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Freitag, den 5. August (Fortsetzung)

Eine andere Erscheinung hat der Erzähler gesehen, die jetzt noch wie ein weißer Schatten durch sein Gedächtnis zieht: auf einem prächtigen arabischen Pferde, in blendend weißen Burnus majestätisch gehüllt, mit schönem schwarzem Vollbart und würdigem Patriarchenangesicht, den Marabout, den Priester der Turkos. Wie doch die Zeiten sich ändern! Einstens die Kreuzzüge – heute der Halbmond mitten in der Christenheit; Mohammed fechtend unter dem Banner des allerchristlichsten Volkes! Ja, ja, da lag auch ein Bann auf Frankreichs Gewissen. Wir haben den Marabout nicht wieder gesehen. Vielleicht ist er, ein Paradies sich träumend, auf dem Schlachtfelde verschmachtet; vielleicht blüht ihm, als Feldprediger, im nächsten Krieg eine lohnende Zukunft. Im Laufe des Freitags kamen auch viele Offiziersfrauen und besuchten ihre Männer. Ach, wie manche hat damals ihren Stab und ihre Stütze, den Vater ihrer Kinder, zum letztenmal ans Herz gedrückt! Wir haben es seitdem erfahren, wie viele Witwentränen in weiter Ferne und auch hier auf die einsamen, kalten Grabsteine geflossen sind. Es tat einem in der Seele weh, wenn man zusah, wie diese armen Frauen auf den Fittichen der Liebe hierher durch Getümmel drangen, ihren Männern noch eine letzte Erquickung, ein letztes Zeichen der Treue überreichten, und dann Abschied nahmen unter bangen Ahnungen auf baldiges – nimmerkehrendes Wiedersehen? Und wie so manchem Kriegsmann unterm Panzerhemd das Gatten- und Vaterherz hoch aufschlug und manche stille Träne über den strammen Schnurrbart herunterglitt. In Deutschland wird's auch so gewesen sein. Man kann sagen, was man will: auch der tapferste Kriegsmann hat ein fühlend Herz und kein Mensch, auch der Unerschrockenste nicht, geht ohne Schauer hinein in den Tod.

Gegen Abend wurde der entsetzlichen Hungersnot ein Ende gemacht. Es kamen 33 000 Rationen Lebensmittel, die wurden so schnell als möglich überallhin verteilt. Ob alle hier und in der Umgegend anwesenden Truppenteile ihr gehöriges Quantum bekommen haben, wissen wir nicht. Daß aber mehrere Divisionen die nötigen Vorräte nicht rechtzeitig erhalten haben, das bewiesen nachher die allenthalben noch auf den kleinen Bodenkaminen stehenden angefüllten Fleisch- und Suppentöpfe. Es trafen auch in der Nacht immer noch neue Regimenter ein; ob diese Leute satt oder nüchtern auf der Walstatt anlangten, vermögen wir nicht zu berichten. Jedenfalls wäre für jeden Mann eine doppelt kräftige Ration vonnöten gewesen, und gewiß haben die wenigsten dieselbe bekommen. O wie traurig! Diese armen Jungen mußten also müde und hungrig ins Feuer und den ganzen Tag ohne Speise und Trank fürs Vaterland fechten und bluten; es nimmt einen nur tausend wunder und es ist ein Beweis von heroischer Tapferkeit, daß sie dem fürchterlichen Anprall des Feindes solange widerstehen konnten.

Um 6 Uhr war Marschalls-Diner im Schloß. Da ging's hoch her. Alle Generale waren zu Tisch gebeten, ausgenommen den General D'hérillier. War der auf irgendeinem Posten unentbehrlich oder war er keine persona grata in der Umgebung des Feldherrn? Es gab darüber allerlei Gemunkel; das letzte ist wahrscheinlich. Mac Mahon blieb im Schloß, ging aber nicht zu Bette, sondern legte sich zuweilen brütend auf ein Sofa. Wenn daher jetzt noch viele Reisende das sogenannte Mac Mahonische Schlafzimmer neugierig besuchen, so kann ihnen nur die Tatsache verbürgt werden, daß der Marschall dort seine Toilette gemacht hat.

Gegen Mitternacht ließ der Herzog durch einen Adjutanten H. v. Dürckheim ersuchen, er möchte doch durch seine Förster schnelle und genaue Erkundigungen über die Stärke und die Positionen des Feindes in der bayerischen Ebene einziehen. Die dienstbaren Geister sind alsbald nach allen Himmelsrichtungen ausgeflogen, was sie aber erkundschaftet haben, ist ein Geheimnis geblieben.

Noch etwas von Bedeutung. Am selben Freitag abend kam ein Genieoffizier nach Wörth und gab den Befehl, die Brücken über die Sauer sofort abzubrechen, widrigenfalls würde er dieselben mit den nächsten Häusern in die Luft sprengen. Der dortige Bürgermeister war zufällig kanonentaub und schlüpfte unter dem Schutz dieses Gebrechens glücklich aus der Bedrängnis. Dagegen mußte der Ratschreiber desto energischer ins Zeug. Der war nicht taub und nicht blind, sondern ein mit allen fünf Sinnen vortrefflich bewaffneter Patriot. Der ließ in aller Eile die Bürger zusammentrommeln und fronsweise wurde das Niederreißen der Brücken in Angriff genommen. Kaum hatte man aber die Sauer-Kanal-Brücke abzubrechen angefangen, da sausten schon zwei deutsche Ulanen im Galopp heran mit gespannten Gewehren und drohten Feuer zu geben auf den ersten, der noch einen Stein anrühren würde. Natürlich machte man kehrt, die Zerstörer ergriffen die Flucht; der Ratschreiber kratzte in der Perücke; der taube Bürgermeister pries alle Heiligen selig … Man mußte warten, bis die vermaledeiten Ulanen wieder verschwunden waren, und erst in später Nacht wurde das Werk des Brückenniederreißens vollendet.

Auch wurden an der Karlsmühle die Querdielenstücke aus den Rädern genommen, damit kein Preuße trockenen Fußes über die Sauer kommen sollte. Das war gescheit. Daß man aber die Division Lartigue und die Batterie Geschütze vom Gunstetter Berg zurückgezogen hatte, konnten wir nicht begreifen, denn von dort aus sollte unsere Front ganz erschrecklich beschossen werden. Es müssen wohl strategische Gründe oder Befürchtungen diese Maßregel hervorgerufen haben, an welche unser Bauernverstand nicht hinanreicht.

Unsere Gnadenfrist war abgelaufen; nur eine Nacht verschleierte noch unser trübes Verhängnis. Im ganzen Heer war man auf einen jähen, furchtbaren Zusammenstoß mit dem Feinde gefaßt, obschon eine Schlacht auf den anbrechenden Morgen des 6. August weder beabsichtigt noch eigentlich erwartet war. Auch der Chronikschreiber wußte, wieviel Uhr es geschlagen. Doktor Sarrasin hatte ihn beiseite genommen und ihm eröffnet: »Wenn Sie noch etwas zu retten haben, Weib, Kinder, Hab und Gut – so tun Sie es auf der Stelle, denn Sie werden hier Greuelszenen erleben, von welchen Sie keine Ahnung haben.« – Das war eine Aussicht!! Und fliehen? Wohin? Mit wem? Womit? In den Wald? In die Berge? Die einen fortführen und die andern da behalten? oder alle zusammen flüchten und alles im Stiche lassen? Nein, lieber bleiben, auf dem Posten bleiben. Noch sitzt der im Regiment, der Sturm und Wetter gebietet. Aber welche Nacht! Im Hause, auf den Straßen, im ganzen Dorfe, draußen auf den Feldern! Jetzt kann man ruhig zurückdenken – aber damals, … jene unheilschwangere, entsetzliche Nacht! Nein, man glaubt es nicht; man kann mit der geflügeltsten Einbildungskraft nicht erreichen, was eine Bevölkerung in solchen Momenten fühlt und leidet. Doch gottlob, es ist überstanden! Und was waren alle diese Vorwehen gegen die Schrecken und Verheerungen, denen wir erst entgegengingen.

Wir wollen aber hier eine kleine Pause machen und vor dem Schwerterklingen uns noch einmal umschauen, wie und wo unsere Truppen aufgestellt sind und welche Bewegungen der Feind, dessen Vorposten in weitem Gürtel unsere Anhöhen belauschen, bis heute gemacht hat.


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