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Das Begraben der Toten

Es sind, wie schon mitgeteilt, in der ersten Schreckensnacht vom 6. zum 7. August schon manche Toten, namentlich deutsche Offiziere und Soldaten, von ihren Kameraden und Mannschaften bestattet worden. Auch haben wir gesehen, wie am Sonntag, auf Befehl des Generals v. d. Tann, in der Nähe des Dorfes einige größere Gräber gemacht und mit Leichnamen angefüllt worden sind. Den Totenwagen haben wir zum Dorfe hinausbegleitet. Auch die vielen Verwundeten, welche seit Samstag Abend gestorben sind, schlummern bereits im Schoß der Erde. Im ganzen ist also doch schon, allein in Fröschweiler, eine große Anzahl von Opfern zur Ruhe gebettet. In den umliegenden Ortschaften Wörth, Görsdorf, Spachbach, Gunstett usw. usw. ist dasselbe geschehen. Aber was sind die paar Hunderte gegen die Masse, gegen die Tausende von Menschen- und Pferdeleichen, die noch draußen auf dem Schlachtfelde liegen? Und in welchem Zustande sind bereits, nach drei Tagen, diese entseelten Opfer des blutigen Tages! Die brennende Hitze, dann Regen, dann wieder dieselbe Hitze … Man darf sie nicht beschreiben … Der Verwesungsgeruch verpestet die Luft … Das kann unmöglich noch länger dauern. Wir sind auch schon mehrmals aufgefordert worden, die Toten zu begraben und das Schlachtfeld zu reinigen. Soeben ist wieder ein Befehl ergangen: Wenn die Einwohner nicht Hand anlegen, daß alle Leichname gesammelt und verscharrt werden, so wird das ganze Dorf übern Haufen geschossen! – Der spricht noch kategorischer, als der Mann mit den Scheunentoren! »Das Dorf wird übern Haufen geschossen!« O goldwertes Wort für so manchen, der bis jetzt sorglos und selbstsüchtig hinterm Laden gelegen und gemächlich zugeschaut hat, während andere allein sich in die Bresche gestellt haben. – Jetzt werden die Leute zusammengetrommelt: »Es wird bekanntgemacht, es soll jeder Bürger, der schaffen kann, hinunter auf den Kirchenplatz kommen und soll Haue und Spaten und Schaufeln mitbringen, daß die Toten begraben werden.« – – Im Nu sind alle versammelt, Männer, Jünglinge, Weiber, Jungfrauen, ein ganzes Heer von Totengräbern – und hat sich wieder der eine oder der andere verschlüpft und ist nicht erschienen, so wird er an den Ohren geholt, mit Gewalt herangezogen: »Du mußt, sonst wird dir dein Haus überm Kopf zusammengebrannt.« Und ist's auch mit dem Zusammenschießen und Niederbrennen nicht so ernstlich gemeint … es gibt Menschen in solchen Zeiten, die nur marschieren, wenn sie müssen, wenn der Schrecken ihre Füße beflügelt.

Wo fangen wir nun aber zuerst an? Vor allen Dingen müssen die toten Pferde, die schon so abscheulich aufgeschwollen sind und einen so gräßlichen Gestank verbreiten, fortgeschleppt und verscharrt werden. – »Wie wär's«, sagt einer, »wenn wir Feuer unter die Tiere machten und verbrenneten sie da, wo sie liegen?« Wir schleppen Holz hinaus, machen einen Scheiterhaufen, versuchen das Pferd darauf zu bringen – es geht nicht! Man kann das stinkende Aas nicht mehr anrühren. Das Tier ist zu groß, man müßte für jedes Pferd eine ungeheure Menge Holz verbrauchen … Der Versuch wird aufgegeben. – »So wollen wir sie hinunter ins Hummelloch schleifen, in die tiefen Waldgräben werfen und mit Erde überschütten …« – Das könnte besser gelingen. »Wer hat noch Vieh?« – »Geh, hol deine Ochsen; spann sie an die Pferdeleichen –, schaff sie fort, so schnell, soviel du kannst!« Der macht ein Gesicht und wehrt und sperrt sich … » Du mußt! ich sag dir, du mußt! oder ich verklag dich auf der Stelle und Gott soll dir genaden …« – Das wirkt, er geht und holt seine Ochsen; ein anderer seine Kuh – ein dritter spannt zum zweiten … sonderbar, das Vieh sträubt und bäumt sich vor Ekel – will nicht stehen bleiben, nicht ziehen … Es geht wieder nicht … aber es muß gehen; endlich geht's, und mit Gewalt und Schlägen bringen wir doch einige Pferdeleichen fort – hinab gegen den Großenwald, in die tiefen Gründe des Hummelloch; dort werden von beiden Seiten große Erdmassen draufgeworfen. Die sind aus dem Wege. Aber leider bleiben die meisten noch liegen. Unsern Tieren fehlt die Kraft zum Fortschleppen und im Hummelloch mangelt's an Raum zum Verschütten. Wir müssen uns bescheiden, Gruben auf dem Schlachtfelde zu machen und die Pferde da, wo sie gefallen sind, so gut es gehen kann, zu vergraben. Das ist eine Arbeit! In die harte Erde ein solch großes, steifes, stinkendes Tier zu verscharren! Was wir da sehen, riechen, verschlucken müssen! Du mein Gott! Es dauern einen nur die Weiber und Mädchen; der Ekel wird sie noch umbringen; aber es muß sein, wir haben ja das Schlimmste zu befürchten.

Zugleich geht's ans Begraben der gefallenen Krieger. Wie treiben wir's da, daß alles in Ordnung zugehe, daß die kostbare Zeit und die vorhandenen Kräfte gehörig benutzt werden, daß keine Toten im Walde, in Gräben und an Zäunen liegen bleiben? Das beste ist, wir sondern uns in größere Abteilungen und übergeben einer jeden ihr besonderes Gebiet. Unmittelbar hinter den Häusern fangen wir an und patrouillieren, die einen rechts bis dahin, die andern links bis dorthin; andere wieder in anderer Richtung, zunächst im engem Kreise, ums Dorf herum, dann in weiteren Kreisen, durch die Gärten, in die Felder, Wiesen, Weinberge, Wälder hinaus. Wo Tote liegen, wird Halt gemacht; die Leichname werden zusammengetragen, 4, 6, 10, 18, 30, je nachdem der Kampf gerade an dieser Stelle heftiger gewütet hat. Ein kleineres oder größeres Grab wird, unter unsäglichen Mühen, ausgeworfen und die starren, entstellten Schlachtopfer, aus beiden Nationen, von allen Waffengattungen, werden samt ihren Kleidern neben- und übereinander in die Tiefe gesenkt. Wer sind sie alle, diese teuern, in der Blütekraft des Lebens dahingerafften Helden? Wo ist ihre Wiege gestanden? Welches Eltern- oder Geschwisterherz wird bei der Todeskunde bluten und brechen? In welchem Seelenzustand ist der Gefallene von hinnen gefahren? Wir wissen es nicht! Wir können es im Drang der Arbeit und des Jammers nicht untersuchen – Gott weiß es. – Wir betten sie als Unbekannte in unsere heimatliche Erde, da mögen sie ruhen im stillen Todesschlummer bis zum großen Tage der Auferstehung. Wie gerne würden wir alle diese Leichen mit jener Pietät und Liebe behandeln, welche getauften Christen gebührt und überall zuteil wird. Wie gerne würden wir sie von ihrem Blute reinigen, mit Sterbekleidern schmücken, in Särge legen, begraben, jeden einzelnen in sein eigenes Grab und ihre Namen auf die Kreuze schreiben, unter denen sie schlafen! Aber von dem allen kann keine Rede sein. Es sind der Opfer zu viele, und sie müssen, wegen der Gefahr für die Lebendigen, von der Erde verschwinden. Wir ziehen weiter in der eingeschlagenen Richtung. Schon wieder sind's 6, 8, 12 – 15 Leichen. Überall, wo ein Erdhügel sich erhebt, ein Graben sich öffnet, ein Zaun oder eine Baumgruppe sich befindet, liegen die Gefallenen zahlreicher. Die schwere Arbeit beginnt aufs neue; die einen schleppen die Toten heran, die andern spaten, die andern schaufeln, die andern stehen da und ruhen ein Weilchen; es dauert wohl allemal zwei Stunden, bis eine Grube fertig ist und … warum sollten wir's verhehlen? nicht sechs, sondern höchstens drei bis vier Fuß tief sind die allermeisten; was nicht menschenmöglich ist, kann niemand verlangen. Wie das erstemal, werden die Leichname so fest als möglich zusammen- und aufeinandergelegt, und über den Erschlagenen wölbt sich der Erdhügel mit dem grünen Reis.

Während wir so auf unserm Gebiet die Beute des Todes verscharren, gehen die andern Abteilungen ihres Weges und vollbringen dasselbe Tagewerk, den härtesten Frondienst, wenn's nicht ein Liebesdienst wäre, der eine ruinierte Bevölkerung treffen kann. Es wird Abend; erschöpft an Leib und Seele kehren wir heim; was haben wir ausgerichtet? Nicht der zehnte Teil unserer Gemarkung ist durchzogen! Unsere Kräfte sind zu schwach und der Arbeiter sind zu wenige. Es bleibt nichts übrig, als einen Hilferuf an auswärtige Gemeinden zu richten; sie möchten um Gottes willen kommen und uns beistehen, morgen, übermorgen, wer weiß wie viele Tage noch, bis endlich das letzte Grab gegraben und der letzte der Gefallenen bestattet ist! Das geschieht denn auch; sie rücken scharenweise heran, aus allen Ortschaften, ganze Kolonnen von Totengräbern und marschieren kreuz und quer durch Wiesen und Felder. An manchen Stellen liegen enorm viele Tote. Bei Elsaßhausen, gegen den Niederwald hinab, werden 10-12 Meter lange Gräber ausgeworfen. An der Straße von Elsaßhausen nach Wörth verschlingt ein einziges Grab etliche Hunderte von Leichnamen; am nördlichen Ausgang von Wörth wird ein großer Garten in einen Gottesacker umgewandelt; in den Rebgeländen, Schluchten, an den Abhängen gegen das Turkohäuschen, im Bergwald erheben sich ganze Gruppen von Todeshügeln! Es schaudert einen heute noch, wenn man durch diese Gefilde wandelt!

Wie wir in Fröschweiler mit Hilfe auswärtiger Menschenfreunde an der Bestattung der Gefallenen arbeiten, so mühen sich jetzt unter derselben Aufgabe die Einwohner der benachbarten Gemeinden. Allenthalben gilt's, die niedergemähten Garben einzuheimsen, damit der fahle Reiter mit der Pestilenzfackel uns nicht ereile.

Endlich, nach acht bis zehn der qualvollsten Tage unseres Lebens, ist die düstere Arbeit vollendet, sind sie geborgen in der stillen Erde, die Opfer des blutigen Tages. Requiescant in pace! – Aber sag' an: Sind sie jetzt alle, alle begraben? Nein, nicht alle. Wochen, Monate später finden wir noch einzelne, verirrt im Walde, verkrochen in Höhlen, sitzend unter Bäumen im Großenwald – einsam verschmachtet – Totengerippe, denen keine Ruhestätte geworden. – Sie soll ihnen werden: Requiescant in pace! – Doch wie viele sind's denn, junge, hoffnungsreiche Menschenleben, die der 6. August hinweggerafft hat? Deutschland beklagt in seiner Verlustliste 1585 tote Offiziere und Mannschaften! Wir dürfen mit Gewißheit annehmen, daß Frankreich ebenso viele seiner Söhne beweint. Das sind zusammen 3170. Deutschland verzeichnet 1373 Vermißte; Frankreich wird nicht weniger angeben. Wo sind die Vermißten hingekommen? Wir haben früher ein Drittel davon zu den Verwundeten gerechnet. Sollten wir irren, wenn wir sagen: ein weiteres Drittel ist tot! macht wieder 915 Gefallene. Es sind also schon 4085! Und wie viele Verwundete sind unmittelbar nach der Schlacht und in den ersten Tagen vom 6.-10. August gestorben? Gewiß, es sind nicht weniger, als gefallen sind, hernach ihren Wunden erlegen, gibt 8170 Tote! – Machen wir die Rechnung anders: Wir haben auf dem ganzen Schlachtfelde 800 offiziell aufgenommene Kriegergrabstätten. Ganz selten liegt einer allein; in vielen Gräbern liegen 30, 40, 60, 80 und weit über 100 Mann. Nimmt man durchschnittlich zehn Mann, so kommt obige Zahl heraus; nimmt man, was nicht übertrieben ist, zwölf, so beziffert sich die Gesamtzahl der Gefallenen auf 9600 Mann. Sind's zuviel? Sind's zu wenig? Die Tränen Tausender von Familien rufen laut: Es sind genug, übergenug!


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