägerschwadron wurde durch das Bataillon Jäger zu Fuß ( Chasseurs de Vincennes) Nr. 13 abgelöst. Die kamen leichtfüßig und wohlgemut unter schmetterndem Fanfarenklang das Dorf hereinmarschiert, trieben sich da in Gassen, Höfen und Häusern herum, suchten und kriegten auch allerlei Proviant und bezogen des Abends ihr Lager in der obern Mulde der Bitzenmatt zwischen Küfers und unserm Grasgarten. – Dann kam unter Spielen und Singen der Marseillaise das 18. Linienregiment, marschierte bis unten ans letzte Haus, schwenkte nach links und schlug seine Zelte an dem schönen breiten Hügelrücken hinterm Gottesacker auf. Dann kam das 96. Linienregiment und kampierte teils auf Wiesen, teils auf offenen Feldern zwischen Fröschweiler und Nähweiler. Es traf auch eine Kompagnie Geniesoldaten ein, die vorläufig keinen bestimmten Posten einzunehmen hatten.

Wir waren also mit Soldaten, nach denen wir im Anfang ein so sehnliches Verlangen hatten, bereits reichlich gesegnet, und unserer Begeisterung, sowie unsern Kammern und Kellern standen Proben der Ernüchterung und Entsagung bevor, die wir glücklicherweise nicht ahnten; sonst wäre manchem, auch dem unüberwindlichen Gruseltoni, das Herz in die Stiefel gefallen.

Bevor aber der Erzähler zur genaueren Schilderung der französischen Soldaten übergeht, wie sie verpflegt wurden, diszipliniert waren, wie sie sich hierzulande aufgeführt und welchen Eindruck sie unserm elsässischen Volke hinterlassen haben, muß derselbe noch eines seltsamen Gerüchtes erwähnen, das in jenen Tagen sich plötzlich wie ein Lauffeuer verbreitet hat. Wer es eigentlich aufgebracht, ob es überhaupt irgendwelchen Grund hatte, muß dahingestellt bleiben, es sei denn, daß der Kronprinz des Deutschen Reichs dem verehrten Publiko den nötigen Aufschluß geben wollte. Item, in Kriegsläuften durchbricht die menschliche Phantasie alle möglichen Schranken – und so hieß es denn: Auf dem Scheitel des Schwarzwaldes, gegenüber von Straßburg, ziehe Tag und Nacht allerlei Fußvolk, Wagen und Reiter und Kanonen vorüber; das könne man deutlich merken und mancher Steckelburger So heißt man die echten Straßburger., der das Gras im Schwarzwald wachsen hört, hatte auch schon den Lärm und das Gerassel vernommen, und das sei ein Schabernack, den der Kronprinz dem Marschall Mac Mahon spielen wolle, als sammle sich dort ein großes Heer, Baden und Württemberg zu verteidigen, während es doch nur einige hundert Leute und soundso viele Reiter, Wagen und Geschütze, und zwar immer dieselben wären, die dort in regelmäßigem Gänsemarsch auf und ab patrouillierten … und der Kronprinz in einer ganz andern Gegend seine Schwaben und Bayern zusammentrommle! Aber der Marschall würde sich durch solch Gaukelspiel nicht narren lassen, sondern zu seiner Zeit am rechten Fleck über den Rhein sehen und ihnen sagen, wo Barthel den Most holt.

War's eine Fabel, die ein Spaßvogel der neugierigen Bevölkerung zum Zeitvertreib hingeworfen hatte? oder war's der richtige Volksinstinkt, welcher für die lange Verzögerung des Aufbruchs nach Deutschland eine Entschuldigung und für das etwaige Aufgeben des Angriffsgedankens zum voraus einen Trost verlangte? – Auch wurde in jenen Tagen in Fröschweiler bekanntgemacht, daß, wer noch Weizen draußen hätte, der sollte ihn so bald als möglich heimschaffen, zumal, wie der Wodlijörri verkündigte, man nicht wisse, was geschehen könnte. So waren auch schon alle Geistlichen vom hochlöblichen Direktorio aufgefordert worden, für den Sieg der französischen Waffen zu beten, und allerlei Liebesgaben in Geld, Scharpie usw. zu sammeln und zur Verpflegung der Verwundeten in Bereitschaft zu halten. Alles deutete darauf hin, daß in baldigster Zukunft folgenschwere Ereignisse zu erwarten wären.

Wir wollen aber nicht heulen, ehe wir geschlagen werden, und kehren ein Weilchen zu unsern Truppen zurück, um mit denselben nähere Bekanntschaft zu machen.


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