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Die Plünderung

Wir kehren nun wieder nach Fröschweiler zurück und erzählen weiter, wie es uns nach der Schlacht am Abend des 6. August ergangen ist. Es war halb sechs Uhr, als wir den Pfarrhof erreicht hatten. Du lieber Gott! was war alles zwischen unserm Weggehen und Wiederkommen vorgefallen! Frankreich aufs Haupt geschlagen … unsere Heimat ein Schauplatz der Verwüstung … wir mußten alle bitterlich weinen … Die Haustür war aufgesprengt, doch merkten wir keine Spur von Verheerung. Wir durchsuchten die Räume: überall alles in Ordnung; – auch die dunkle feuchte Küchenkammer: hier regte sich etwas in der Finsternis. Qui vive? Wer ist da? Ein langes, dumpfes Stöhnen war die Antwort. Man kann sich denken, wie uns zu Mute war. Wir machten die Läden und Fenster auf; sechs Turkos lagen zusammengekauert auf einer Bütte voll nasser Wäsche. Ihr Anblick war herzzerreißend. Sie waren alle schwer verwundet; dem einen war die Kugel durch die Brust gefahren; dem andern durch den Unterleib; dem dritten, einem großen Neger, waren beide Augen und der obere Teil der Nase aus dem Kopfe geschossen. Ach wie kläglich, wie schmerzensreich lagen diese Schlachtopfer da in ihrem Blute! Wie krümmte sich ihr verstümmelter Leib unter furchtbaren Wehen! Wie zitterten und bebten sie an allen Gebeinen! Wie lechzte der große, aufgesperrte Mund nach einem Trunk Wasser. » De l'eau! de l'eau!« Es gelang uns endlich, sie aus ihrem Versteck herauszubringen; einer stürzte unter der Tür zusammen, kroch auf allen Vieren durch den Hof und fiel durchs hintere Scheunentor in den Garten, wo er, den Kopf und das Gesicht zur Erde gewendet, verblutete. Der lange Neger legte sich mitten in den Hof, in die Sonne, bedeckte sein Angesicht mit einem Tüchlein und phantasierte, bald singend, bald heulend, mit gen Himmel aufgehobenen Händen, bis er den Geist aufgab. Diese ganze Szene hatte einige Minuten gedauert … auf der Straße war ein wütendes Getöse … wir ahnten aber nicht, was jetzt über uns kommen sollte. Was wissen doch die Menschen vom Krieg, solange sie nur Kalenderhistorien gelesen, aber niemals einen Krieg erlebt haben!! Ich stand in der Haustür. Plötzlich drangen die Soldaten haufenweise in den Hofraum. Sie waren außer sich vor Hitze, vor Durst und Erschöpfung. – »Sie haben doch Wein? Geben Sie uns einige Flaschen Wein!« – Ja, ja. Sie sollen Wein bekommen, – nur ruhig, ich will holen; ich stieg in den Keller – kein einziger folgte – und brachte sogleich mehrere Flaschen. Hier, meine Herren … O weh! Hunderte von ausgestreckten Händen griffen durcheinander … »Mir auch eine! mir auch! mir auch!« – Mir wurde angst und bange.

»Seien Sie doch ruhig … Sie sollen alle haben … ich hole wieder!« Damit eilte ich die Treppe hinunter. – Ja ruhig! ja warten! ein ganzer Schwarm stürzte mit herab in den Keller. Jetzt ging's los … Wie wilde Tiere fielen sie über die Kiste her, daraus ich die Flaschen langte. »Ha, da ist Wein! Ich hab' eine! Ich will auch eine! Donnerwetter, ich will auch Wein!« – Ich konnte nichts mehr wehren; im Nu war keine einzige Flasche mehr vorhanden. Und immer zahlreicher, stürmischer brachen sie in den Keller herunter. »Wir müssen Wein haben! Da ist Wein! und da ist Wein!« – und klopften an die Fässer. »Aufmachen! auf der Stelle, oder wir schießen in die Fässer!« Ich konnte mich kaum noch meines Lebens erwehren, sie hätten mich erdrückt, unter den Füßen zerstampft! … »Habt um Gottes willen Geduld und laßt mich hinaus, ich will den Küfer holen.« Endlich entkam ich ihren Händen … Jetzt hatte der Greuel der Verwüstung freien Lauf. Jetzt erbrachen sie die Fässer, eins nach dem andern; der Wein floß in Strömen; keiner wollte weichen, alle wollten auf einmal trinken. »Ich auch! ich auch!« und dabei schalten, rannten und stießen sie einander … Krawall, Handgemenge … Lachen, Fluchen … ein entsetzlicher Spektakel. Ich stand im Hofe und sah zu. Was machen? Laß fahren dahin … Endlich kam der Küfer mit Hammer und Bohrer. Es war zu spät. Die entfesselte Kriegsfurie war nicht mehr zu bändigen. Sie machten fort, unwiderstehlich, unerbittlich. – Nicht das Geringste durfte übrigbleiben. Eingemachte Kirschen, Konfekt, Himbeersirup, Gurken, Essig, Wein bis auf den letzten Tropfen, alles wurde mit fortgerissen! Und immer wieder fluteten neue Massen zum Hof herein. »Da ist Wein! wir wollen auch Wein!« – »Wir haben keinen Wein mehr!« »Ja, Sie haben noch Wein … Man hat's uns gesagt … Sie wollen ihn nicht herausgeben … wir werden ihn schon kriegen« … scharenweise drangen sie in den Keller, warfen die leeren Fässer hin und her, konnten aber nichts mehr finden und stürmten weiter. – Und doch war, ohne daß wir es nur wußten, noch ein kleines Fäßchen geblieben, aber auch dieses sollte noch genommen werden. Die allgemeine Verheerung war geschehen, da kam ein württembergischer Leutnant und sagte: »Sie haben noch ein Fäßchen Wein« … Ich wollte protestieren … »Ja, ja da unten, ganz in der Ecke, ist noch ein Fäßchen Wein – es ist mir leid … ich muß es haben.« Wir gingen mit ihm und fanden in der Tat weit vom Lager weggerollt, ein kleines Tönnchen. Es war der Freundestrunk, der einst auf der Wanderung von Paris mit ins Elsaß gegangen war. Er wiederholte: »Nehmen Sie mir's nicht übel, ich muß es haben« in einem Tone, worin ein warmes Herz die Erbarmungslosigkeit des Krieges aussprach. – »In Gottes Namen.« – Und er schleppte es fort. Zwei Monate später erhielten wir von Götzenbrück aus, bei Bitsch, einen freundlichen Brief, worin der edle Kriegsmann um Entschuldigung bittet. Er hätte es eben tun müssen. Dieses Schreiben hat uns sehr wohlgetan.

Vier Jahre später, am 6. August 1874, hatten wir an der Straße nach Elsaßhausen das Monument der gefallenen Württemberger eingeweiht. Es war ein schönes Fest.

Kapitän v. Lynk und Major v. Malblanc hatten ergreifende Reden gehalten, wie denn die Schwaben, weiß Gott, wackere Leute sind. Nach der Feierlichkeit waren die Offiziere ein Weilchen in unserm Hause beisammen. Auf dem Trottoir aber, vor den Fenstern, spazierte einer auf und ab und wollte nicht hereinkommen. Ich ging hinaus und bat ihn freundlich, er solle doch uns und den anderen Herren zulieb auch hereintreten. Er hatte allerlei Entschuldigungen. Endlich ging er mit. Wir schauten einander näher ins Gesicht; die Brille war mir sogleich aufgefallen. Wie jenesmal in Weißenburg – es ging nicht mehr länger … »Kennen Sie mich noch!« – »Ich habe Sie schon gesehen.« – »Ich bin der Leutnant (soll ich ihn nennen?), der Ihnen Anno 1870 das letzte Fäßchen Wein genommen hat.« – »Nun, deswegen sollen Sie doch heute ein Gläschen mit uns trinken« – und es war ein freudiges Wiedersehen.


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