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Eine sanfte Heimfahrt

Bei Reichshofen, auf der Eisenschmelz, hat die opferfreudige Liebe des Fabrikdirektors und einiger Familien auch manchen Offizier und manchen Soldaten in Privat- und Lazarettpflege aufgenommen und arbeitet wochen-, monatelang mit unverdrossener Geduld an der Wiederherstellung der Verwundeten … Dort liegt, mitten unter vielen dahinsiechenden Kameraden, mit durchschossenem Unterleib und zerschmettertem Bein in sicherer Todesaussicht – ein gar lieber junger Mensch, so sanft und freundlich, so still und ergeben, so aufrichtig in seiner Buße und so siegesgewiß in seiner Hoffnung. Eines Tages läßt er mich schleunigst rufen; von ferne glänzen seine großen hellen Augen und ein seliges Lächeln spielt auf dem todesmüden Angesicht. – »O geben Sie mir noch das heilige Abendmahl: ich fühle es wohl, ich werde sterben … Es geht mir aber gut … nur will ich noch den Leib und das Blut meines Heilandes genießen, zur letzten Zehrung durchs dunkle Tal! Ach ja, ich werde sterben! – Ich hätte noch gerne gelebt und meine Heimat, meine Eltern wiedergesehen, aber es ist so auch gut – ich komme doch heim, und meine Wunden werden dann nicht mehr so wehe tun!« – Ich frage ihn, ob er sein Sündenelend erfahren und in Christi Blut und Gerechtigkeit heimzufahren gewißlich glaube? – »Ja, o ja, ich bin ein großer Sünder, aber ich fürchte mich nicht; denn ich weiß aus diesem Worte (und dabei zeigt er sein Neues Testament): Jesus nimmt die Sünder an.« – Ich reiche ihm das heilige Abendmahl. O welche Freude, welche Herrlichkeit! Als der Segen über ihn gesprochen ist, bricht er in die Worte aus: »So, jetzt bin ich mit meinem Heiland vereinigt! jetzt kann das Stündlein kommen, ich sterbe so gerne; denn ich bin selig.« – Nun verlangt auch noch ein anderer das heilige Sakrament und nach diesem alle Krankenwärter; es ist wie ein Hauch Gottes, der durch alle diese Totengebeine bläst, und gewiß wird die Gnade manches Herz noch ergreifen und nicht mehr loslassen, bis es zu der Sterbensfreudigkeit gelangt, die von jenem Totenbett aus so wundersam sich offenbart. – Der liebe Kranke wird aber noch nicht so bald abgerufen. Noch öfters dürfen wir ihn sehen in seinem kindlichen Glauben und seiner großen Geduld uns freuen. Allemal, wenn wir ihn fragen: »Wie geht es heute?« – antwortet er: »Es geht mir immer besser, ich komme jeden Tag näher heim zu meinem lieben Heiland! O wie sehne ich mich abzuscheiden und bei Ihm zu sein, wo kein Krieg und keine Wunden und kein Tod mehr sein wird ewiglich!« – Endlich ist ihm auch die schmerzlich ersehnte Simeonsfahrt geworden: er liegt und schläft ganz mit Frieden und harrt der seligen Auferstehung; das Los ist ihm gefallen aufs Liebliche, ihm ist ein schön Erbteil geworden.

Einige Monate später kommt aus Württemberg ein armes, altes Bäuerlein, das den weiten, weiten Weg zu Fuß gemacht hat, um die Ruhestätte seines entschlafenen Sohnes zu besuchen – auf Wiedersehn! Er ist sehr arm und hat so ganz das Kleid und den Pilgerstab eines Jüngers, der durch viel Trübsal nach den himmlischen Friedenshütten wandert; uns aber scheint es, als trage er auf dem gebeugten Haupt eine Krone, und er trägt sie auch; denn ein frommes, im Herrn entschlafenes Kind, wie das hier beweinte, ist seiner Eltern allerschönste Zier, und wenn je, so gilt hier das Wort: Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.

Gehen wir noch einen solchen wehmütig-freudigen Gang, diesmal nach Wörth, wo in unsern Lazaretten noch so viele Hoffnungslose langsam dahinwelken.

Dort liegt in der Kleinkinderschulstube in brennender Fieberhitze ein junger Lehrer aus Berlin, ebenfalls durch die Brust geschossen! Zu Hause hat er eine junge Frau zurückgelassen, mit welcher er vor sechs Wochen vor dem Traualtar gestanden. Mein Gott! Wie zerbrochen, wie auflösungsbedürftig sehnt sich der müde Streiter nach endlicher Ruhe! Doch der heiße Kampf neigt jetzt zum Ende; die röchelnden Atemzüge gehen schwerer; die starren Augen fangen an zu brechen und blasse Todesschauer lagern auf dem schönen Angesicht. – Es ist so feierlich stille in diesen Räumen … Die übrigen Kranken schauen teilnahmsvoll herüber zu dem sterbenden Waffenbruder; die schlesische Schwester kniet zu seinen Füßen. – Ich trete heran; er faßt meine Hand, zieht mich herab zu seinen bebenden Lippen und mit zitternder Stimme spricht er die Worte: »Nur leise, leise, ich bin so müde!« – Ich setze mich zu ihm; ich halte die dargereichte Hand in der meinigen; ich schaue hinein, lange, lange, unter fürbittendem Seufzen in die nassen, hohlen Augen … Was soll ich tun? Er hat das heilige Abendmahl begehrt und deswegen bin ich heute gekommen … Mittlerweile hat die Schwester ein kleines Tischchen hergebracht, es mit einem weißen Tüchlein bedeckt, ein Kruzifix daraufgestellt und Kerzen angezündet … Es ist mir so seltsam und doch so ruhig zumute. – Die Schwester kniet wieder – ich lasse sie gewähren und knüpfe an, ganz leise, an das Bild des Gekreuzigten, welches vor uns steht, und rede von der Sünde Weh und Elend und von der ewigen Liebe Gottes in Christo Jesu, der unsere Sünden getragen und des Todes Bitterkeit versüßt und uns ein ewiges Leben erworben hat … Da wendet der sterbende Krieger sein Angesicht herüber, schaut mit unbeschreiblicher Sehnsucht nach dem Kruzifix und sagt: » Ach, das spricht so zu mir!« Ich rede weiter von des letzten Stündleins Nähe, von der Gnade und Vergebung, die auch ihm bereitet sei; er solle nur als ein armer Sünder mit getrostem Glauben seinen Heiland ergreifen … Da blickt er wieder herüber auf das Christusbild, diesmal mit helleuchtenden Augen, und sagt mit bewegter Stimme: » Ach, das spricht so zu mir!« Nun reiche ich ihm das heilige Abendmahl (noch nie habe ich es freudiger getan) und segne ihn ein zum letzten Todesgang. – Er ist ganz ruhig; noch brennen die Kerzen auf dem kleinen Altar, noch ruht sein Blick unverwandt auf dem Christusbilde; in den verlöschenden Zügen aber weht ein Hauch der Verklärung. – Die Nacht kommt heran; er hat überwunden. Des andern Tags geben wir ihm das Geleite hinaus auf den Friedhof. Das Söhnlein aber, auf dessen Haupt er die segnende Vaterhand nicht legen durfte, wachse heran zu seiner gebeugten Mutter Trost und Freude.

Das sind einzelne Beispiele aus unsern seelsorgerlichen Erfahrungen an verwundeten und sterbenden Kriegern. Wir könnten dieselben vermehren; sie genügen aber und beweisen, wie die Friedensgedanken Gottes in der schmerzensreichen Sichtungsarbeit am 6. August 1870 sich auch am Wehrstande verherrlicht haben.

Auf die Frage, ob solche Erfahrungen nicht auch von französischen Soldaten zu verzeichnen wären, diene zur Antwort: In der französischen Armee waren verhältnismäßig nur sehr wenige Protestanten. An Verwundeten habe ich nur einen, und zwar den ersten, der ins Schulhaus aufgenommen wurde, kennengelernt. Und da andrerseits alle französischen Truppenteile ihre Feldgeistlichen hatten, so konnten wir keine Veranlassung nehmen, in direkter Weise Seelsorge an den Verwundeten zu treiben. Daß wir aber nichtsdestoweniger keine Gelegenheit versäumt haben, einem leidenden, sterbenden Krieger, welcher Konfession er auch angehören mochte, ein Wort der Ermunterung und des Trostes in sein brechendes Herz hineinzurufen, das bedarf wohl keines Beweises. Doch darüber ziemt sich gebührendes Schweigen.

Daß auch in den französischen Reihen manch braves Landeskind eines christlichen Heldentodes gestorben, davon haben wir Beweise und das glauben wir ganz gewiß, wenn auch eingehendere Berichte solches nicht öffentlich dartun. – Wir erinnern nur, was uns betrifft, an die Neuen Testamente, die auf dem Schlachtfelde gefunden worden sind, und an jene Bibel, die monatelang allenthalben, zuletzt noch auf Wunsch und Befehl Ihrer Majestät der Kaiserin, aber vergeblich gesucht worden ist.


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