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Die Vorboten der Schlacht

Es waren schon ganz früh, zwischen 4 und 5 Uhr, einige Kanonenschüsse gefallen, ob von hier aus, wie etliche meinen, hinüber nach der Dieffenbacher Höhe, oder aus dem feindlichen Lager herüber gegen den Lerchenberg, läßt sich nicht mit Bestimmtheit nachweisen. Glaubwürdige Zeugen behaupten, eine Batterie der Division Raoult habe den ersten Donnergruß über das Sauertal geschleudert und die Deutschen haben denselben stante pede erwidert. Nach deutschen Berichten hat General von Walther das Vorpostentreffen eröffnet. Wir wollen darüber nicht rechten. Welchen Eindruck aber dieses erste Aufkrachen der Geschütze auf die ganze Bevölkerung machte! »Jetzt geht's an, jetzt schlägt die schwere Stunde, was wird's geben? Ist's denn möglich? Nein, das hätten wir nicht geglaubt, der Feind vor unsern Toren, so nah, so nah … Eine Schlacht also; eine Schlacht hier bei Fröschweiler – das kann nicht fehlen; wir sind gefangen … Großer Gott, erbarm' dich, jetzt geht alles zugrunde!« So heult's von einem Ende des Dorfes zum andern. – »Sie kommen, sie kommen, Herr Jesus! wo sollen wir hin? was fangen wir an?« so stöhnt's in allen Höfen und Gassen. – Auch im eigenen Hause gerät alles in Bestürzung und Schrecken. »Wo fliehen wir hin? was machen wir mit den Kindern? mit all unsern Sachen?« Ich wende mich an Doktor Sarrasin: »Sagen Sie mir aufrichtig, sind das alles Vorboten einer wirklichen Schlacht?« – »Ja, es gibt heute einen schweren Tag.« – Nun ist kein Zweifel mehr; die Gewitterwolken reißen; Gottes Hand ist ausgestreckt, drohend furchtbar über unsere Heimat, über unser Vaterland. Ach, wie klopft das Herz so bang, so bang! Wo wollen wir hin? Wir haben ja noch gar nichts versteckt! Da ist das Geld zum Nähweiler Kirchenbau … da ist auch noch unser Haushaltungsgeld … droben sind alle meine Sachen in der Studierstube … – Und wo hast du denn die Kleider, das Tuch, das Silbergeschirr, Konfekt … hast denn noch nichts weggeschafft? Wollen wir's in den Keller tragen, oder in den Holzschuppen, oder in die Küche? Geh, trag's doch fort, versteck's, vergrab's … Hörst denn nicht?« – »Versteck du's! … ich weiß nicht … ich trau nicht! … 's nützt doch nichts!« … – Wart, ich weiß einen Platz, da suchen sie gewiß nicht. Komm schnell, nimm den Plunder … – da … schau da … im Dunghaufen … tummele dich … ein Loch gemacht! so … hinein damit … da liegt's gut … Aber der nasse Haufen da … kann man nichts merken? – Hat uns niemand zugeschaut? – Sieh dort drüben stehen alle Fenster offen …, die können's gesehen haben … Wir dürfen's nicht da lassen … 's wird verraten … gestohlen … Mach den Dung wieder weg … hol's heraus … lauf fort mit … hinein in die Stube … Überall wimmelt's von Menschen. – Lieber Heiland! Da stehen wir noch alle beieinander, ganz verstört, wie gebannt, wie verrückt und jammern und stöhnen und wollen alles verstecken – und kommt doch keins von der Stelle und bleibt alles stehen und liegen, und die Preußen sind schon da unten im Tal und … horch! es schießt schon wieder … Doktor Sarrasin wird bleicher und bleicher … »Herr Doktor, wo wollen Sie hin?« – »Seien Sie nur ruhig, ich komme wieder … Ja ruhig!« – »Sie gehen fort?«

Wahrhaftig! Der schnallt den Degen an die Seite, steckt den Revolver in den Gürtel, reicht mir die Hand zum Abschied … adieu! … Kann man sich etwas Entsetzlicheres denken? Da stehen wir noch immer und draußen wogt und läuft alles durcheinander, und wir wissen nicht, wo ein, wo aus. Was wollen wir denn ums Himmels willen machen? Wollen wir in den Keller gehen? oder in den Stall? oder auf den Speicher? 's wird einem ganz schwarz vor den Augen … Mußt jetzt nicht heulen um deine Sachen, 's ist zu spät, laß in Gottes Namen alles liegen … oder flüchten nach Nähweiler, Jägerthal – so weit uns die Beine tragen? – »Ja, wenn aber unterwegs ein Unglück geschieht …, die armen Kinder können nicht laufen … Wir kommen auch nicht mehr durch.« – In der Stube können wir unmöglich bleiben … Weißt was? Du nimmst die Kinder und gehst ins Schloß zur Frau Gräfin – die wird dir sagen, was du tun sollst … Geh, … mach, daß du fortkommst … Ich bleibe da im Hause, in Gottes Namen, so lang es möglich ist, und komme dann auch hinüber. – Es ist 7 Uhr vorbei. Doktor Sarrasin kommt wieder. »Was gibt's?« – »Es gibt einen blutigen Tag.« – Er wendet sich gegen die jungen Stabsärzte: » Allons, venez, mes enfants, et faites comme s'il ny' avait pas de boulets!« (»Auf, Kinder, kommet und haltet euch, als fielen keine Granaten!«) Und dann zu mir: »Herr Pfarrer, wir müssen die Kirche haben – schnell alle Bänke aus der Kirche … und Stroh in Menge, soviel die Leute zusammentragen können.« Ich gehe mit ihm; die Kirchenbänke werden eiligst herausgeschafft, das Schiff und der Speicher der Kirche werden reichlich mit Stroh versehen, und gleich darauf geschieht dasselbe im Schulhaus. Alles ist außer Rand und Band. Die Soldaten ziehen kreuz und quer durch die Gassen; die Turkos sammeln sich, erheben ihr greuliches Kriegsgeschrei und stürmen hinaus in den Kampf. Ich gehe wieder heim; die Falle am Hoftor klappt unglücklicherweise fest hinter mir zu. Es fällt wieder ein Kanonenschuß. Plötzlich rasselt's, donnert's, flucht's am Hoftor: François, François, mon Solférino! mon Solférino! l'ennemi est là!(Franz, Franz, meinen Solferino, meinen Solferino, der Feind ist da!) Zum Donnerwetter, warum ist das Hoftor zu? Was hat das zu bedeuten? – Ich entschuldige mich aufs beste; der François eilt in den Stall, führt das Schlachtroß Solferino heraus, übergibt's dem ungeduldigen Adjutanten, der sprengt von dannen. – Ich gehe auch wieder heraus auf die Straße. Da ist der Marschall und der ganze Generalstab; alle zu Pferde, in prächtiger Rüstung, so ernst, so feierlich, so totenbleich … Herr Gott, welch großer, unvergeßlicher Augenblick! – Sie sprechen zusammen, unruhig, bedeutungsvoll, – sie erteilen Befehle, sausen im Galopp die Schindergasse hinauf, kommen wieder – gegen Wörth hinab – gegen Elsaßhausen hinüber … Jetzt ist auch der Marschall verschwunden. Fahre wohl, o Held von Magenta, du trägst auf der Degenspitze das Schicksal deines Kaisers … General Ducrot aber und seine Stabsoffiziere sind noch dageblieben. Er fragt kurz und trotzig, ob ihn jemand auf den Kirchturm begleiten wolle. Wir steigen hinauf; wir schauen in die Ferne; überblicken den ganzen Horizont von Mattstall, am Liebfrauenberg vorüber, die ganze Dieffenbacher Höhe bis zum Hagenauer Forst hinab; die Herzen schlagen bange – dort drüben, auf dem Scheitel jener Hügel, stehen die dunkeln Massen. Ja siehe, siehe! sie bewegen sich wie Meereswellen, langsam vorwärts, abwärts … es kracht schon wieder … Es wird einem schwindlig auf dieser hohen Warte. Wir steigen gesenkten Hauptes hinab. Niemand spricht ein Wort. General Ducrot trägt auf dem Angesicht eine Welt voll Sorgen und Erbitterung, schwingt sich auf sein Pferd und fliegt zu seinen Regimentern. Es ist halb 8 Uhr. Die Schlacht hat begonnen.


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