Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die einheimischen Opfer

Acht Stunden lang hatte der Kanonendonner Elsaßhausen in allen Grundfesten erschüttert; mehrere Häuser und Scheunen lagen in Trümmern oder flammten und rauchten gen Himmel, als endlich nach wiederholtem, furchtbaren Ansturm das Dörflein erobert wurde. Aber der blutige Totentanz war nicht zu Ende. Waffengeklirr und Feuersalven tobten immer noch auf der Straße an allen Enden; da brach im Keller eine zwanzigjährige, kräftige Jungfrau zusammen, und ihr Geistesauge trübte sich zu nimmer weichendem Dunkel! Irr- und tiefsinnig trat sie aus der dunkeln Tiefe und seitdem leuchtet kein Licht- und Freudenstrahl mehr hinein in ihrer Seele trostlose Nacht! – O kommt und seht die ehemals so begabte, blühende Elisabeth, wie sie jetzt so unstät, so menschenscheu – eine grauenvolle Ruine – ihr bejammernswertes Dasein dahinschleppt! Das hat der Krieg getan.

Gehen wir einige Schritte weiter in Trösters Haus. Wer fliehen konnte, war längst entflohen. Aber auch diese letzte Hoffnung ist nicht allen vergönnt. Der taube, blödsinnige Oheim Trösters vermochte sein Heil nicht in der Ferne zu suchen und hatte sich, von Schrecken und Fieberwahnwitz getrieben, in einem Sack ins Bett verkrochen. Da drangen kampfeswütend die deutschen Soldaten herein, sahen im Bett, in seltsamer Verhüllung, die unheimliche Gestalt; riefen mit Donnerstimme: »Wer ist da?« – und bekamen keine Antwort; er hörte ja nicht, sondern glotzte und heulte immer nur wie ein Besessener zum Sack heraus. Da glaubten sie wahrscheinlich, er müsse ein Spion oder ein französischer Krieger sein und schossen den Unglückseligen tot! – Ach, daß Gott erbarm! Als nach zwei Tagen Tröster mit seinen Flüchtlingen wieder heimkam, starrte ihnen die blutige Leiche aus dem Bett entgegen.

In Fröschweiler war die alte Zaißnerin mit vielen andern in Bäckerjörris Keller geflohen. Das Dorf war bereits mit Sturm genommen und die deutschen Truppen strömten unter mächtigem Siegesgeschrei durch die Straßen. Da prallten noch einmal die Schüsse an jene Kellertür und die Bäcker-Rosine hatte eine verstümmelte Hand und die alte fünfundsiebzigjährige Frau war eine Leiche. Und wo ist sie hingekommen? Kein Mensch hat erfahren, wo sie begraben liegt. Die Soldaten haben sie mit erschlagenen Waffenbrüdern Sonntags in der Frühe auf dem Felde verscharrt … So wurde auch der alte Eiser-Henner durch eine Kugel am Arm verwundet und blieb bis an sein Ende ein verkrüppelter Mann. Der Wodli-Jakob war in der Angst unter einen Schrank gekrochen, wurde aber von den siegestrunkenen Soldaten aus seinem Versteck hervorgeschleift und so jämmerlich traktiert, daß er seitdem oft in Zustände verfällt, die an Verrücktheit grenzen und von Geldsummen phantasiert, die er gefunden haben will, aber niemals gesehen, geschweige besessen hat. In Wörth wollte ein 24jähriger Jüngling zum Speicher hinaus der Schlacht zusehen, eine Kugel durchbohrte ihm die Brust – er siechte noch sechs Monate und starb an der Schwindsucht. Eine Frau war ans Fenster getreten und stürzte tödlich getroffen zu Boden. Drei Männer wurden durch Kugeln verwundet, gelangten aber wieder zur Genesung. – In Spachbach war ein junger Mann, Vater von mehreren unmündigen Kindern, mit andern Leuten aus dem Keller getreten und wollte eben nach Hause eilen, um Brot für die Verwundeten zu holen; da wurde er unter der Anklage, er hätte geschossen, was erwiesenermaßen nicht der Fall war, auf der Stelle unerbittlich erschossen. Die Steine am Wege hätten sich erbarmen mögen! – Sein armes, krüppelhaftes Weib hat sich schier zu Tod gewinselt.

Ein anderer, ebenfalls junger Mann sollte sofort niedergemacht werden, wurde jedoch begnadigt. Der Schrecken aber hatte ihn zerschmettert, – er starb plötzlich und hinterließ eine schwergedrückte Familie.

In Langensulzbach sollte ein ganzer Trupp von Menschen standrechtlich erschossen werden, weil sie angeblich sich am Kampfe beteiligt hätten; sie wurden aber durch die energische und selbstvergessende Dazwischenkunft des dortigen Pfarrers gerettet. Aber in Gunstett!! O, Gunstett bleibt ein dunkler Punkt in der Geschichte jenes verhängnisvollen Tages! Haben die dortigen Einwohner wirklich auf deutsche Soldaten geschossen? Kein Mensch hat es ergründen können bis auf den heutigen Tag. Der Erzähler hat alles versucht, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, unmöglich! Die Offiziere und Soldaten haben steif und fest behauptet, die Gunstetter haben aus den Häusern und Kellern geschossen – und die Gunstetter leugnen, schwören, sie seien unschuldig gewesen. Wer wird, wer kann den Schleier dieses Geheimnisses lüften? Gott weiß es! – In einer so düstern, haß- und rachedurchglühten Zeit ist ja vieles, alles möglich. Es wird uns später auf diesem Gebiet nochmals eine gräßliche Mordgeschichte vor die Seele treten; ob sie aber mehr Licht in dieses Dunkel werfen wird, steht zu bezweifeln. Nein, in Gunstett ist es schauerlich zugegangen.

Ein Schwindsüchtiger ist im Bett erschossen worden. Etliche aber meinen, er sei nicht krank gewesen, sondern habe sich, nachdem die Tat an ihm vollbracht, in das Bett verkrochen. – Ein Gastwirt wurde mit seiner Frau an der Haustür niedergemacht; seine zwei Kinder wurden schwer verwundet; eines derselben ist mit zerschmettertem Arm bis nach Hagenau gelaufen. – Was hatten diese Menschen verübt? Ist es wahr, daß sie geschossen? Daß sie den Soldaten Speis und Trank verweigert haben? Geh' und frage die Gräber, sie werden schweigen, und bei den Lebenden ist keine Stimme noch Antwort. Rätselhaft bleibt vorderhand die Tatsache, daß die Deutschen hier, wo der Widerstand am hartnäckigsten war, wo der Sieg so ungeheure Opfer forderte, wo im Unterdorf sozusagen jedes Haus einzeln erobert werden mußte, derartige Untaten nicht verübt haben.


 << zurück weiter >>