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Der Triumphzug und der Tränenzug

6. August abends

Während das alles geschah und das siegreiche Heer teils in geschlossenen Kolonnen vorüberflutete, teils in aufgelösten Haufen das eroberte Dorf ausplünderte, erscholl plötzlich von Wörth herauf ein unbeschreibliches Getöse. Es mußte wieder etwas Neues, Außerordentliches im Anzuge sein. Die Soldaten sprangen, wie von elektrischem Feuer entzündet, zu allen Häusern und Höfen hinaus, stellten sich in Reih und Glied und bildeten auf beiden Seiten der Straße eine undurchdringliche Mauer. Ich stand auf der Haustreppe. »Was ist denn?« – »Der Kronprinz kommt! – Der Kronprinz kommt!« – Ich kann nicht sagen, wie diese Nachricht meine Seele durchzuckte … ich rief meinen Leuten: »Schnell heraus, der Kronprinz von Preußen kommt!« Und das Getöse dringt immer näher und das Triumphgeschrei wird immer größer … Jetzt sind sie im Unterdorf … horch, wie sie jubeln! – gebt acht! jetzt biegen sie um die brennende Kirche … Die Trommeln wirbeln, die Siegeslieder brausen – eine ungeheure Begeisterung flammt durch die Reihen … alle Häupter sind entblößt, die Mützen fliegen hoch empor und aus aller Mund tönt ein tausendfaches, donnerndes Hurra! Hoch! Hurra!! Wir stehen da, wie verzaubert … Wahrhaftig, da zieht er, umgeben und gefolgt von seinen Generalen (Kirchbach trägt einen Kranz von Eichenlaub!), an unsern Blicken vorüber.

Wie sein Angesicht vor Freude strahlt und wie er so wohlwollend die jubelnden Scharen begrüßt … Kein Wunder … Sie haben ihr Blut vergossen und ihr Hurrarufen läutet dem geschlagenen Zäsar zu Grabe … Welch großartiges, majestätisches Schauspiel! Was doch in diesem Augenblick sein fürstliches Herz empfunden haben mag? Durch Flammen und Ruinen über die blutige Walstatt … Ob durch die Siegesfreude auch eine Ahnung zieht von dem tausendfachen Weh, das der Krieg über die Völker wälzt? und ob es ihm nicht lieber wäre, einst wie ein rechter Salomo Deutschland im Frieden zu regieren, als mit Siegespalmen geschmückt auf schäumendem Schlachtroß über blutgetränkte Gefilde zu ziehen? … Wir glauben's gerne; sein Blick ist milde, seine ganze Erscheinung erweckt Vertrauen; wir vernehmen es auch aus den wenigen Worten, die er zu den verzagten Einwohnern spricht: »Die Leute sollen sich nicht fürchten.« Auch sieht man's den immer wieder Hurra rufenden Kriegern an: sie haben ihn lieb; denn er ist ihres Vaterlandes Hoffnung. Und ihm sieht man's auch an, er hat das Bewußtsein: »Ich bin das Haupt: Ich schlage, wenn sie streiten« … Gott weiß, was die Zukunft in ihrem verschleierten Schoße birgt! … Item: Hebel sagt: »Die goldnen Kronen drücken schwer; 's isch net als wenn's a Strohhut wär« … – Der Siegeszug bewegt sich vorwärts in der Richtung nach Reichshofen. Im Oberdorf aber schwenkt der hohe Feldherr rechts ab in die Schindergasse, … dort liegt in Reisehenners Stube der tapfere General Raoult, blutend aus vielen Wunden, mit zerbrochenem Schwert und brechendem Herzen.

Der deutsche Sieger tritt in die Bauernhütte ein, schaut freundlich in die fieberglühenden Augen, drückt teilnahmsvoll die todesmatte Hand – ein Wort huldvoller Anerkennung, eine Träne hochherzigen Mitleids vergelten den erbitterten Widerstand, und noch einmal, unter gewaltigen Siegesmärschen und unter endlosem Freudengeschrei wogt der Triumphzug vorüber. Wir schauen zu … unser Herz möchte in Stücke zerspringen … überall Schrecken, Brand und Verwüstung, und hier vor unsern Augen in stolzer Ruhmespracht der fremde Eroberer, in unbändiger Begeisterung die feindlichen Scharen … O Krieg, wie schmerzlich, wie tränenreich sind deine Folgen! … Jetzt rauschen die Feierklänge weiter hinab ins Tal … aus dem Kirchturm schlagen die Flammen hoch gen Himmel und leuchten weit hinaus ins Schlachtgefilde. Aber das Getöse will kein Ende nehmen. Es naht ein anderer Zug. Da kommen sie als Gefangene, hundert-, tausendweise, aus allen Waffengattungen, unsere armen geschlagenen … vor etlichen Tagen noch so fröhlichen, siegesgewissen Soldaten! Da kommen sie, entwaffnet, zerrissen, staubbedeckt, niedergeschlagen, wie verurteilte Missetäter … umschlossen, gedrängt, verhöhnt von deutschen Truppen, welche sie triumphierend ins Lager abführen! Ist's möglich? Ganze Haufen, Kanonen, Mitrailleusen, Wagen und sonstige Siegesbeute … Ganze Bataillone … Welche Demütigung, welche Niederlage! … und für uns alle, welch wehmutsvoller Anblick, welch herzzerreißendes Schauspiel! Da kommen sie! todesmüde von dem langen, schweren Kampfe, bleich vor Schrecken, Gram und Verzweiflung und Vorwärts donnert's hinterdrein und Viktoria! schallt's von allen Seiten, Spott und Verwünschung regnet's von tausend Lippen. Und sie können, dürfen nicht zucken – sie sind ja vernichtet … Siehe, wie dort ein deutscher Reiter mit blankem Säbel gegen einen französischen Offizier lossprengt und ihm seinen Degen aus der Scheide reißt, und wie dem Gefangenen vor Schmerz und Schmach die Tränen über die Wangen rollen! wie dort einem Turko, der keuchend, sterbensmüde sich dahinschleppt, die Kolbenstöße auf den Rücken fallen! Wie so manches Schimpfwort, so manche Roheit den geschlagenen Feind in die Gefangenschaft begleiten! Ach, so etwas vergißt man zeitlebens nimmer … ja, ja! das ist ein Tränenzug; wir sahen ihn und auch unsere Tränen fließen; so mancher winkt mit nassen Augen ein dankbares Lebewohl zu unsern Fenstern herüber, und wir können ihm nichts mehr mitgeben, als einen Seufzer voll Mitleid … Und seht, wie dort auf der Bahre ein Verwundeter so kläglich wimmert! – Sie möchten ihn von einer Seite der Straße zur andern tragen, wo die Ärzte an Menschenleibern blutig hantieren – aber sie kommen nicht durchs Gedränge; denn durch solche Siegeszüge darf auch ein Verschmachtender keine Lücke brechen. Er soll zuschauen und … sterben … und stirbt und sein letztes Wehgeheul verhallt im Freudenjubel, und sein letzter Blick bricht über der Schmach seines Vaterlandes und seiner gefangenen Brüder. Das ist der Krieg! das ist der Krieg, nicht wie oft krankhafte Phantasie ihn träumt, das ist der Krieg in seiner wahren, entsetzlichen Gestalt.

Aber die vielen Gefangenen! … immer wieder neue Transporte … Wir begreifen es endlich. Sie haben unser Dorf mit Sturm genommen. Sie haben unser Heer unter eiserner Umarmung zusammengedrückt und die Tore der Flucht den Großenwald hinab waren zu enge. Fahret wohl ihr tapfern, schmachbedeckten Zeugen einer glorreichen Vergangenheit! Das Glücksrad ist zerbrochen! Fahret wohl ihr unglücklichen Opfer napoleonischer und nationaler Missetat! Die Stunde der Vergeltung ist gekommen!


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