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Wo eigentlich der Has im Pfeffer lag

Wir standen am 31. Juli: der gute Xaveri konnte es schier nicht mehr aushalten, warum doch der Marschall die Bayern in Fischbach nicht fangen, respektive in das schnappende Brusttuchsäcklein hineintreiben wollte; und unsere Soldaten hier in Fröschweiler, bei welchen täglich ein gut Stück Appetit verlorenging, waren ganz außer sich vor Ungeduld nach einem widerstandskräftigen Frühstück aus des deutschen Michels Küche, und unsere Landsleute, denen die Haut über den Kopf gezogen wurde, konnten es alleweil auch gar nicht mehr begreifen, warum nicht endlich so ein kleiner Abstecher in die sonnige, wonnige Pfalz gemacht wurde. Und dort unten an der Saar, bei Forbach, Saargemünd, an der Mosel bei Metz, Diedenhofen wird's wohl den Zunftgenossen Xaveris und den Soldaten und Bauern gerade so gegangen sein. Warum denn, ein für allemal, kein Marche! kein Vorwärts? Wo lag denn eigentlich der Has im Pfeffer? Das ahnten damals nur wenige und die durften es nicht sagen; heute mögen es Krethi und Plethi wissen; denn die Geschichte hat uns ihre Lektionen mit Faustschlägen eingebläut.

Die Diplomatie, d. h. die Kunst, Fürsten und Völker hinters Licht zu führen, hatte allzu hastig die Würfel geschüttelt und den Fehdehandschuh hingeworfen, bevor die eigene Brust gepanzert war. – Frankreich hatte zur Zeit der Kriegserklärung eine Armee von 567 000 Mann, notabene auf dem Papier, in Wirklichkeit aber nur 340 000 Mann. Das war allerdings ein fatales Rechenexempel. – Doch, die Fureur française ist ja unwiderstehlich! Wenn diese 340 000 Mann schnell mobilisiert, gut bewaffnet, genial kommandiert werden, so dürfen die teutonischen Massen die Sonne verdunkeln – die französischen Scharen werden im Schatten fechten und – siegen. Für Waffenmaterial war genügend und im ganzen vortrefflich gesorgt: 1 077 500 Chassepotflinten; gezogene und glatte Rohre, Lafetten, Munitionswagen für 800 Batterien. Und mußte auch hier ein bedeutender Abzug geschehen, weil es an Bespannung und Bedienungsmannschaften fehlte, so konnte doch die Feldarmee, einschließlich der Mitrailleusen, 927 Geschütze in Aktivität bringen. Und wenn diese 927 Kanonen am rechten Ort und zur guten Stunde losdonnern, und die Mitrailleusen, diese höllischen Ungeheuer, ihre Todesschlünde aufsperren, wie sollen die Preußen der Vernichtung entrinnen? – Mit Heeresmacht und Waffenrüstung stand es also, trotz beträchtlicher Reduktionen, nicht übel; die Möglichkeit war vorhanden, wir konnten es glauben, wir durften es hoffen: der gallische Hahn wird dem preußischen Adler die Federn ausrupfen und die Wacht am Rhein wird zwischen Mainz und Köln ihr stolzes Liedlein eine gute Weile nicht mehr singen.

Aber … aber … jetzt kommen die erschrecklichen Aber … – aber wie die Armee von einem Tag zum andern auf den Kriegsfuß hinüberzaubern? Da lag der Has im Pfeffer! – Die Einteilung des Heeres in bedeutendere Korps war nur für die Kaisergarde, für die algerischen Truppen und für die Besatzungen von Paris und Lyon vorhanden. Nun mußten beim Ausbruch des Kampfes die einzelnen Korps erst gebildet, die Kommandostellen geschaffen, die ganze Kriegsorganisation ins Leben gerufen werden. Alles war zentralisiert; die Korps sowie die Divisionen hatten keine Intendanturen. Jetzt sollten plötzlich die Transportwagen, die Lagergerätschaften, die Pulver- und Geschützmunitionen zusammengerafft und schleunigst an die Grenze geschleppt werden. Ja, wenn ein Dutzend Eisenbahnlinien vom Innern Frankreichs nach den östlichen Provinzen offengestanden wäre! Aber es gab deren nur vier. Welche Schwierigkeiten, Mißverständnisse, Stockungen mußten da überall hemmend, verwirrend eintreten? Und in dieser ganzen ungeheuren Bewegung kein einheitlicher Gedanke, der alles berechnet, keine durchgreifende Disziplin, die alles beherrscht, keine Detailordnung, die alles erleichtert hätte! War's wohl unter solchen Verhältnissen möglich, eine sofortige Offensive zu ergreifen?

Als der Kaiser am 28. Juli nach Metz kam, standen höchstens 210 000 Mann auf dem Plan; kein einziges Armeekorps war in schlagfertigem Zustand. Die Reserven irrten im Lande umher und suchten ihre Depots, ihre Regimenter; und rückten dann einzelne Reservekolonnen heran, so waren sie nicht ausgerüstet, hatten keine Kochgeschirre, keine Feldflaschen, keine Zelte. Es fehlte an Trains, an Pferden, Ambulanzen, Verpflegungskolonnen, Krankenwärtern, Tierärzten, Trainsoldaten, Verwaltungsbeamten. Bei der Artillerie paßten viele Geschirre nicht; die Munitionsreserven waren nicht angerückt, nicht ausgebildet. Für die Mitrailleusen fehlte es an einzelnen Stellen gänzlich an Munition. Eine Menge von Karten waren angekommen, umfaßten aber nur deutsches Gebiet, und doch wäre ein bißchen Geographie auf französischem Boden so arg vonnöten gewesen. Es gab ganze Armeeteile, deren Standort man im Hauptquartier nicht kannte! – Und wie sah es mit der Frage um die Lebensmittel aus? Schon vom 1. August ab waren die Armeekorps an der Saar auf den Reserveproviant in Metz angewiesen, und hierzulande mußten die Soldaten durch Betteln, Marodieren, Stehlen, Erpressen ihr schmachvolles Dasein fristen. – An die Festungen hatte man gar nicht gedacht; in Straßburg waren 2000 Mann, Metz war gar nicht bewaffnet, Diedenhofen hatte 1000 Mann, worunter 600 Mobilgardisten mitleidenswerten Andenkens. – So stand's am 28. Juli, als Napoleon, der oberste Feldherr, nach Lothringen kam. Das war die klägliche Kehrseite zur siegesatmenden Proklamation: »Der Krieg wird in Gegenden geführt werden, die von Hindernissen und Festungen starren, und welches auch der Weg sei, den wir jenseits der Grenze nehmen werden, wir werden auf ihm die ruhmvollen Spuren unserer Väter finden!«

Rechnet man zu diesen materiellen Notständen die moralischen Mängel und Gebrechen, an welchen das französische Heerwesen krankte: die wiederholten Anwerbungen, das Ersatzsystem, die langen Beurlaubungen, den Mangel an tüchtigen Unteroffizieren, das peinliche Verhältnis zwischen den älteren und jüngeren Offizieren, die Nepotenwirtschaft in höheren Sphären, den verheerenden Einfluß der politischen Parteien, die himmelschreiende Disziplinlosigkeit – und dabei doch das übertriebene Selbstgefühl, die lächerliche Unterschätzung des Feindes –, so hat man auf die Frage, warum der Angriffsplan nicht ausgeführt wurde, die einfache Antwort: Es war nicht möglich. Das ganze Land freilich und besonders Paris verlangten Siege, und so wurde der Marschall Bazaine am 31. Juli beauftragt, mit dem 2., 3. und 5. Korps zwischen Saargemünd und Saarbrücken in Deutschland einzufallen; die Generale aber erklärten einstimmig, das Vorhaben wäre unausführbar aus Mangel an Munition und Lebensmitteln. Kein Wunder, wenn auch Mac Mahon die Weisung erhielt, in den ersten acht Tagen keine größere Operation vorzunehmen, was der bayerischen Macht in Fischbach und unserm Heimatsländchen als eine kurze Galgenfrist zugute kam.


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