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Am Nachmittag desselben Tages reiste der Erzähler mit einigen Verwandten und Freunden nach Niederbronn, um sich die Dinge in der dortigen Gegend, namentlich das Lager, worin das Jägerregiment kantoniert war, näher anzusehen. Der Krieg erweckt ja unter vielen anderen gefährlichen Leidenschaften auch ganz besonders die Neugier und den Vorwitz, daß man gerne Augen und Ohren überall hinträgt, wo man eigentlich nichts zu tun hat und wo einem das Lauschen zuweilen übel eingebrockt werden kann, wie dem seither verstorbenen Dornenmeyer (Gott hab ihn selig), der während der Schlacht unter einem gehobenen Ziegel zu Schmiedjakobs Scheune hinauslugte, bis eine Granate herangepfiffen kam und just über seinem Schädel einschlug, daß ihm Hören und Sehen verging und er besinnungslos auf den Heuboden stürzte.
Wir machten uns also auf den Weg, und als wir den Großenwald passiert hatten, sahen wir schon aus der Ferne die Eisenbahnwagen, welche unaufhörlich hin und her brausten; trafen auch gleich in Reichshofen einiges Fußvolk und Artillerie, welche dort kampierten, und kamen endlich nach allerhand Strapazen und Hindernissen nach Niederbronn. Da war ein Leben, ein Getöse, ein Durcheinander, ein Hinundherwogen von neugierigen Philistern, Herren und Bauern, Soldaten, Weibern und Kindern! Und auf allen Angesichtern nur eine Frage: »Wie wird es gehen?« und in den wenigsten Herzen ein: »B'hüt uns, lieber Herr Gott!«
Wir gelangten ins Lager. Auf dem schattigen Badeplatz, wo sonst von Römerszeiten her die fröhliche Lebewelt ihre Rheumatismen wegverdaut – standen jetzt, reihenweise an kurzen Pfählen angebunden, Hunderte von mutigen Streitrossen, die bald liebkosend die Köpfe zusammenstreckten, bald wütend aufeinander losschlugen, bald ungeduldig den Boden zerstampften. Und neben ihnen standen oder lagen bald einzeln, bald gruppenweise die Mannschaften. Der eine putzte am Geschirr, der andere stopfte sein Pfeifchen, andere spielten Karten, wieder andere tranken Bier und sangen ein Liedlein aus der Heimat; alle so vergnügt, so sorgenlos, als stünde kein Wölkchen am Himmel und kein deutscher Soldat in Waffen. Mitunter spazierten einige Offiziere vornehm durch die Reihen – schöne, interessante Leute –, die schauten so hell, so zuversichtlich in das bunte, fröhliche Treiben, erteilten Befehle, streichelten ihre Pferde, schalten den oder jenen Delinquenten … Wir kamen und gingen und standen und gafften – das alles war ja so neu, so sehenswert – und doch auch so ernst und bedenklich.
Da drängte sich plötzlich eine zahlreiche Versammlung in die Kurhalle. Was gibt's? – Leutnant Winsloë war seinen Wunden erlegen und sollte zur Ruhe bestattet werden.
Wir arbeiteten uns durchs Gedränge. Da stand mitten im Kreise der Sarg, worin der Gefallene gebettet war, und auf dem Sarge lag das blutige Offiziersröckchen und das Dragonerkäpplein und die silbern gewirkte Schärpe. Und um den Sarg herum standen die französischen Offiziere, so ernst und würdevoll, teilnehmend und mitleidig, daß unsereinem ganz seltsam zumute wurde und die Tränen in die Augen stiegen und der Seufzer im Herzen sich erhob: Ach, daß doch Eintracht wäre auf Erden, und Gerechtigkeit und Frieden sich küßten unter den Völkern! Pfarrer Simon stand oben am Sarge, las mit bewegter Stimme den 90. Psalm; sprach auch ein kräftig Bußgebet über die Versammlung. Da hat doch mancher vielleicht rückwärts gedacht an die Kindergebetlein auf der Mutter Schoß und aufwärts geschaut zum Lenker der Schlachten. Von einem wenigstens hat der Erzähler diesen Eindruck mit heim genommen. Es war ein junger, bildschöner Artillerieoffizier. Der stand da am Sarge des gefallenen Feindes mit gefalteten Händen, und man sah's ihm an: der betet mit und ist kein Wallensteiner und auch kein Mucker, sondern ein gläubiger Christ und ein tapferer Soldat.
Der Totenbaum wurde gehoben, von französischen Jägern getragen; die Offiziere gaben das Geleit und feuerten die üblichen Salutschüsse dem fremden Waffenbruder nach ins Grab. – Wir gingen wieder nach Hause; auf dem Rückweg wurde aber wenig gesprochen; das erste vergossene Blut wollte uns nicht aus dem Sinn. Es waren die ersten großen Tropfen, die dem Landmann warnend bedeuten, daß das Gewitter am Horizonte steigt und Sturm und Verheerung seinen Fluren und seiner Hütte drohen.