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Der Spion

Hat einer existiert? Was war's für ein Landsmann? Welche Dienste hat er geleistet, und wie ist's ihm ergangen? Antwort. Droben im Oberdorf, nahe beim Schollenbrunnen, wohnte seit einigen Jahren ein seltsamer Kauz, dessen Konterfei etwa folgende Züge bilden: mittlere Größe, untersetzter Körperbau, graue, katzenähnliche Augen, falber, ungewöhnlich langer Vollbart – flink wie ein Hase, verwegen wie ein Spitzbube – seines Zeichens ehemaliger Zuave, jetzt Haarschneider, Schröpfer, Zahnausreißer und – Wildschütz. Manchen Bauern hat er schon über den Löffel balbiert, daß ihm die Augen geblutet – und manchem Edelmann das Reh vor der Nase wegstibitzt, und halfen keine Donnerwetter und keine Reitpeitsche. Denn von Xaveri ist es buchstäblich wahr:

Kein Ort, der Schutz gewähren kann,
Wo seine Büchse zielt!
Und dennoch hat die harte Brust
Die Liebe auch gefühlt –

Notabene die Liebe zum bedrohten Vaterland, dem er, bei Gefahr seines Kopfes, redlich gedient hat. Doch laßt uns erzählen.

Eines Tages, es war am 26. Juli, ritt General Ducrot in Begleitung seines Leibadjutanten (der Name ist nicht nennenswert) auf der Heerstraße zwischen Reichshofen und Fröschweiler hin und her, sei's, daß er seine geographischen Kenntnisse erweitern oder auch sonstige Anstalten zur Verteidigung des Landes treffen wollte. Mitten im Großenwalde, gerade am Waldhüterhäuschen, begegnete ihnen Xaveri. Auf einen Wink des Leibadjutanten sprach der General zum Xaveri: »Seid Ihr ein Franzose?« Xaveri antwortete: »Ich meine es!« –»Ein rechter Franzose?« Der Gefragte, ohne den Seitenhieb zu merken, antwortete wieder: »Ich bin ein Franzose.« – »So kommt morgen früh hinab nach Reichshofen ins Schloß, Ihr seid mein Mann, und sollt es nicht bereuen.«

Den andern Morgen, Punkt fünf Uhr, trat Xaveri ins Schloß, und vor ihm standen der Marschall Mac Mahon und der General Ducrot und andere verhängnisvolle Persönlichkeiten, und der Marschall sprach zum Xaveri: »Da nehmt diesen Laufpaß und dieses 20-Franken-Stück und geht über Nähweiler, Steinbach an die bayerische Grenze, womöglich über die bayerische Grenze, spioniert alles aus und kommt, so schnell Euch die Beine tragen, wieder nach Reichshofen. Für jeden Gang kriegt Ihr 20 Franken, für jeden Bayern, den wir fangen, 25 Franken, und wenn's gelingt, eine Macht aufzuheben – 100 Franken.« Dem Xaveri läuft's siedig heiß über den Buckel … 20 Franken, 25 Franken – 100 Franken … Heiliger Sankt Joseph! da kann ich mir helfen … denkt's, hofft's und eilt ins Gebirge. – Bald ist er in Steinbach und schleicht von dort noch zwei Kilometer weiter bis hart an die bayerische Grenze. Da ist alles ganz ruhig. Xaveri lugt und horcht – alles ganz stille. Xaveri dreht sich, bückt sich, geht auf, geht ab, späht nach allen Winden, sieht nichts, hört nichts … Gut, er macht kehrt und will den Rückmarsch antreten … aber da wuselt's wieder in allen Gliedern: 20 Franken, 25 Franken, 100 Franken, und der Himmel hängt aufs neue voll Baßgeigen, und alle Sterne sind 20-Franken-Stücke … Was soll ich tun? – Wer nichts wagt, gewinnt nichts, und – Xaveri setzt über die Grenze. – Zuerst 50 Schritt – 100 Schritt – nichts da – noch 200 Schritt … da begegnet ihm der lange Kaspar aus Hirschthal. »Helf' Gott, Xaveri, wo kommst du her?« – »Dank dir Gott, Kaspar, auch hier?« – »Was gibt's Neues? was suchst du da?« – »Weiß nichts, wo gehst du herum?« – Und so stehen sie ein Weilchen beisammen, blinzeln einander in die Augen, und beiden juckt's hinter den Ohren (denn der Kaspar gehört auch zur Spionenzunft) … Da sagt der schlaue Xaveri zum langen Kaspar: »Komm' mit nach Fischbach, wir wollen ein Schöpplein trinken.« Der ist's zufrieden; sie gehen nach Fischbach in die Kneipe und schöppeln und schöppeln, bis dem langen Kaspar die Augen tränen und das Herz und das Maul aufgeht, und so erzählt er denn unter dem Siegel der Verschwiegenheit dem Xaveri alles, was er weiß, was er gesehen – wie nämlich auf 2-3 Stunden keine Soldaten in der Gegend wären als die bayerische Macht da in Fischbach und die habe ja nichts zu bedeuten usw. Und wie der Xaveri das alles weiß, läßt er noch ein Schöpplein kommen, bezahlt die ganze Zeche, reicht dem Kaspar die Hand zum Abschied und macht sich von dannen. – Mit Windesschnelle setzt er über die Grenze, mit nie geahnter Glückseligkeit saust er durchs Gebirge heimwärts – eine ganze Welt voll großer Gedanken durchrauscht seine Seele. – »Hurra, Xaveri! du armer Teufel, jetzt ist's auch einmal an dir, dein Schäflein zu scheren … Wartet nur, ihr flachshaarigen, dickstämmigen Bayern, Schwaben – verdammte Ketzer … wir wollen euch den guten Morgen schon wünschen … Was hat der Marschall gesagt? für jeden Gang 20 Franken! für jeden Bayern 25 Franken – für die ganze Macht 100 Franken! – und ist eine Macht ausgehoben, dann kommt eine andere, stärkere … allons, enfants de la Patrie …« – Lang vor Abend ist er in Reichshofen und berichtet ganz außer sich vor Freude, was er gesehen, gehört – und wie er dem langen Kaspar den Bären angebunden, und wie in Fischbach drüben eine bayerische Macht, 40-50 Mann stark, warm und flügge zum Ausheben sitze usw. usw. Da sagt der Marschall: »Brav, Kamerad, du bist ein Mordsfranzose – die wollen wir kapern, und du sollst das Trinkgeld haben. – Unterdessen gehst du morgen früh wieder nach Fischbach und schaust, ob keine Veränderung stattgefunden, keine Verstärkung eingetroffen – gehst Tag für Tag über die Grenze. – Ich halte Wort: 20 Franken, 25 Franken, 100 Franken und ist's ein Regiment« … Xaveri ist der glücklichste Mensch auf Erden, jeden Morgen läuft er nach Fischbach – den langen Kaspar sieht er nicht wieder –, aber ruhig und harmlos stationiert die bayerische Macht auf demselben Fleck. – Und alle Abend, wann er dem Marschall oder dem General Ducrot seine Kundschafterberichte erstattet, und der Marschall siegesgewiß die Macht allernächstens aufzuheben verspricht, wird's ihm siediger und wuseliger in allen Gebeinen … »Das kann nicht fehlen, ich krieg's, ich hab's, ich hab's ganz gewiß …« Ja, ja, Xaveri, du sollst's kriegen … sobald der Marschall es hat, sollst du's kriegen … nur noch eine kleine Geduld.


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