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Nähere Bekanntschaft mit der Feldgendarmerie

Wie oft haben wir's, gleich im Anfang, unsern Leuten gesagt: Hütet euch und holt beileibe nichts vom Schlachtfeld! Der Feind hat's erobert und paßt auf! wer nicht hört, muß fühlen. – Wie's aber in solchen greulichen Zeiten geht: Die Köpfe sind verwirrt; die Herzen leidenschaftlich entzündet; die einen verstehen's und gehorchen – die andern wollen's nicht verstehen und folgen ihren Gelüsten. Sie sagen: »Krieg ist Krieg … man muß sich wärmen, wenn man beim Feuer ist … und wer kann das eine Sünde nennen, wenn ich mir einen Mantel oder ein Paar Zelttücher oder einige Decken oder ein verlorenes Chassepotgewehr aufhebe? 's geht ja doch alles zugrunde; und die andern holen ja auch«; und dergleichen … In der Tat, da strolchen seit der Schlacht eine ganze Masse fremder, unheimlicher Kerle herum, die kripsen und krapsen zusammen, was ihnen unter die Hände kommt, und schleppen ganze Wagen voll Sachen fort und lassen dafür den Verdacht zurück, der auf die Einheimischen fällt. Kurz, die Versuchung ist für manchen zu groß, das böse Beispiel zu mächtig; man geht auch und nimmt » sein Teil« und versteckt's, so gut man kann, »bis der Rumpel vorüber …« Aber es ist einmal doch unrecht; jedenfalls hat's einer gesehen, der auch ins »heimliche Gemach« hineinschaut. Doch auch die Preußen haben es erfahren, dafür hat in edler Uneigennützigkeit der Nachbar gesorgt. Soeben rückt die Feldgendarmerie zum Dorf herein und wie ein Lauffeuer fliegt's durch alle Gassen: »Die Gendarmen kommen, um Haussuchung zu halten.« Gar manchem wird's bitter weh dabei: »Wär' ich doch …! hätt' ich doch …! sie finden's, sie finden's nicht … Na, der muß es dann aber auch herausgeben – wart', dir will ich's einreiben« … just, wie's in andern Ländern auch gegangen wäre – und schon gegangen ist und gehen wird, solange Krieg und Blutvergießen nicht aufhören und Gerechtigkeit und Frieden nicht unter den Völkern wohnen.

Einer der ersten Besuche gilt dem Pfarrhaus. »Haben Sie etwas vom Schlachtfeld? Waffen, Geräte oder sonstige Gegenstände?« – »Meines Wissens nichts als diese Streitaxt – die steht schon seit dem 6. August hier im Hausgang (es war die Axt, mit welcher der wütende Soldat den Spiegelschrank hatte aufhauen wollen); ich würde sie gerne als ein Andenken bewahren.« – Der Offizier nimmt die Axt in die Hand, schaut mich an, lächelt ganz harmlos in seinen Bart, schaut aber auch seine Begleiter an, die machen unheimliche Gesichter. – »Es ist mir leid, ich kann Ihnen die Axt nicht lassen« – spricht's, behält die Waffe und verschwindet.

Vom Pfarrhofe geht's weiter; aber nicht der Reihe nach von Haus zu Haus, sondern bald dahin, bald dorthin – vom Unter- ins Oberdorf, aus der Tränkgasse in den Schlittweg. Auf diese Weise ist niemand einen Augenblick sicher; keiner kann den andern mehr warnen … Ja, sie sind schlau, diese grün-gelben Spürhunde!

Jetzt sind sie beim Kohlenpeter, durchstöbern die ganze »Gerechtigkeit«. – Der Kohlenpeter hat nichts – und doch ist er so jämmerlich verstürzt; er loddelt an Leib und Seele … Endlich kommen sie auch an die Wiege; die Wiege ist so auffallend aufgebauscht … »Was ist da drin?« – »Das Bett von unserm Jockele.« – »So, will doch mal sehen, was der Jockele für ein gutes Bett hat«, sagt's und fängt an abzudecken … Der Jockele schreit: »Mein Bett, mein Bett!« Dem Kohlenpeter wird's schwarz vor den Augen – die Gendarmen halten sich die Bäuche vor Lachen – wollene Decken! eins, zwei, vier, sechs – zehn – fünfzehn – zwanzig – – vierundzwanzig wollene Decken spazieren zur Wiege heraus! Man stelle sich die Szene vor, im Hause, im Hofe, auf der Straße. Der Gendarmerieoffizier aber sagt kurz und schneidig: »So Bauer, hätt'st zwei gehabt, wären sie dein geblieben; jetzt kriegst keine.«

Die Untersuchungsrunde geht weiter; sie kommen zum Glasertoni. – »Gebt mal geschwind eure Sachen heraus!« – »Ihr Herren, ich hab nichts …« – »Ihr habt nichts? Ihr habt ein neues Musikinstrument? Wollt ihr's gutwilligerweise ausliefern oder wir blasen Euch einen Galoppmarsch auf!« – »Ich hab kein Musikinstrument.« – Und sie suchen und suchen in der Stube, in der Küche, in Kammer und Keller und Laubschuppen … das »Saxhorn« will nicht zum Vorschein kommen. »Wo habt ihr's versteckt? es soll euch nichts geschehen, ihr kriegt ein hübsches Trinkgeld« … Der Glasertoni läßt sich nicht aus der Fassung bringen: »Suchet!« – Und aufs neue werden alle Möbel durchschnüffelt, Heu, Stroh, alles durcheinander geworfen … die Gendarmen sind außer sich, sie schäumen vor Zorn … der Glasertoni bewahrt die größte Kaltblütigkeit … Sie finden das »Saxhorn« wahrhaftig nicht – und doch steckt's im Hause und nach Jahren wird zuweilen noch ein Stücklein darauf geblasen!

So durchmustern sie das ganze Dorf, sie dringen in die dunkelsten Ecken, in die geheimsten Gemächer. Fast überall finden sie etwas: eine Chassepotflinte oder ein Bajonett, ein Paar Decken, Zelttücher, einen Mantel oder sonst ein Kleidungsstück; im ganzen aber ist's ein mäßiger Fund; die meisten haben ihre Hände und ihr Gewissen rein bewahrt; nur einzelne haben wüst gehaust; denen wird denn auch alles unerbittlich entrissen. Und wie sie auch brummen und heulen und winseln – unter Spott und Hohngelächter wird die Beute von dannen geschleppt. Wo hingegen die Gendarmen sehen, daß die Leute bescheiden, ehrlich, auch wohl arm und hilfsbedürftig sind, da lassen sie gerne, oder geben sogar eine Kapotte, einige Teppiche, Zelttücher usw. Und wie oft Spaß und Ernst in solchen Zeiten zusammentreffen – mein Großvater selig hat's tausendmal erzählt, wie Anno 1814 die Russen kamen und der naseweise Balzer Philipp neben den Kosaken herlief und die rotbärtigen Männer angaffte, bis ihm einer die große Trommel an den Hals hing, und der arme Teufel mußte die Trommel acht Stunden weit schleppen bis nach Stolzburg – gerade so geht's auch heute bei den Haussuchungen dem Meyerhenner im Oberdorf. Dem juckt's auch hinter den Ohren und er stellt sich so recht unschuldig und selbstgefällig ans Hoftor und lugt zu, wie die Gendarmen da herumhausieren, und muß herzlich lachen, wie der stramme Arm der Gerechtigkeit ganze große Kochkannen voll Bleikugeln zutage fördert. Auf einmal heißt's: »Komm her, Bauer!« Und wie der Meyerhenner sich taub stellen will … ruft's »kommst gleich oder ich …« und zielt mit der Flinte … Was will er machen? Übel oder wohl, er muß kommen. – »Bauer, da trag diese Kannen!« – »Ich?!« – »Ja!« – »Ich, die Kannen tragen?!« – »So schnell eine Geiß tritt, oder du bekommst Prügel!« – Der Meyerhenner wird grün und gelb vor Zorn und Entsetzen … »Ich die Kannen tragen?! Ich trag sie nicht!« – »Du trägst sie doch!« – »Ich will aber nicht!« – » Du mußt« … und wer mit Gewalt gebändigt wird und die Kannen tragen muß, ist der Meyerhenner.

Ein Weltspektakel erhebt sich auf der Straße, zu allen Fenstern gucken und lachen die Neugierigen heraus … und siehe da marschiert der Meyerhenner, wie ein ertappter Missetäter, zwischen den Gendarmen und trägt die Bleikannen. – Er protestiert, schimpft, heult Zetermordio … es kann nichts helfen. Da kommt er das Dorf herunter, ganz entstellt, halb tot vor Zorn und Schande … Wie er mich von weitem sieht: »Herr Pfarrer! das überleb ich nicht! ich werd' krank! ich bekomme die Leberkrankheit; stellen Sie sich's vor: ich muß die Kannen tragen und hab doch keine Bleikugel im Haus …« Endlich ist der ganze Troß vorm Kirchenplatz; der gefolterte Sündenbock wird losgelassen, er läuft Kopf über Kopf unter durch die Gärten nach Haus, schäumt hinter geschlossenen Läden seinen Ingrimm aus, wird auch nicht gerade krank, aber ich bin gut dafür: seiner Lebtag vergißt er seinen Gang mit den Bleikannen zwischen den Gendarmen nicht.


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