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Als jene verhängnisvolle Nacht gekommen war, wo die beiden Heere sich schlagfertig gegenüberstanden – wie mußte da vom obersten Feldherrn an bis zum bescheidensten Soldaten herab ein heimliches Todesgrauen durch alle Seelen rauschen: »Wer weiß, wie nahe mir mein Ende!« Wie mochte zugleich die suchende Hirtenliebe Jesu Christi an alle Herzen klopfen: »Kehre wieder, kehre wieder, so will ich mich dein erbarmen!« Und hat nicht die Missionsarbeit des Heiligen Geistes unter den gezückten Schwertern angesichts des aufsteigenden blutigen Morgenrots Raum gefunden in vielen Gott entfremdeten Gemütern? hat sie nicht Helden gezeugt, welche sterbend die Krone des Lebens errangen? Das wird der letzte Ostermorgen einst offenbaren, wenn die Gräber auf unsern Gefilden sich öffnen und die Erlöseten des Herrn wiederkommen werden mit Frohlocken. Manchem, das wissen wir, hat die feindliche Kugel nicht bloß die Brust, sondern auch das Gewissen durchbohrt, und er hat unter Zöllners Buße und fröhlichem Armensünderlob seinen Geist in Gottes Hände befohlen. Nur einige Beispiele.
Es war in der Schreckensnacht um elf Uhr. Die Flammen schlugen hoch empor aus der brennenden Kirche, draußen auf der Straße ist ein Kriegsgetümmel, daß die Erde erbebt, eine Siegesfreude, die Mark und Bein durchdringt … da kommt außer Atem ein Bauer gelaufen und bittet, ich solle so schnell wie möglich in sein Haus kommen. Ich mache mich auf und er führt mich durch die tosenden Menschenmassen hindurch in seine Scheune. Ach! wie liegen sie da, auf Stroh gebettet, dicht nebeneinander, die verstümmelten Krieger! Es möchte einem das Herz im Leibe brechen über den Jammer und Stöhnen der hilflosen Schlachtopfer, deren entstellte Gesichter und fieberglühende Augen so schaurig, so geisterhaft durch die matterleuchtete Finsternis glänzen! – Einer besonders liegt in fürchterlichen Wehen: er ist zweimal getroffen und kämpft einen doppelten Todeskampf; denn die eine Wunde brennt mit unsäglichen Schmerzen in der durchschossenen Brust, die andere mit schrecklicher Qual im aufgewachten Gewissen. O wer das sehen könnte! Wie bei jedem Atemzuge ein ächzendes, heiseres Gepfeife durch die durchbohrten Lungen zieht, und wie die Stoßseufzer aus der erschrockenen Seele sich losringen, wie die Bußtränen über die bleichen Wangen herunterrieseln! Und was hat der Arme erst ausgestanden, bis er den Mut und die Kraft erlangt, Trost und Hilfe zu suchen in solchem Verschmachten! Er hat gemeint, er befinde sich hier unter einer fanatischen Bevölkerung, die ihn vielleicht verspotten oder gar mißhandeln würde, wenn er es wagte, seinen Glauben zu bekennen. Und so hat er stundenlang das verzehrende Feuer seiner Wunde und seines Gewissens ausgehalten, bis er endlich, am Rand der Verzweiflung, ausgerufen: »Ist denn kein evangelischer Pfarrer zu finden, der mir beistünde in der letzten Not?« Als ihm gesagt wird, er sei von Glaubensbrüdern umgeben, fällt es wie Trostesbalsam auf sein gequältes Herz, und als ich neben ihm knie und ihn grüße mit dem Gruße des Friedens, fällt eine Zentnerlast von seiner Seele: »O Herr Prediger, wie bin ich so froh, daß Sie noch zu mir kommen … ich bin sehr schwer verwundet, ich werde meinen Geist aufgeben. Aber es brennt mich so sehr in meinem Herzen – ich bin ein großer Sünder, ich habe meiner Mutter viel Herzeleid bereitet! Aber ich will meine Sünden beichten – ja, ja, beichten, und Sie sollen mit mir beten und mir Vergebung meiner Sünden zusprechen. Ich will das heilige Abendmahl genießen; denn ich muß einen Heiland haben, sonst gehe ich verloren!!« Ich sage ihm, er solle sich nicht fürchten: »Christus ist ja für uns Gottlose gestorben.« – »Ja gottlos! ich bin auch gottlos, sehr gottlos gewesen. Ich bin der verlorene Sohn – aber ich will umkehren … O wenn ich noch einmal leben dürfte, wie wollte ich umkehren, wie wollte ich ein anderes Leben führen!« Dann folgen wieder die unaussprechlichen Stoßseufzer und die Tränengüsse: »Meine Sünden, meine Sünden! kann ich meiner vielen schweren Sünden los werden? Wird mich Christus nicht verstoßen?« – »Nimmer mehr, und wenn deine Sünden blutrot wären, so sollen sie doch weiß wie Wolle werden. Verzage nicht, glaube nur!« – Er wird ruhiger, ich spüre, er ist gerettet! Er fängt an zu beten: Sprüche, Liederverse, alles was er in seiner Jugend gelernt hat, ja ganze Psalmen, einen nach dem andern! Es ist, als löse sich allmählich der ganze schwere Bann seines Lebens, und als ich ihn frage, ob er denn jetzt zuversichtlich glaube, Christi Blut sei auch für ihn geflossen, antwortete er mit solcher Freude und Gewißheit, daß ich unter Loben und Danken ihm das heilige Abendmahl reichen kann, mit der tiefsten Überzeugung: der ist wie ein Brand aus dem Feuer gerissen. – Als er mir die Hand zum Abschied reicht, ist er so selig, so freudenreich, daß seine röchelnde Stimme wie Lobgesang aus der Ewigkeit ertönt. – Und als ich den andern Abend wieder in die Scheune komme, um, wie ich meine, die entseelte Hülle zum kurzen Todesschlaf einzusegnen, liegt der liebe Jüngling nicht mehr auf seinem Strohlager, sondern ist bereits auf sein händeringendes Bitten mit vielen andern weggeführt worden. Ob er irgendwo, unter liebevoller Pflege zum Leben genesen, oder bald selig entschlafen sei, vermögen wir nicht zu berichten. Wallt er aber jetzt noch im Leibe, so mögen jene heißen Stunden in der fremden einsamen Scheune ihm so unvergeßlich bleiben, wie sie uns geblieben sind. Dann kann er sich rühmen, ein Ehrenkreuz errungen zu haben, das viel lieblicher schmückt als tausend Eiserne Kreuze!