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Ben Salah und die Schwester Klementine

An die Pflege der Verwundeten in Wörth knüpft sich eine Begebenheit, die hier wohl ein kleines Plätzchen einnehmen darf. Die Geschichte ist interessant, aber sie nimmt ein tragisches Ende. Doch zur Sache. Ein Turko, der jüngste unter sechs Brüdern, die im 1. Regiment auf dem linken Flügel gegen die anstürmenden Preußen und Bayern gefochten haben, ein achtzehnjähriger, schwächlicher Knabe, ist der Held unserer Historia. Der stürzt mitten im Schlachtgetümmel (das 46. deutsche Regiment hatte bereits fast alle seine Offiziere verloren) den Rebhügel herab und entreißt dem sinkenden Fahnenträger die Standarte! Die Deutschen sehen den verwegenen Schwarzen und acht Schüsse schmettern denselben zu Boden. Ben Salah ist aber nicht tot; plötzlich erhebt er sich wieder; wie eine angeschossene Hyäne blitzt er dem Feind entgegen und erobert zum zweitenmal die deutsche Fahne; sechs Schüsse sind die Antwort auf die verzweifelte Heldentat. Ben Salah liegt mit vierzehn Wunden, an allen Gliedern jämmerlich zerschossen, in seinem Blute. Er scheint tot. Die deutschen Kolonnen marschieren vorwärts – ein Turkoleichnam mehr oder weniger – sie stürmen vorüber. – Ben Salah ist aber nicht tot – er atmet noch und wird mit einer Masse anderer Verwundeter nach Wörth hinabgetragen. Kein Mensch gibt einen Pfennig für das Leben des ausgebluteten Jünglings; doch soll er seine Seele in Freundes Hand unter schirmendem Obdach aushauchen. Das Schicksal will, daß er ins Lazarett der Mädchenschulen aufgenommen wird. Dort wirkt in heiligem Liebeseifer und nie ermattender Barmherzigkeit die Schwester Klementine, eine bejahrte, ehrwürdige Frau, welcher jedermann das Zeugnis gibt, sie arbeite so recht in gottesfürchtiger Einfalt, wie an den Kindern, so auch an den kranken Soldaten. Ben Salah ist also in Pflege bei der Schwester Klementine. Er hat, wie gesagt, vierzehn Wunden: ein kläglich zugerichtetes Gemächte! … Schwester Klementine wäscht, verbindet, hebt, trägt, behütet Tag und Nacht diesen Allerelendesten mit besonderer Sorglichkeit, mit wahrhaft mütterlicher Treue. 's ist aber auch rührend, mit welcher Ehrfurcht und Zärtlichkeit der Mohammedaner an seiner christlichen Wohltäterin hängt. Er ist mitten in seinen Schmerzen der glücklichste Mensch, den man sich denken mag. Nur kann er es nicht ertragen, wenn die Sora weint, daß so viele Verwundete sterben; »Sora, wenn du weinst, kann ich nicht gesund werden!« – Er spricht wenig französisch; aber, was er kann, das gilt dem Gouvernement und der Sora! Die Sora ist sein Trost, seine Liebe, sein Engel! – Ben Salah stirbt nicht. Warum sollte er auch sterben? Er lebt so gerne und wie stolz und gnädig schaut er zum Bett heraus, wenn von allen Seiten die Neugierigen kommen und das große Mirakulum, den vierzehn Wunden reichen Helden, bewundern! Ja, die Sora selbst ist ganz selig vergnügt, daß der liebe Bon Dieu diesen pauvre innocent (daß der liebe Gott diesen armen Unschuldigen) ihren Händen anvertraut hat; männiglich darf ihn sehen, das ist allemal eine herzliche Freude!

So klopft denn auch eines Tages der Erzähler auf seinem Lazarettgang an die Tür der Schwester Klementine. »Ach! nicht wahr, Sie wollen meinen kleinen Turko sehen? Das arme Kind! Kommen Sie doch herein. Da liegt er … so brav, so geduldig!« … »Ben Salah, schau', der Herr will dich besuchen … gelt, du willst recht lieb und folgsam sein?« Ben Salah nickt bejahend mit seinem vernähten Gesicht unter seinen Kissen hervor. – »Hast die Flasche Wein auf dem Nachttischchen ganz ausgetrunken?« – »Ja, Sora.« – »Das ist zu viel, zu viel, warum hast du denn das getan?« – »Warum hast du ihn hingestellt?« – »O Ben Salah, du machst mir Kummer, wenn du nicht besser folgst, wirst du nicht mehr gesund werden!« – Ben Salah lächelt und verspricht zu parieren. In der Tat, ein charmantes, braunes Gesichtchen! – Ich reich' ihm die Hand und will weiter … »Sag' schön adieu und bedank' dich!« – Ben Salah streckt mir ein kleines Beutelein entgegen: Gouvernement, verloren … für Schuhe … Der kleine Schelm! so kriegt er tagtäglich sein Almosen und die gute Sora läßt ihn gewähren: » Le pauvre petit – hat gar nichts und wer ihm gibt, verdient einen Gotteslohn!«

So liegt er da wochenlang. Der zusammengeflickte Krüppel fängt aber an, sich wieder zu regen, zu bewegen, zuerst im Zimmer, dann im Hausgang, dann im Hofe. – Von der Sora aber kann er sich nicht trennen. Wo die Sora hingeht, da krabbelt Ben Salah hintennach; ein eigentümliches Schauspiel … die reinste mütterliche und kindliche Liebe. Es kommt aber die Zeit, wo die Sora wieder in die Schule muß. Was jetzt? Wo soll der genesende Pflegling während der Schule bleiben? Was kann's aber auch schaden, wenn der arme Heide sich in der Schule aufhält? Ben Salah geht mit in die Schule und sitzt in der Ecke, während die Mädchen Unterricht erhalten, mit übereinandergeschlagenen Beinen, zusammengekauert am Boden. O heilige Einfalt! o schweres Verhängnis! Kommt eines Tages unerwartet der Herr von Sturmeck, ein gestrenger Herr, und gewahrt den unglückseligen Jungen: »Schwester! Schwester! um Gottes willen, was haben Sie denn da für ein Ungeheuer in der Schule? einen Soldaten, einen Turko!! hinaus, hinaus! das ist ja eine Schmach, ein Greuel!« … Schwester Klementine ist wie vom Blitz getroffen … sie will alles erklären, sich entschuldigen … Der Herr Kommissär aber rennt im tiefsten Ingrimm von dannen … Zwei Tage darauf erhält die edle, allgemein verehrte Lehrerin den Befehl, Wörth augenblicklich zu verlassen. – Sie gehorcht und geht – ohne von den Familien oder von den Kindern Abschied nehmen zu dürfen –, sie geht gebrochenen Herzens und acht Tage später, im Kloster St. Johann in Basel, gibt sie unter furchtbaren Schmerzen ihren Geist auf. Ben Salah aber wird sofort aufgegriffen und nach Hagenau transportiert. Was später aus ihm geworden ist, hat hierzulande niemand erfahren.


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