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Es ist nachgehends behauptet worden, der Marschall Mac Mahon habe durchaus nicht die Absicht gehabt, hier in Fröschweiler eine Schlacht zu liefern, sei aber durch einen bestimmten Befehl des Kaisers Napoleon dazu gezwungen worden. Wir können das nicht näher untersuchen. Jedenfalls war an die Offensive nicht mehr ernstlich zu denken; zurückweichen aber, und Straßburg und die Eisenbahn von Hagenau nach Saargemünd preisgeben, wollte man auch nicht und so war denn der Befehlshaber moralisch und strategisch genötigt, den Verteidigungskampf in dieser übrigens so außerordentlich günstigen Position aufzunehmen. Das stand vielleicht schon vor der Niederlage bei Weißenburg, jedenfalls nach derselben, unwiderruflich im Kriegsrate fest, und wenn wir naive Bauern es nicht auch gewußt haben, so sollten doch unsere Ahnungen und Befürchtungen nur zu bald in Erfüllung gehen. Schon im Laufe des 4. August kamen die Truppen massenhaft von Reichshofen herüber: Artillerie, Fußvolk, Zuaven usw. usw., wir können sie nicht mehr alle besonders namhaft machen, die Menge war zu groß; das Getümmel zu verworren. Auch wurden sie je nach ihren Divisionen, Brigaden – rechts ab gegen Elsaßhausen, Mörsbronn – vorwärts gegen Wörth – links gegen Langensulzbach, Nähweiler detachiert und in Schlachtordnung aufgestellt. Die Generale: Ducrot, Raoult, Maire, D'hérillier, Colson usw. usw., letzterer Chef des Generalstabs, waren alle hier; kamen und gingen, ordneten, kommandierten, planten, so gut es gehen mochte. Ihre größte Verlegenheit und Besorgnis waren die Karten; sie kannten, weiß Gott, das Elsaß nicht und hatten eben keine Karten. Und so wurden denn in aller Eile die Schulkarten, die Katasterkarten, die Dorf- und Feldpläne der Gemeinde requiriert und geographischen Messungen und Berechnungen unterworfen. Ist's eine Vermessenheit, wenn der Erzähler hier seines Herzens aufrichtige Meinung ausspricht? Wenn nur diese hohen, unfehlbaren Herren hierzulande ein ordentliches Menschenkind um Rat gefragt hätten! Wir hätten ihnen gesagt, wo die Pfalz liegt, wo der Rhein seine Wogen treibt, wo die Berge und Bäche und Straßen und Pfade hinausgehen. Aber sie waren alle viel zu hochmütig und elsaßfeindlich, – und wir waren von vornherein (dafür hatte man schon Anno 1866 gesorgt) eine nichtswürdige Bevölkerung, für welche ein Sieg keine Freude, eine Niederlage kein Unglück sein sollte. Warum wohl? Darüber müßte man den Leibadjutanten des Generals Ducrot fragen; an dem aber ist das Wort in Erfüllung gegangen: »Und er verstummte.«
Auch der Marschall war am Donnerstagabend in Fröschweiler, erschien einen Augenblick im Schloß und wechselte einige Worte mit dem General D'hérillier, zog sich aber bald wieder zurück; wo er die Nacht zugebracht, wissen wir nicht; wahrscheinlich in Straßburg, noch wahrscheinlicher in Reichshofen. Dort bekam er die besten Lektionen. – Es war, wie schon angedeutet, eine große, unheimliche Bewegung. Unser armes Dörflein war zu einem tosenden Heerlager geworden. Wir konnten nichts mehr tun als zusehen, abwarten, Hab und Gut, Leib und Seele dem allmächtigen Gott befehlen, stille sein und uns in unser trauriges Schicksal ergeben. Und dennoch! wie drohend und dunkel auch die Gewitterwolken über unsern Häuptern hingen: viele, ja die meisten hatten noch Hoffnung, denn die Vaterlandsliebe klammert sich immer wieder mit unzerreißbarer Zähigkeit an die Möglichkeit eines Sieges. Das liegt ebenso im Charakter des Volkes, auch eines vor 200 Jahren erst eroberten Volkes. Und als die vielen Truppen kamen, ein Regiment nach dem andern, und die vielen Kanonen und Mitrailleusen allzumal, da loderten noch einmal die Flammen der Begeisterung auf, und man vergaß Weißenburg in der beruhigenden Zuversicht: sie können doch noch hinausgeschlagen werden. Besonders aufgemuntert wurden unsere Leute gegen Abend, als es hieß: »die Turkos kommen«. – Sonderbar mit diesen Turkos: Ist's, weil sie Araber sind, aus Afrika kommen, braune und schwarze Gesichter und ein wildes, kriegerisches Aussehen haben? Was es nun sei – in der Phantasie unsers Volkes, und wohl auch ein bißchen in der unserer Nachbarn überm Rhein, waren die Turkos von jeher eine Art sagenhafter Ungeheuer, die alles vor sich niederwerfen und sengen und brennen und morden und schänden ohne Pardon, ohne Erbarmen. Und so strömte denn die ganze Bevölkerung hinauf ins Oberdorf, um diese Heldenscharen zu bewundern. Natürlich war auch diesmal wieder das leidige Weibervolk vorne dran mit der Nase und gaffte und schnatterte: »Siehst, Bärbel, das sind jetzt Turkos, das sind Wilde! Große Zeit … sind aber doch schöne Leute, … es schauert einen wahrhaftig, wenn man sie anlugt. – Schau, Gretel, dort ist ein kohlschwarzer … ha! ha! ha! dort ist noch einer … Meinst, Heinerle, wollen wir so einen mit heimnehmen?« – Man möchte mit Fäusten dreinschlagen. Später freilich soll in Deutschland eine ähnliche Turkos-Affenliebe ausgebrochen sein. Das läßt sich eben bei diesem Geschlecht nicht ändern.
Und die Turkos marschierten vorüber, frisch und wohlgemut, und streckten die Hälse hinaus und sperrten die Mäuler auf und krächzten und brüllten ihr eigenes Feldgeschrei – und durch ihre Beine liefen Hunde und auf ihren Schultern tanzten Katzen und Vögel, Affen und weiße Ratten, eine Menagerie sondergleichen. So zog der ganze Troß die Schindergasse hinunter und kampierte dicht am Waldessaum auf den jähen Hügeln, Görsdorf gegenüber wo jetzt noch das berühmte zerschossene Turkohäuschen steht und Zeugnis gibt von dem mörderischen Kampfe, welchen diese Wüstensohne dort mit Preußen und Bayern gefochten haben. Unser Volk aber hatte wieder einen lichten, vergnügten Augenblick gehabt; doch dauerte es nicht lange, so waren auch im Oberdorf die Scharen der Neugierigen wieder verlaufen.
Die Sonne war untergegangen, Unheil brütend flimmerten die letzten Lichtstreifen am westlichen Horizonte; ein dumpfes Getöse wogte durch die Straßen, Gärten und Felder; eine furchtbare Unruhe durchängstete alle Herzen. Plötzlich stiegen am Eingang des Liebfrauentals die Feuersäulen lichterloh gen Himmel und warfen ihre düstern roten Strahlen das Sauertal hinunter. Es war die Altmühle, die in Flammen aufgegangen war, und die wie ein feindlicher Vorposten ein feuriges Fragezeichen zu uns herübersandte. Auch muß der Chronikschreiber noch berichten, daß in seinem Hause bereits Anstalten zur Verpflegung der Verwundeten getroffen wurden. Der Oberstabsarzt des I. Korps der Rheinarmee war mit einer ganzen Schar junger Doktoren im Pfarrhause einquartiert; ein edler, heldenmütiger Charakter, der viel Unheil verhütet hat, und der auch sein Leben nicht lieb hatte, bis in den Tod.