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Wer die Schrecken und Greuel des Krieges nur vom Hörensagen kennt und nicht aus Erfahrung weiß, welche Untiefen menschlichen Elendes auf einem Schlachtfelde sich auftun, dem wollen wir als Augenzeuge den Rat erteilen: »Nimm alles zusammen, was wir bis jetzt aus unsern Erlebnissen über Fröschweiler und seiner Einwohner Schicksal berichtet haben und wende es auf deine Heimat, auf dich selbst und deine Brüder an und dann komm mit uns, wir wollen dich auf die Walstatt begleiten, damit du lernest, wessen der Mensch fähig ist und wie erschrecklich Gott in seinen Gerichten predigt.«
Wie es in deinem Hause aussieht, weißt du schon; 's ist alles noch im gestrigen Zustand, was die Plünderung nicht fortgerissen, liegt zerstreut, zertreten am Boden. Du tappest da herum und hast selbst nicht den Mut, etwas aufzuheben und zu sichern. Das Haus ist auch nicht mehr dein, überall liegen die Verwundeten und schreien nach Rettung. Aber komm jetzt mit hinaus auf die Straße und schau das Dörflein an in seiner kläglichen Zerrüttung: Kennst du's noch? Siehst du die vielen Löcher in den Dächern? Das haben die Kugeln und Granaten getan … 's ist nur ein Wunder, daß ein Stein auf dem andern geblieben, doch Gott sei Dank! auch die deutschen Geschosse sind bei weitem nicht alle zerplatzt und haben nicht überall gezündet! Siehst du, wie die Fenster, die Läden, die Hoftore, die Kellertüren zerschossen sind, zerschlagen da herumliegen? Das hat der letzte Sturm, der Straßenkampf, die Wut der Soldaten angerichtet. – Du mußt achtgeben … sie reiten dich nieder oder stampfen dich zu Boden … du hörst ja, wie sie johlen: »All Deutschland nach Frankreich hinein.« – Oder du stolperst über Leichname, Waffentrümmer, tote Pferde … Es wird dir bange? Du mußt nicht weinen; komm mit ins Oberdorf … Schau, wie's allenthalben noch raucht und flackert … Da haben die Bayern gehaust … Eins, zwei, drei Wohnhäuser, … fünf Scheunen liegen in Schutt und Asche. Und wo sind die Heimatlosen? Da stehen sie vor den Ruinen ihrer Habe und heulen, daß sich die Steine darob erbarmen möchten: »Ach Gott! wohin? wo aus? wo ein?« Nicht wahr, das ist herzzerreißend?
Aber laß uns eilen. 's ist Sonntag heute. Da stehen die ausgebrannten Kirchenmauern; schau hinein in die glühende Feuermasse … sprich ein »Kyrie Eleison« und komm mit ins Unterdorf. Da ist die Verheerung noch viel größer. Kein ganzes Fenster, fast keine Ziegeln mehr auf den Dächern, das Schulhaus in Bresche geschossen, die Schilder aus den Scheunen und Gehöftemauern gebrochen, zwei Wohnhäuser vollständig niedergebrannt, eine ganze Reihe von Scheunen ein Raub der Flammen, die untersten Häuser jämmerlich durchlöchert, das Vieh in den Stallungen getötet, die Friedhofmauer, die Grabsteine in Trümmern … 's ist eine staunenswerte Gottesgnade, daß nicht alles in Grund und Boden versunken. Und Elsaßhausen dort drüben! Du siehst die rauchenden Schutthaufen. Was meinst, daß noch von dem anmutigen Dörflein steht?
Es wird dir weh ums Herz … Sei ruhig und laß deine Seele nicht in Jammer zerfließen, du mußt mit uns kommen. Schau, das war vorgestern dein Garten; da standen deine Blumen, die du mit Liebe gepflegt, dein Gemüse und deine Pflanzen, deren du in Hoffnung dich freutest. Nun ist alles dahin: zerrissen, zertreten, vernichtet! Da hinter der Gartenmauer hatten sich noch auf dem Rückzug die Turkos verschanzt – du hast sie ja gegen 5 Uhr noch brüllen hören wie wilde Tiere in der Wüste. Gib acht! da liegt einer, das Hirn aus dem Kopfe geschossen, – nach Jahren siehst du noch die dunkeln Blutspuren an der Wand –; dort unter dem Apfelbaum liegt noch einer, das Angesicht schrecklich verzerrt, den Mund voll Erde, die Hand krampfhaft auf die Brust gedrückt, wo die tödliche Kugel ihn getroffen! Du bebst zurück? Da komm herüber und sieh, wie das Gartenhäuschen zugerichtet ist … da muß furchtbar gestürmt und gerungen worden sein … eine, zwei, drei, vier, fünf Leichen, lauter Afrikaner, eine große Hekatombe von Opfern … Nicht wahr, das ist grauenhaft? Du kannst den Anblick solchen Würgens nicht ertragen? Komm, wir gehen hinaus ins Weite. Du mußt das Schlachtfeld sehen, den eigentlichen Schauplatz des Völkerkampfes; denn es liegt eine mächtige Bußpredigt in diesem greulichen Schauspiel … Siehst du, wie da unten im Tal und bis zu unsern Hügeln herauf ein finsterer Nebelschleier über den Gefilden lagert? Ist's nicht wie ein großes Leichentuch, welches die seufzende Natur über diese Schädelstätte gebreitet? Und fühlst du's auch, wie die Luft von Rauch und Pulverdampf und Blutgeruch erfüllt, so schwül, so drückend ist, so unerträglich den Atem hemmt? Das ist etwas von dem Fluch, den der Mensch durch die Sünde in die ganze Schöpfung getragen hat. Sieh, das waren unsere Felder, unsere Kartoffeläcker, Weinberge, Wiesen … Da war's vorgestern noch so schön, so lieblich, und jetzt? welche Verheerung, welche zerstampfte, rotgebrannte Wüste? Ist's nicht, wie wenn ein sengendes Feuer drüber hingefahren wäre und hätte alle deine Hoffnungen bis auf die Wurzel zerstört? Das hat die Kriegsfackel getan! Und wo sind die lieben kleinen Sänger, die Vögelein, die sonst so zahlreich, so lustig und fröhlich in Feld und Wald, ihr Morgen- und Abendlied ertönen ließen? Gelt, du hast's gemerkt? Sie sind alle verstummt, verschwunden! Die hat der Kanonendonner verscheucht. – Aber mache dich los von dem Bilde deiner zerstörten irdischen Habe; schau um dich her und sieh allenthalben die Schreckensspuren des gestrigen Tages. Da liegen bunt durcheinander zerbrochene Wagen, Gewehre, Bajonette, Säbel, zerrissene blutige Kleider, Zelte, Tschakos, Tornister, Gebetbücher, Photographien, tote, halb aufgezehrte Schlachttiere, Geflügel, verschüttete Speisen, Kochgeschirre, Fässer, Säcke, kurz alles, was ein Heer haben und verlieren kann. Da liegen einzeln und haufenweise die toten, bereits hochaufgeschwollenen Pferde jener unglücklichen Kürassiere, die bei Elsaßhausen und Morsbronn so vergeblich geopfert wurden. Da liegen die Söhne beider Nationen scharenweise an manchen Stellen, an der Wörther Hohl, beim Turkohäuschen, bei Elsaßhausen – zu Hunderten, Mann an Mann, auch Hand in Hand, mit geschlossenen oder starr offenen Augen, mit gebrochenem Herzen – dahingemäht in der Kraft und Blüte des Lebens, dahingefahren – (wer weiß? wie mancher) ohne Gebet, ohne Vergebung der Sünden, ohne Auferstehungshoffnung zum ewigen Leben? Nicht wahr, es wird dir schaurig auf diesem Totengefilde? Komm nur, du hast das gräßlichste noch nicht gesehen; laß uns wandeln durch die Leichenreihen, damit deine Seele erschüttert werde zu gründlichem Selbstgericht und heilsamer Todesbereitschaft auf dein Leben lang und du deinen Kindern und Kindeskindern Zeugnis geben könnest von den Schrecknissen dieser Tage. Da siehe diese verstümmelten Leiber … Dem einen ist ein Arm oder Bein abgeschlagen, dem andern der ganze Kopf vom Rumpfe geschossen; einem dritten die Hirnschale in Stücke zerschmettert; einem vierten der Leib aufgerissen, daß die Eingeweide verschüttet liegen … Ja wahrlich:
»Der Schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn!«
Wenn sie nur alle da wären, jene fluchwürdigen Missetäter, welche dieses Blutbad heraufbeschworen haben! und hineinschauen müßten in die bleichen Angesichter all dieser Erschlagenen! O sie würden mit Kainsangst von dannen fliehen und unter dem Bann ihrer Verworfenheit in den tiefsten Abgrund versinken!
Und wenn sie nur auch da wären, alle die kriegslustigen Revanchepropheten, diese heillosen Träumer, und miterleben müßten, nur einmal! die Schrecken und Greuel solchen Blutvergießens … sie würden mit Scham und Entsetzen an ihre Brust schlagen und das Würgen satt bekommen in Ewigkeit!