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Wie der Erzähler zu einem Reitpferd kommt

So passieren denn allerlei Geschichten: gute und böse; erfreuliche und unerfreuliche, und dem Chronikschreiber ist schier zumute, als sollte er die Feder niederlegen; sonst könnte doch am Ende der Leser des langen Geplauders überdrüssig werden. Indessen hat man doch mit allen Menschen Geduld, und so wollen wir denn folgende Historie noch zum besten geben.

Es ist dem Erzähler, wie bekannt, am Tage der Plünderung wie allen andern schlimm genug ergangen. Doch die Verluste werden ja täglich ersetzt, und von Mangel ist schon längst keine Rede. Eine recht schmerzliche Einbuße aber bleibt mein armes Wägelein, welches mir zu meinen Filialdiensten, namentlich zum Abendgottesdienst in Reichshofen fast unentbehrlich geworden. Was anfangen? In der Nacht anderthalb Stunden zu Fuße zu gehen, ist unmöglich, und Fuhren gibt's überhaupt keine auf unserm Berge. Da hör ich: der hat ein verwundetes Pferd aufgefangen, gepflegt und behalten dürfen; jenem ist zum Betrieb seines Ackerbaues von der deutschen Militärbehörde ein Pferd oder Maulesel überlassen worden … Wie wär's, denk ich, wenn du mal über die erlittene Unbill Beschwerde führtest und zur Ausrichtung deines Amtes irgendein fahr- oder tragbares Vehikulum erlangen könntest? – Gesagt, getan. Ich gehe eines Tages nach Niederbronn aufs Etappenkommando und rede dem dortigen Machthaber so beweglich als möglich ans Herz, wie peinlich der Verlust des Wägeleins für mich sei, wie beschwerlich das Hin- und Herreisen bei dunkler, stürmischer Herbstnacht und ob ich denn nicht zum Ersatz für mein frevelhaft entrissenes Eigentum ein Pferd oder einen Maulesel bekommen könnte; ich sei zwar des Reitens nicht besonders kundig, aber mit Vorsicht möchte es doch gehen; und was sonst noch alles dem gravitätischen Etappen-Kommandeur vordemonstriert werden konnte. Der hört meine Ansprache geduldig an, streicht ein Weilchen den strammen Schnurrbart und sagt dann in gutmütigem Tone: »Nun ja, ich verstehe wohl, da muß was geschehen.« – Ich danke verbindlichst und denke in meinem Sinn: »Du bekommst ganz gewiß ein Pferd oder einen Maulesel.« – Doch langsam! Denk an den unglücklichen Xaveri!

Es dauert etwa vierzehn Tage, da erhalte ich vom Etappenkommando aus Niederbronn den kurzen Bescheid, man bedauere, aber es sei weder ein Pferd noch ein Maulesel vorhanden, den man dem Pfarrer zu Fröschweiler zur Verfügung stellen könne. So denk ich, jetzt bist du schon abgefertigt – du kutschierst nach wie vorher mit Schusters Rappen. Das Ding ist ärgerlich – wär ich doch früher gegangen! – Aber in Kriegszeiten lernt man sich fügen und stille sein … Zwei Tage später kommt wieder ein Schreiben, ich solle mich nach Weißenburg begeben, um dort beim Etappenkommando das erbetene Pferd in Empfang zu nehmen. Man denke sich meine Überraschung! Also doch gelungen, – und den andern Tag wandere ich mit einem pferdekundigen Bauern nach Weißenburg. – Weißenburg ist alleweil auch eine eroberte Stadt, und überall begegnet man trüben Gesichtern. Doch, darüber ein andersmal – ich melde mich beim Etappenkommandeur – ich sei der und der und Sie haben die Freundlichkeit gehabt, mir ein Pferd zu bewilligen usw.– »Ja«, sagt der alte Herr, »es sind noch zwei vorhanden: ein kräftiger Brauner und ein alter immens großer Schimmel – ich rate Ihnen aber, nehmen Sie den Braunen; Sie bekommen ein gutes Pferd. Um neun Uhr bin ich in der Kaserne, dann können Sie wählen.« Stimmt nicht übel, denk ich und mit freudigem Herzklopfen steh ich um neun Uhr mit meinem Begleiter vor der Kaserne. Da kommt der Etappenkommandant. – »Jetzt wollen wir die Sache abmachen; wird bald richtig sein.« – Wir treten in die Stallungen – und daß ich's nicht vergesse, mehrere Seebacher Bauern, welche täglich für die Armee Fuhrdienste leisten, gehen auch mit in den Stall, keiner aber weiß, wer ich bin oder was mein Verlangen. – Der Etappenkommandant: »Führt einmal den Braunen heraus; laßt ihn laufen!« … Ein Soldat jagt etlichemale im Kasernenhof hin und her und bringt den Braunen wieder zu uns. Drauf der Etappenkommandant zu einem der Seebacher Bauern: »Was ist das Pferd wert?« – Der blinzelt so recht schelmisch mit den Brauen: »Was soll ich sagen? 500 Franken!« – Mir fährt ein Schrecken durch alle Glieder. – Der Etappenkommandant zum zweiten Bauern: »Was meint Ihr? Was ist das Pferd wert?« – Der dreht den Kopf so gegen die Schulter, schiebt die Pelzmütze aufs Ohr: »500 Franken ist ein bißchen viel: Ich meine 400 Franken!« – Ja, ja, denk ich, was wird's mit dir geben! du mußt das Pferd bezahlen und hast kein Geld in der Tasche. – Der Etappenkommandant zum dritten Bauern: »Und Ihr? Was soll das Pferd gelten?« – Der muß mir etwas abgemerkt haben – der stellt sich so recht pfiffig unterländerisch hin, mustert nochmals den Braunen vom Kopf bis zum Schwanze, guckt ihm ins Maul: »Herr, ich will Ihnen etwas sagen (mit Verlaub zu reden), die Zeiten sind bös, der Gaul ist nicht mehr ganz jung: ich glaube 350 Franken!« – Der Etappenkommandant: »Abgemacht! Herr Pfarrer, Sie haben das Pferd zu 350 Franken!« – Mir will's schwach werden, die Angsttropfen stehen mir auf der Stirn … Du liebe Zeit! jetzt hast du ein Pferd gekauft! 350 Franken! … Wär ich doch daheim geblieben und meiner Lebtag zu Fuß gegangen! Aber jetzt ist's geschehen, du hast's; du mußt's behalten. Der Etappenkommandant: »Herr Pfarrer, in einer halben Stunde kommen Sie zu mir und dann regulieren wir die Sache!« Ich mache ein verzweifeltes Kompliment und steh noch wie versteinert unter den Seebacher Bauern. »Ach hätten wir aber das gewußt, daß Sie das Pferd kaufen, wir hätten ganz anders geredet … Na, 's ist doch nicht zu teuer …« Ich schaffe mich jetzt zum Kasernenhof hinaus, ich weiß mir gar nicht zu helfen, und doch bin ich froh, daß kein Betrug geschehen. Nun, geh's wie's wolle – ich hab den Gaul, ich muß ihn haben; der Hauptmann wird mir auch nicht gleich den Kopf herunterreißen – fort zum Hauptmann; jetzt will ich erst reiten nach Herzenslust … Ich klopfe an: »Herein!« Da steh ich ganz kläglich betroffen vor meinem Schuldherrn. Der Etappenkommandant: »Herr Pfarrer, das war alles pro forma; – sehen Sie, bei uns muß alles regelrecht zugehen. Sie erhalten das Pferd, das einen Wert von 350 Franken hat; Sie bescheinigen bloß, daß Sie es empfangen haben und damit ist die ganze Geschichte fertig.« Jetzt wird's mir wieder besser; ich unterschreibe den Revers mit fröhlichem Herzen, danke dem Hauptmann für alle freundlichen Bemühungen, kauf mir beim ersten besten Sattler einen Zaum und reite des Abends, still vergnügt, auf der Gebirgsstraße nach Hause. – Der Braune ist ein gutes, sanftes Tier – und belohnt seit langer Zeit die sorgen- und strapazenreiche Fahrt nach Weißenburg durch treue und nützliche Dienste.


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