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Die Büßerschar

Aber wir müssen noch einmal nach Wörth zurück Da die Plünderung in Wörth, Spachbach, Oberdorf, Gunstett, Langensulzbach, Morsbronn usw. usw. in milderer Weise geschah, so ist es überflüssig, diesen Gegenstand noch weiter zu erörtern.. Eine tragische Szene spielte dort unten gleich nach der Schlacht; und die zahlreichen Opfer sollten noch am selben Abend zur Schlachtbank geführt werden.

Der Ratschreiber, welcher bei der Zerstörung der Brücken mit Hand angelegt hatte, befand sich im Lazarett, am Lager eines deutschen Offiziers. Da polterten plötzlich gegen zehn Soldaten herein und ergriffen ihn unter der Anklage, er habe auf sie geschossen. Der Ratschreiber wehrte sich und protestierte, beteuerte und beschwor bei Seel und Seligkeit, er habe nicht geschossen … er sei unschuldig; es half aber kein Bitten, kein Flehen – er wurde mit Kolbenstößen die Stiege hinunter geschlagen. Da war sein ältester Sohn, den man unter derselben Anklage verhaftet hatte. Und nun wurden beide auf der Stelle an eine Mauer gedrückt und ein Offizier wollte schon Feuer kommandieren; da fiel der arme Mann auf die Knie, flehte um Gnade und Erbarmen, und die Mordgewehre senkten sich wieder. Es war aber dazu noch verraten worden, daß er an dem Niederreißen der Brücken sich beteiligt hatte, und seine Frau hatte ihn doch so herzlich vor solchem Patriotismus gewarnt. Endlich führte man ihn zwischen zwei Bajonetten auf den alten Turm, wo zwei französische Zeitungsschreiber während der Schlacht ihre Beobachtungen gemacht und ihren Skribentenvorwitz getrieben hatten – jetzt aber nicht mehr zu finden waren. Man kam ans Schloß des Herrn Trautmann-Rosa; die Tür war zugeriegelt; man wollte sie einschlagen, da erschien der alte Burgphilosoph und machte auf. Nun wurde das ganze Haus, Gänge und Stuben, Ecken und Schlupfwinkel durchstöbert, der Ratschreiber und der Schloßherr wurden überall mitgeschleppt und dann wieder auf den Turm gebracht. Die Zeitungshelden waren verschwunden. Da verloren die Soldaten die Geduld und drohten, den Schloßherrn augenblicklich niederzuschießen, wenn er die zwei französischen Spione nicht herausgäbe. Endlich traten sie ans Tageslicht. Man wollte ihnen stante pede den Garaus machen – es geschah aber auch nicht – das summarische Abschlachten ist eben doch eine bedenkliche Sache … Hier wollte der Ratschreiber den Wirrwarr benutzen und durchs Gedränge schlüpfen … er müsse ja ins Lazarett … »Franzosenhund! wenn du noch einen Schritt machst, bist du des Todes!« Es war kein Entrinnen mehr möglich. Sie wurden herausgeführt auf die Straße, an einen Strick gebunden: der Ratschreiber, die zwei Zeitungsschreiber, Herr Trautmann-Rosa und sein Sohn Edmund, sein Dienstknecht; andere, unter demselben Vorwand Gefangene: Stoßkopf und sein Sohn Emil, Trautmann, Eisenhändler und sein Sohn Robert, Notar Seltenmeyer usw. – wie todeswürdige Missetäter an einen Strick gebunden … und nun ging's vorwärts unter Fluchen, Verwünschungen, Backenschlägen, Kolbenstößen, durch die heranflutenden Truppenmassen hindurch. »Schießt die Hunde nieder! schießt sie nieder!« O die Bejammernswerten! Sie schrien um Hilfe; sie flehten in allen Tönen um Erbarmen; sie beteuerten ihre Unschuld … »Fort mit ihnen! fort mit den Hallunken und Mördern!« und abermals regnete es Püffe und Mißhandlungen. Der fast 80jährige Herr Trautmann-Rosa war ein Bild des Entsetzens; sein ganzes Gesicht war mit Blut bedeckt, ein Kolbenstoß hatte ihm den Fuß verwundet, er konnte nicht gehen; er mußte wörtlich fortgeschleppt werden. So defilierte die grauenhafte Galeerensklavenkolonne durch Wörth.

Am Fenster standen des Ratschreibers Kinder und heulten händeringend ihrem Vater das letzte Lebewohl nach! … Aber unaufhaltsam, unerbittlich mußten sie vorwärts, immer durch geschlossene Reihen von Soldaten. Ach, da hat mancher sein Mütlein durch Schimpfen, Spucken, Schlagen an den wehrlosen Schlachtopfern gekühlt; es geht ja in solchen wüsten Tagen nicht anders; – endlich war der Berg überstiegen. In Dieffenbach wurde Halt gemacht. Dort war der Prinz von Sachsen-Koburg, ein rettender Engel auf der Marterstraße der Geplagten. Die zwei Zeitungsschreiber faßten sich ein Herz und sagten ihm in französischer Sprache, wie sie unschuldiger Weise an diesen Strick gekommen, und wie ihre Leidensgefährten brave, ehrliche Bürger aus Wörth seien und baten um Gnade und Rettung. Der Prinz antwortete freundlich, es stehe nicht in seiner Macht, sie zu befreien, sie müßten eben ins Hauptquartier nach Sulz vor den Kronprinzen geführt werden … aber der Strick wurde ihnen abgenommen und zum Schutz eine Begleitung von Gendarmen mitgegeben. Sie dankten ihrem Wohltäter für solche Barmherzigkeit und schritten nun, je zwei und zwei, ihrem Schicksal weiter entgegen. Keiner hatte mehr eine Kopfbedeckung, Hüte und Mützen waren unter den Ohrfeigen nach allen Winden geflogen, keiner hatte mehr ein ganzes, menschliches Gesicht; eine grauenerregende Bande! Und immer vorwärts durch die deutschen Heereskolonnen und immer wieder: »Was sind das für Banditen?« – »Es sind Franzosenhunde, sie haben auf unsere Verwundeten geschossen.« – »Macht sie nieder!« – und die Säbel blinkten und die Bajonette drohten, die Rippenstöße dröhnten … Sie waren aufgerieben, todesmatt … Da rief der Stoßkopf in der Angst der Verzweiflung: »Schießt uns doch um Gottes willen gleich tot, warum uns so lange martern?« Man führte sie in ein Feldstück und ihre letzte Stunde sollte schlagen, aber die Gendarmen hatten die Verantwortung und schützten sie wieder; sie waren nochmals gerettet. In Kutzenhausen wurde wieder Halt gemacht; sie durften trinken. Der Durst hatte sie schon stundenlang entsetzlich gepeinigt. Ha! welch süßes Labsal in solcher Angst und Marterhitze. Das war Trost und Kühlung für die verschmachtenden Herzen und Gebeine! Und hat's der erquickende Wassertrunk oder eine neu aufleuchtende Hoffnung getan? Einer von den Mißhandelten soll plötzlich ausgerufen haben: »Lasset uns doch los! wir sind ja auch evangelische Christen!« und die Peiniger waren Polen! »Ah, du bist ein Lutheraner? Kameraden, auf den Hund, er ist ein Lutheraner!« … und der arme Schelm bekam für sein mutiges Glaubensbekenntnis eine Extra-Dosis Stöße und Schläge!

Endlich kamen sie nach Sulz, wurden dort gegen eine Mauer aufgestellt, ein Schauspiel der neugierigen Menge, der drohenden Soldaten – und bald darauf, weil sie hier keinen Augenblick mehr sicher waren, ins Gefängnis geworfen. Doch gab man ihnen Wasser, ihre lechzende Zunge zu netzen. Noch am selben Abend wurden sie verhört – eine gräßliche Nacht peinigte ihre müden Seelen. Von Zeit zu Zeit rief die Schildwache in den Kerker hinunter: »Eure letzte Stunde hat geschlagen … Morgen früh werdet ihr erschossen werden« … Was die Unglücklichen in dieser Nacht gelitten, können sie selbst nicht, kann niemand beschreiben.

Es waren aber bereits einflußreiche Persönlichkeiten ins Mittel getreten. Pfarrer Hauth, Bürgermeister Petri, auch der Schlachtenmaler Bleibtreu, welcher bei Dr. Sadoul schon Näheres erfahren, hatten Vorstellungen gemacht und Fürsprache beim höchsten Kommando eingelegt. Den andern Morgen wurden sie abermals verhört; die zwei Korrespondenten des Figaro wurden vor den Kronprinzen gerufen. Er war milde und freundlich, lobte die Tapferkeit, den Heldenmut der französischen Armee und befahl … die Gefangenen sofort in Freiheit zu setzen. Welche frohe Kunde drang jetzt ins Gefängnis! Welches freudige Aufatmen durchbebte die gefolterten Herzen! … Sie traten heraus … man gab ihnen die abgenommenen Gegenstände wieder … Sie kehrten nach Wörth zurück … jubelnd umarmten sie ihre Lieben … aber sie waren alle zehn Jahre älter geworden.


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