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Fortsetzung (Im Keller)

Gott sei Dank für diese Zufluchtsstätte. Der Keller ist groß und die Gewölbe von massiven Steinen. Gegen Wörth und Elsaßhausen hinab sind wir geschützt; die hohe Terrasse vom Schloß wird keine Granate durchbrechen. – Wie gut, daß sie ein Licht mitgenommen haben; man sieht doch einander in dieser unterirdischen Höhle! Da sind unsere Leute: die Gräfin mit ihren zwei Söhnen steht auf der untern Treppe; die Pfarrfrau sitzt am Boden auf einer Matratze bei den vier Kleinen; die schlafen so süß, so selig mitten im Sturme!

Mein Bruder und Steigjakob, der Kutscher, und Schallerton, der Unterknecht, kampieren zwischen den Fässern; Heinrich, der Gärtner, hockt in einer tiefen Steinnische; und der Schafhirte, der unglückselige Mensch – er hat die ganze Herde in den Schloßpark gebracht – taumelt wie ein Betrunkener, wie ein Schatten an den Wänden hin und her, von einer Stelle zur andern. Da sind auch die übrigen Dienstboten. Frau Sophie, Frau Annette, Jungfer Lene, Jungfer Käthel kauern zusammen ganz hinten in der dunkelsten Ecke. Da sind wir, ein zusammengescheuchtes, bebendes Häuflein in der Tiefe. Wenn nur die Eltern auch da wären! Gott erbarme sich ihrer und aller, die mit uns in der Trübsalshitze liegen … Horch, wie's schmettert! immer greulicher, furchtbarer, an allen Orten und Enden! Gegen Langensulzbach hat's auch wieder angefangen. Die Bayern sind also nicht zurückgeschlagen – oder sollte ihnen de Failly in den Rücken gefallen sein? Ihr lieben Kinder! Was soll aus uns werden? Soll denn kein Stein auf dem andern bleiben? Lasset uns beten! … Wer kann beten? Ach, das Herz ist erstarrt vor Weh und Grausen; die Zunge klebt am Gaumen vor Angst und Schrecken. Allen brechen die Knie, wir schreien zusammen, weinend, händeringend zum lebendigen Gott!

Unsere Bußpsalmen verstummen wieder, der Kanonendonner würgt einem den Hals zu; aber das Jammern und Stöhnen will kein Ende nehmen. »Seid doch stille, ihr Weiber da drüben, und heulet nicht so erschrecklich! Unser Schicksal steht ja in Gottes Hand! Wir sind ja geborgen vor augenblicklicher Todesgefahr … Seid stille! Das Gewimmer und Gewinsel kann kein Mensch mehr aushalten!« – Ja stille!! Bei jedem Aufkrachen der Geschütze schreien sie lauter … und rechten und fechten und zanken: »Jetzt hat's da, jetzt hat's dort eingeschlagen« … Und der Heinrich, bei jedem Kanonenschuß stöhnt er: »O Heiland! o Heiland! o mein Nachttischen, ich hab all mein Geld drin … Mein Bett, mein Nachttischchen … Helfet mir mein Bett, mein Nachttischchen holen!« »Seid stille, sag ich, um Gottes willen stille – oder wir werfen euch alle, samt und sonders, zum Keller hinaus!« – Das wirkt; sie werden ruhig; man kann sein eigen Wort wieder hören. – Ach! wie gut, wie heimlich ist diese kalte Höhle; jetzt, jetzt, während dort oben Feuer und Schwert den gräßlichen Vernichtungskampf kämpfen. Wie schlafen immer noch die Kinder so friedlich! Wie sind alle Herzen unter den Donnerschlägen des Gerichtes so mürbe, so demütig geworden! Wie lernt man in solchen Schreckensmomenten beten, lieben und vergeben! Aber hört ihr's, wie's donnert? Wie die Kanonen dröhnen! Wie die Mitrailleusen knattern! O Herr, hilf uns, wir verderben!

Es hat ins Schloß eingeschlagen, Spiegel, Leuchter, Gemälde, Möbel sind auseinandergefahren. – Wer will da hinauf? – Geschwind herunter, 's ist nicht mehr möglich! – Laßt in Gottes Namen fallen, was fällt, brechen, was bricht! Es darf niemand mehr den Keller hinauf … Ach! es brennt vielleicht über unsern Häuptern und wir wissen's nicht … »Wenn's aber brennt, wenn die ungeheure Steinmasse über uns zusammenbricht, dann werden wir ja lebendig begraben unter den Trümmern« … Der Gedanken peinigt das Herz mit Höllenangst … Ich schleiche die Kellertreppe hinauf: das Geschoß hat nicht gezündet; auch das Pfarrhaus steht noch unversehrt dort drüben. Aber im Oberdorf, gegen Langensulzbach … in der Schindergasse steht eine ganze Reihe von Gebäuden in Flammen! – Es ist drei Uhr. Der Entscheidungskampf rückt näher; es müssen Kanonen im Garten oder doch in nächster Umgebung stehen. Die Mitrailleusen klirren in unaufhörlichem, haarsträubendem Knallen – unter jedem Schuß erzittert das ganze Gebäude. Wir sind jetzt in unaussprechlicher Trübsal; Todesangst peinigt alle Herzen zum Verzweifeln. Kinder, der Jüngste Tag kommt! Wir müssen unsern Geist befehlen in die Hände unseres himmlischen Vaters. Jetzt erwachen auch die Kleinen und winseln und schreien; – sie wollen hinaus, heim, heim! Ach Gott, ist's denn wirklich am letzten? Wenn der Feind kommt und wird unser gewahr und ist nicht menschlich, barmherzig, so müssen wir alle des Todes sterben … Wer kommt da die Treppe herunter? Zwei bewaffnete Männer, keuchend, schäumend, todesmüde, der eine bluttriefend, beide fliehende Franzosen … »Wie geht's? wie geht's?« »Ha! Ha! Wie geht's? – Nicht gut – sie sind zu stark« … sie sinken zu Boden, kauern sich unter die Fässer, und wir lassen es geschehen … wir ahnen nicht, welches Unheil ihre Gegenwart über uns bringen werde. Es hält auch niemand mehr mit klarem Bewußtsein am Leben; Stricke des Todes umfangen uns, Angst der Hölle hat unsere Seele umnachtet … Was ist's schon wieder da droben? Feste Fußtritte, lautes Rufen … »Mama! Mama!« Wir hören es alle; es tönt wie eine liebe Stimme: »Mama! Mama!« – Die Gräfin rafft sich auf und will die Treppe hinaufeilen … es donnert, schmettert zum Vergehen … Wir halten die mutige Seele mit Gewalt zurück … Die Tritte verhallen, die Stimme ertönt nicht mehr … Es war das Lebewohl eines Helden, des Sohnes des Hauses! Er hat hier auf diesen Gefilden gestritten, den Leichnam seines erschossenen Obersten mit kühner Todesverachtung aus dem Getümmel getragen und seiner Mutter Angesicht auf der Flucht noch einmal sehen wollen! Er hat seines Herzens Sehnsucht nicht mehr stillen dürfen … mit dem Ehrenkreuz geschmückt, hat er sein Ulanenregiment noch durch die Vogesen geführt, ist bei Sedan nochmals auf dem Plan gewesen … aber seiner Lieben Angesicht hat er nicht wiedergesehen. Er ruht in französischer Erde.


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