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Die Dragonerjagd

Es waren, wie gesagt, zwei Dragoner aus der Schirlenhofer Bataille entronnen und hatten, während ihre Kameraden in den Niederbronner Gefängnismauern stille Betrachtungen anstellen konnten, im Großenwald Obdach und Herberge gesucht und gefunden. Der eine war am Fuße verwundet, und es mag ihm der Rückzug auf Schuhmachers Rappen, durch Hecken und Dornen, kein besonderes Gaudium gewesen sein. Item, sie waren indirekt südlicher Richtung, nicht weit von Eberbach fortmarschiert, hatten auf dem Albrechtshof, vulgo Laushof, zwischen Morsbronn und Wörth um Zivilkleider und Erquickung gebeten und hofften von dort aus durch den nahen Hagenauer Forst, der bis zum Rhein hinabreicht, wieder in ihre Heimat zu gelangen. Sie sollten aber gar bald erfahren, was die Elsässer können, wenn es gilt, das Vaterland gegen die Barbaren zu retten. Es kam heraus, es seien noch etliche Preußen im Walde versteckt, und siehe, das Regiment in Niederbronn konnte darüber ruhig schlafen; aber in Sauerhofen konnte man nicht mehr ruhig schlafen. Ja, Sauerhofen ist kein gewöhnlicher Punkt auf der Landkarte! Wer's kennt, der weiß: da sind eminente Geister, Philosophen und Dichter (ist doch einer da, der ganz fest überzeugt ist, er reiche dem Schiller wenigstens bis an die Knöchel!). Da sind besonders unvergleichliche Patrioten. Hui! wenn die auf den Tisch schlagen und sich ins Zeug werfen, die Welt zu teilen! – So begreift sich's denn, daß man in Sauerhofen nicht mehr ruhig schlafen konnte, bis jene heillosen Kerle gefangen und von der Erde vertilgt wären. Es wurde zunächst unter den Patriziern zur Landesrettung konventioniert; die Unerhörtheit solch einer Invasion mit all ihren Gefahren und Greueln ins gehörige Licht gesetzt, die Volksentrüstung durch Frakturausdrücke auf den nötigen Wärmegrad getrieben und, daß ich's kurz sage, der mit allgemeinem Jubel begrüßte Entschluß gefaßt, einen Streifzug in den Wald zu machen, um die Banditen tot oder lebendig nach Sauerhofen zu bringen. Nun denke sich, wer kann, das Städtchen in solch einem großen Momente! Diese Begeisterung! Diese Wutausbrüche! Diese Todesverachtung und Siegesfreudigkeit! Schade, daß nur zwei und nicht Hunderte von Preußen im Walde liegen. Gestern haben sie nicht einen gefangen, heute würde jeder ein Dutzend niedermachen. – Wer wird aber die Expedition kommandieren? Was fragen? Seht dort auf dem weißen Schimmel den racheschnaubenden Feldherrn, wie er so elegant frisiert, so todesmutig unter den Fenstern der Honoratiorendamen auf und ab galoppiert, daß die Funken stieben! Ich gab mein Ehrenwort, daß er noch vor der ersten Schlacht Reißaus nimmt und über den Kniebis entläuft Ist auch in der Tat am 4. August schon durchgegangen.! Und dort der Hauptadjutant an der Spitze (der Name ist mir gerade ausgefallen, schadet aber nichts), er ist Soldat, sogar Unteroffizier gewesen – man erkennt ihn übrigens an der Stimme, und die Preußen sollen ihn erkennen an den Streichen – wie der, in jeder Faust eine Pistole, unter die tosende Menge brüllt: »Wo sind sie? Wo sind sie?« Allons enfants de la Patrie! und die Menge brüllt es nach … Seht, wie das begeisterte Bürgerheer mit Flinten, Messern, Sensen, Heugabeln, Pfählen und allen möglichen Mordinstrumenten, Tod und Vernichtung schwörend, durch die Straßen wogt, und fort geht's ohne Furcht und sonder Wanken hinaus, hinaus in die blutige Schlacht. Nur einer, der weise Äskulap, steht philosophisch lächelnd hinter dem Gartengitter und murmelt in den Bart: »O, wer einen Maulkorb wüßte, solche Exemplare zu bändigen!« – Nimmt aber doch Verbandzeug und sonstige Heilmittel, läßt anspannen und fährt still sinnend hinterdrein nach dem Schauplatz des Kampfes.

Was unterwegs sich zugetragen, welcherlei vive la France! und sonstige Kraftsprüche in die Waldesgründe schallten, weiß der Erzähler nicht. – Nur soviel weiß er: Als die Hauptmacht schlagfertig den Albrechtshof, vulgo Laushof umzingelt und der erste Sprecher das feindliche Heer zur Übergabe auf Gnade und Ungnade feierlich aufgefordert hatte, traten da heraus – zwei junge unbewaffnete Burschen und standen, wie weiland Vercingetorix vor Cäsar, stillschweigend vor ihren Siegern. »Da sind sie! da sind sie! wir haben sie! vengeance! à bas la Prusse!« erscholl's aus hundertfachen Kehlen – ohne was sonst noch jeder, der sich im Kampf besonders hervorgetan, an Flüchen, Drohungen und patriotischen Herzensergüssen herausbrüllen konnte.

Über den Großenwald spielte ein friedliches Abendrot, der Feldzug war über alles Erwarten gelungen, freudestrahlend rückten die Heerführer mit den Beifall heulenden Legionen und den gefesselten Barbaren in Sauerhofen ein; es klirrten die Tore des Carcere duro und drinnen lagen, die ganze Nacht mit Flüchen und Verwünschungen gepeinigt, zwei gefangene Dragoner! Den andern Morgen wurden sie, wie gewöhnliche Missetäter, in zerrissenen Kleidern, ohne Kopfbedeckung, von Gendarmen durch Fröschweiler nach Niederbronn geführt, und nie wird der Erzähler den Blick vergessen, den einer von ihnen einem ungewaschenen Maul auf den echt patriotischen Spruch: »Geköpft g'hören sie!« von der Straße hinauf ins Fenster warf. –

... Du schüttelst den Kopf, lieber Leser, und denkst: O Sauerhofen, wohin hat sich dein Patriotismus verstiegen! – Sei still und schelte mir nicht des elsässischen Volkes überschwengliche Tapferkeit! In Germersheim da drunten oder in Offenburg dort drüben wäre die Dragonerjagd auf zwei verwundete Franzosen aufs Haar dieselbe gewesen.


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