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Die verlorene und wiedergefundene Kuh

So war denn der Keller rein ausgeplündert. Noch mehr als zehnmal wurden alle Fässer immer wieder durcheinandergeworfen. Es war nichts mehr vorhanden. – Und wie im Keller, so ging's im ganzen Hause. Es war nicht möglich, der losgelassenen Kampfeswut, dem Hunger und Durst der Soldaten zu widerstehen. In der Küche wurden alle Gefäße, Häfen, Kübel hervorgeholt, ausgeleert (einer hat sogar Petroleum getrunken!), zerschlagen oder fort ins Lager geschleppt. In den Stuben wurden alle Möbel aufgerissen, alles vorhandene unzähligemal durcheinander geworfen; alle Winkel bis auf den Taubenschlag hinauf wurden durchsucht, ob etwa noch Nahrungsmittel aufzuspüren wären. Und wie wir auch den immer wieder Kommenden beteuerten: »Wir haben nichts mehr!« sie glaubten es nicht; sie wurden böse und schalten und suchten und fluchten, und wir konnten doch keine Vorräte mehr aus der Erde zaubern. Das waren schreckliche Momente. Und doch auch wieder Gnade und Bewahrung mitten in der Bedrängnis. In der Wohnstube hatte ich in einem Pult in prächtiger strategischer Ausführung die Festungspläne von Straßburg, Rastatt, Mainz, Koblenz usw., die ich in den letzten Tagen genauer anschauen wollte. Man kommt ja in solchen Zeiten auf allerlei Gedanken, zumal in einem einsamen Dorfe, wo zum Kriegführen und Weltteilen nicht gerade besondere Anstalten getroffen sind. Mein Festungskartenstudium hätte mir aber saure Früchte tragen können, wenn so ein schäumender Eisenfresser, wie jenes Männchen mit den strammen Hosen, die Dokumente bei mir gefunden und mich sofort als Spion der Vendette des deutschen Heeres überliefert hätte! Es scheint jedoch, der glückliche Finder hatte von Straßburg, Mainz und Koblenz nur sehr allgemeine Begriffe … kurz, die Sachen sind verschwunden, und ich bin darum in keiner Weise behelligt worden. Für meine Studierstube und meine Bücher war mir besonders bange. Unzählige Male wurde die Türe aufgerissen – das Zimmer niemals betreten. – In der obern Stube wollte ein Soldat den Spiegelschrank mit der Axt aufhauen … Meine Frau stellte sich davor und wehrte mit Geschrei und Tränen … Ein anderer kam dazu und fragte den Wüterich, was er da mache? – »Geht dich nichts an! ich habe Hunger und Durst.« – »Geht mich nichts an? Ein Soldat darf keine Roheiten begehen!« – »Was hat mir ein Rekrut zu sagen?« – »Was Rekrut? Ich Rekrut? Du Rekrut! Ich diene meinem König schon zwei Jahre … du Rekrut!« Griff den Widersacher; – allmächtiger Gott, sie gehen mit Bajonetten aufeinander los! … Wir wollten abwehren, wir schrien – es half alles nichts; sie rollten schlagend, raufend die Stiege hinunter.

Im Hofe ging's denselben Gang der Verwüstung wie im Hause. Die Hühner wurden alle erwürgt; die Schweine totgeschossen; Heu, Stroh, Wagen, die Bienenstöcke, alles, was irgendwie einem Heere dienen kann, wurde unbarmherzig fortgenommen. Und wehe dem, der in solchen Augenblicken den entbrannten Leidenschaften des Menschen Widerstand leisten wollte! Der würde Öl ins Feuer gießen und elendiglich zugrunde gehen. – Einmal, warum sollte ich's nicht erzählen, wollte auch mir die Geduld reißen und ich machte den Versuch, der Plünderung Einhalt zu tun. Mein Wägelein, welches ich zum Filialdienst so nötig brauchte, war schon fort und sie fingen nun auch an, das Heu mit greulicher Energie herunterzuwerfen. Da kam ich auf den unglückseligen Gedanken, ein Schloß an die Dachluke zu legen und so den Heuschober nach außen zu verschließen. Das hatte aber der schlaue Unteroffizier beim Fortgehen bemerkt, kam bald wieder mit einem ungeheuren Troß von Mannschaften und nun ging's wagenvollweise, ein Transport nach dem andern, zum Hof hinaus. Ich mußte zusehen – und ärgerte mich nachher über diese gefährliche Selbsthilfe –, das Unglück war aber geschehen, ich konnte nichts mehr ändern. Ich reklamierte zwar und protestierte nach Kräften: er solle doch nicht alles nehmen … ich sei doch der Pfarrer usw.; »das ist eben recht«, war die Antwort – und im Grunde hatte er auch recht. In solchen Momenten muß man seine Seele in Geduld fassen und wenn auch das Herz trauert über den Verlust so vieler Güter, so darf man sich doch nicht fleischlich und eigenmächtig wehren gegen die Gerichte, welche Gott über einen verhängt hat. Es ist der Gemeinde nicht besser gegangen, und so durfte auch dem Hirten keine Schonung auf Unkosten anderer widerfahren. 's ist nur ein Elend, daß man solche Wahrheiten nicht schon zum voraus oder doch, wenn's not tut, auf der Stelle erkennt. Übrigens, wie kann man von einem kampfesmüden und kampfeserbitterten Soldaten, der soeben sein Leben fürs Vaterland aufs Spiel gesetzt hat und vielleicht morgen für dasselbe bluten muß, wie kann man von ihm verlangen, daß er für irgendeinen Gegenstand, den er braucht und haben muß, die geringste Nachsicht habe? Darüber lassen sich freilich, in Friedenszeiten, hinterm warmen Ofen allerlei menschenfreundliche Meinungen und Ansichten aufstellen, aber wenn der Soldat im Felde liegt oder bluttriefend aus der Schlacht hervorbricht und Hunger und Durst in seinen Gebeinen wüten, dann ist's anders … dann werden solche Träumereien hinfällig … dann wird's offenbar: wer Krieg sagt, sagt in diesem einzigen Wort eine Welt voll von Jammer und Elend.

Es läßt sich nicht leugnen, daß auch Roheiten und unnötige Härten vorgekommen. Wenn eine alte Frau, mitten unter einem wütenden Haufen von Soldaten, unter Androhung augenblicklicher Todestrafe den Ölkrug an den Mund setzen und daraus trinken muß, und dann monatelang jämmerlich dahiniecht, so ist das eine Grausamkeit, für die es schwerlich eine Entschuldigung gibt; und wenn ein alter, ehrsamer Herr von jeder Flasche Wein, die er dem tobenden Haufen austeilt, zuerst kosten muß, vor gespannten Gewehren und klirrenden Säbeln, und endlich vor lauter Kosten das Konzept und das Gleichgewicht verliert, so ist das ein herzloses Verfahren, dem niemand das Wort reden kann. Doch derlei Exzesse fallen unter Gottes Gericht. Es sind aber auch Beispiele von Milde und Barmherzigkeit zu verzeichnen, welche das Andenken an jene gräßlichen Tage lieblich und tröstend durchleuchten. Ein solches aus unsern persönlichen Erlebnissen. Wir hatten um 6 Uhr an Nahrungsvorräten nichts mehr als die Milch von unseren zwei Kühen. Nun, wenn die uns bleiben, so werden wir nicht verhungern. Wenn nur die Kleinen heute Nacht und Morgen noch satt werden, wir Alten können schon warten. Bis hierher hat Gott geholfen durch seine große Güte … Überdem tritt ein Offizier mit einer Abteilung Soldaten in den Hof herein, schreitet rasch dem Hinterhofe zu und in einem Augenblick sind beide Kühe gebunden, um ins Lager abgeführt zu werden. Ein Schrei des Entsetzens erhebt sich im ganzen Hause. Mir selbst wird's jetzt auch bange. Ich eile hinaus und wage ganz ruhig ein Wort an den Offizier. »Herr Leutnant, ich habe jetzt nichts mehr, als diese vier kleinen Kinder und zwei Augen zum Weinen. Wenn es Ihnen möglich ist, haben Sie Erbarmen, lassen Sie mir nur eine von den zwei Kühen, daß ich diese Würmlein heute abend noch einmal sättigen kann.« Sichtbar ergriffen erwidert der fremde Krieger: »Herr Pfarrer, glauben Sie mir, es tut mir leid, ich fühle mit Ihnen, aber ich kann nicht anders, ich muß sie haben.« – »Nun, wenn Sie sie haben müssen, kann ich mich dieses letzten Opfers nicht weigern; nehmen Sie's hin in Gottes Namen.« – Die Soldaten wollten fort. Der Offizier gibt einen Wink. »Nein, wir nehmen nur eine«, und zu mir sich wendend: »Welche wollen Sie behalten?« – »Diese da!« – »Kinder, führt die Kuh wieder in den Stall.« Unter Loben und Danken trat ich wieder ins Haus, der Offizier begleitete mich hinein, verlangt Feder und Papier und schreibt einen Requisitionsschein, den er mir mit den Worten überreichte: »Das sind blutige Zeiten, Herr Prediger, aber seien Sie getrost, es wird auch wieder besser kommen.«

Des andern Tages, als ich vom Schlachtfeld kam, sind wir wieder beisammen, und es fließen Tränen und mancher Seufzer steigt zu Gott empor … Da hören wir auf einmal das Hoftor aufsprengen, eine Kuh läuft brüllend zum Stalle hin … wir eilen hinaus … da steht wahrhaftig neben der andern unsere zweite vermißte Kuh. Sie hat den Strick noch am Halse und die Milch von gestern bringt sie wieder. Man denke sich unsere Freude; wir sind alle wie erstarrt vor Verwunderung. »Du guter Gott! wie bist du doch so freundlich und barmherzig! Ja, wahrlich, das Seufzen der Elenden hörest du, Herr! ihr Herz ist gewiß, daß dein Ohr darauf merket.« – Wie ist aber das gute Tier zu uns gekommen? Sie ist doch aus einem fremden Dorfe und ist hier niemals im Felde gewesen … Wer hat ihr den Rückweg gezeigt? Hat Gott jenem Offizier etwa gesagt, er solle sie durch seine Mannschaften zurückführen lassen? Wir wissen es nicht. Nur das wissen wir, daß Gottes Güte sie uns wieder geschenkt hat und wenn auch fast kein Futter mehr in der Scheune blieb, so hat es doch auch daran nicht fehlen dürfen bis zur neuen Ernte.


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